Oldenburger STACHEL Nr. 236 / Ausgabe 8/02      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Arbeitsdienst für Oberbürgermeister Schütz?

Oldenburgs Oberbürgermeister Schütz (SPD) steht vor einem Problem: Obwohl er im städtischen Haushalt nicht ohne weiteres Millionenbeträge für Prestigeprojekte locker machen kann, will er sichtbare Zeichen seiner politischen Gestaltungskraft setzen. Eine Sportarena soll her, ein neues modernes Schwimmbad anstelle des alten Huntebades gebaut, Fußgängerzone und Burgstraße aufgeschickt, der "Technologie- und Gründerzentrum Oldenburg GmbH" jährlich 60.000 Euro für einen Geschäftsführer spendiert werden. Nur - wie soll er das anstellen bei einer Lücke von 72,8 Mio. Euro in 2002, davon allein ein neues Minus von 28 Mio. Euro aus diesem Haushaltsjahr? Und wie kann er über die Schwierigkeiten kommunaler Finanzen öffentlich verhandeln ohne darauf hinzuweisen, daß die von ihm selbst mitverschuldete rot-grüne Steuerreform die Einnahmen der Kommunen bundesweit hat zusammenbrechen lassen? Schließlich hatte er als MdB zustimmend die Hand gehoben als es darum ging, die Gewerbe- und Körperschaftssteuer zusammenzustreichen. Es mußte doch jemanden geben, der den Karren jetzt für ihn aus dem Dreck zieht. Da waren doch noch diese "Faulenzer", die von der Sorte, für die der Oberbürgermeister extra das Wortungetüm "sozialer Doppelkomfort" in die politische Arena geworfen hat

Die Sozialhilfebeziehenden
sollen's richten

Neben den seit Monaten bekannten und weiteren geplanten Streichungen städtischer Leistungen für soziale Einrichtungen, Sportvereine etc. will Schütz vor allem die Ausgaben für städtisches Personal und Soziales senken, die zur Zeit mit 72 Mio. bzw. 94 Mio. Euro im Haushalt zu Buche schlagen. Dazu hat ihm sein Haus- und Hofberater Kurt Plagge vom städtischen Stellwerk [1] einen perfiden Plan ausgeheckt:

Wer arbeitsfähig ist und Sozialhilfe bezieht oder beantragt, soll in "Arbeitsgruppen/-kolonnen" der Stadt dort arbeiten, wo nach jahrelangem städtischen Personalabbau offensichtlich notwendige Arbeiten unerledigt bleiben: in Grünanlagen, Schulen, öffentlichen Gebäuden. Der "Oldenburger Arbeitsdienst" ist geschaffen - mit 1,10 Euro pro Stunde für die arbeitenden Sozialhilfebeziehenden.

Wie tückisch der geplante städtische Arbeitsdienst ist, wird mit Blick auf den Arbeitsmarkt deutlich:

1.ßDie Angebote freier Stellen gehen immer weiter zurück; im April gab es ein Drittel weniger freie Stellen als im Vorjahr. Im Bereich Oldenburg stehen 26.000 offiziell Arbeitslosen gerade noch 4.200 freie Stellen gegenüber (ausführlicher Bericht zu diesen Zahlen im letzten STACHEL). Das weiß auch Stellwerk-Geschäftsführer Kurt Plagge. Er berichtete seinem Aufsichtsrat vom "starken Rückgang an 'Einfachstarbeitsplätzen'", "deutlich verringerten Nachfrageinteresse nach Arbeitskräften für den originären Arbeitsmarkt seit dem letzten Quartal 2001" wie auch dem Rückgang der "Nachfrage von Arbeitgebern nach Gewährung von Lohnkostenzuschüssen" [2].

Hier liegt Oldenburg nicht nur im bundesweiten Trend, sondern trägt dazu mit der von OB Schütz verhängten Widerbesetzungssperre frei werdender Stellen aktiv bei (von wegen "antizyklisches Agieren der Stadt in der Krise", dessen Schütz sich gern rühmt, wenn es um Geld für Prestigeprojekte geht, d. äzzer).

2. Just als es für Erwerbslose objektiv immer aussichtsloser wird, Arbeit zu finden, verschärfen Arbeits- und Sozialamt die Anforderungen an Arbeitslose. Der Bewerbungsdruck wird erhöht, Trainingsmaßnahmen aufgezwungen, in "Profilingverfahren" (angeblich) bei Erwerbslosen selbst liegende Ursache ihrer Arbeitslosigkeit gesucht. Und gerade in diesem Moment wird die bisherige Praxis der Stadt, für Sozialhilfebeziehende Ein-Jahresstellen mit Arbeitsvertrag bei freien Trägern einzurichten, gekippt. Bereits zugesagte Stellen wurden in diesem Frühjahr über Nacht abgesagt. Stattdessen wurde den für diese Arbeitsverträge bereits vorgesehenen Sozialhilfebeziehenden 'angeboten', diese Arbeiten bei Zahlung einer Aufwandsentschädigung zu erledigen.

Doch damit nicht genug:

An Stelle der vom Sozialamt finanzierten Arbeiten mit Arbeitsvertrag bei freien Trägern soll für die Stadt arbeiten, wer Sozialhilfe bekommt. Kurt Plagge erhält auf Nachfrage in städtischen Einrichtungen "84 Arbeitsangebote für Beschäftigungsmöglichkeiten" in gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit genannt, die er "aus pädagogischen und aus finanziellen Gründen in der Mehrzahl" als Arbeiten "mit Mehraufwandsentschädigung" organisieren will.

Klartext: Die arbeitenden Personen bleiben im Sozialhilfebezug, sind durch die Arbeit weder kranken-, renten-, arbeitslosen- noch pflegeversichert, bekommen keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und was sonst noch mit dem Arbeitnehmerstatus verbunden wäre. Stattdessen werden sie mit hoheitlichem Akt (Heranziehungsbescheid) zu Tätigkeiten für die Stadt verpflichtet und erhalten als 'Gegenleistung' eine Mehraufwandsentschädigung von meist 1,10 Euro pro Stunde. Und auch die ohnehin geringen Zukunftsperspektiven für Sozialhilfebeziehende werden weiter geschmälert: War es lange Verwaltungspraxis, nach einer Phase mehraufwandsentschädigter Arbeit zur Arbeitsvertragsarbeit überzugehen, so daß nach einem Jahr Ansprüche auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung entstehen, entfällt auch diese 'Perspektive', nachdem das Sozialamt kaum mehr Arbeitsvertragsstellen finanziert. Statt dieser (kleinen) Perspektive bietet das Sozialamt mehr Druck: binnen einer Woche soll sich, wer einen Antrag auf Hilfe beim Sozialamt stellt, bei Stellwerk melden, der 'zeitliche Ablauf des Verfahrens fehlender Mitwirkung der Klienten bis zu ernsthaften finanziellen Konsequenzen für die Klienten' soll verkürzt werden. Kurz: Wer nicht für 1,10 Euro schuften will, steht bald ganz ohne Geld da.

Einsatzbereiche dieser "Arbeitsgruppen/-kolonnen" für Sozialhilfebeziehende sollen das Amt 31 (Stadtgrün und Umwelt), die zentrale Gebäudewirtschaft und der Abfallwirtschaftsbetrieb sein - Bereiche, in denen städtischer Personalabbau oft kaum mehr zu übersehen ist: der Sand auf den Spielplätzen wird - ohne Rücksicht auf die erhöhte Verletzungsgefahr für Kinder - immer seltener gewechselt, Löcher in Rad- und Gehwegen werden mit entsprechendem "Gefahrenpotenzial für Gehbehinderte und ältere Menschen in Kauf" genommen [3]. Umweltdezernentin Karin Opphart stellt "Verwahrlosung, Vermüllung, Imageverlust und floristisch verarmte historische Anlagen" fest. Erste Erfahrungen mit dem Einsatz von ähnlichen Arbeitsdiensten hat sie bereits: Die Bepflanzung vor dem Kulturzentrum im ehemaligen Peter-Friedrich-Ludwig-Hospital wurde in diesem Jahr von erwerbslosen Jugendlichen aus einer Arbeitsamtsmaßnahme erledigt. "Der Kauf der Blumen ist nicht das Problem", so Opphart.

Widerstand durch
"Aufklärungsarbeit" beseitigen

Mit dem Druck, die Sozialhilfe zu kürzen, ganz zu streichen oder bei Neuantrag erst gar nicht zu bewilligen, wollen Schütz und Plagge Erwerbslose in die Kolonnen des Oldenburger Arbeitsdienstes pressen. Offenbar sehen sie dazu jetzt die Gelegenheit, wo der Arbeitsmarkt kaum mehr Erwerbsmöglichkeiten bietet. Wie wenig sich das Duo Schütz/Plagge jedoch ihres Arbeitsdienstes sicher sind, enthüllt das schon mehrfach angeführte Stellwerk-Protokoll. Demnach wurde im Stellwerk-Aufsichtsrat "das Thema der liberalen Haltung des hiesigen Verwaltungsgerichts kurz diskutiert und vorgeschlagen, zukünftig für uns negative Urteile von einer nächsten Instanz überprüfen zu lassen. Gleichzeitig sollte das aufklärende Gespräche mit den Verwaltungsrichtern gesucht werden."

Offensichtlich ist den Verantwortlichen sehr wohl klar, daß die Konstruktion ihres Arbeitsdienstes mit den gesetzlichen Vorgaben nur schwer vereinbar ist. Bereits eine erste Überprüfung durch das ortsansäßige Verwaltungsgericht könnte den Arbeitsdienst gefährden. Schließlich erklärte OB Schütz noch im Februar im NWZ-Gespräch, daß er "bei der dringend notwendigen Sanierung von Schulbauten, Pflege von Grünflächen und der Reinigung von Straßen und Plätzen", "Sozialhilfeempfänger einsetzen" will. Wie sich die Aussage der "dringenden Notwendigkeit" mit der Vorgabe verträgt, daß die über die Sozialhilfe organisierten Arbeiten "zusätzlich" sein sollen, bleibt Schützen's Geheimnis!

Und noch an anderer Stelle fürchten Schütz/Plagge Gegenwind, nämlich von denjenigen, die städtische Aufträge gegen Rechnung erledigen könnten. In dem Protokoll heißt es:

"Einvernehmen herrscht bei den Anwesenden darüber, vorerst die Interessenvertreter der Kaufleute und Handwerker nicht in dieses Programm mit einzubeziehen und erst einmal deren Reaktion abzuwarten."

Man mag von der in der BRD gepflegten 'Marktwirtschaft' halten was man will. Aber: Ein Arbeitsdienst ist für den Fall, daß Steuerpolitik einzelne Ebenen des Staates (z.B. die Kommunen) der Gelder zur Erledigung ihrer einfachsten Aufgaben beraubt, (noch) nicht vorgesehen. Wo der öffentliche Dienst Aufgaben nicht (mehr) bewältigt (z.B. das Umweltamt), sind Dritte zu beauftragen, die ihre Dienstleistungen auf dem Markt anbieten. Aber auch davon wollen Schütz/Plagge - so scheint's - nichts wissen.

Verdrängung durch Arbeitsdienst statt Hilfe des Sozialamtes

Schütz will "die Zahl der erwerbslosen Sozialhilfeempfänger deutlich abbauen", wie er bereits im Februar ankündigte [4]. Dies wird er beim derzeitigen Zustand des Arbeitsmarktes nur durch Abdrängen Hilfesuchender in graue oder schwarze Jobs oder andere Formen der nicht-legalen Einkommensbeschaffung erreichen können. Und an dieser Stelle hilft ihm die andere Seite des Oldenburger Arbeitsdienstes. Der massive Druck, den das Sozialamt zur Annahme der völlig perspektivlosen Ein-Euro-Zehn-Cent-Arbeiten ausüben will, soll zum Instrument werden, Anträge auf Sozialhilfe abzuwenden. Die Einstellung oder Nichtbewilligung der Sozialhilfe wegen "mangelnder Mitwirkung" beim Arbeitsdienst wird dann der Hebel, "die Zahl der erwerbslosen Sozialhilfeempfänger deutlich abzubauen" (Schütz).

gg

[1] Stellwerk nennt sich die städtische Gesellschaft mit Sitz im Arbeitsamtsgebäude, die für das Sozialamt Vermittlung in Tätigkeiten oder Arbeit organisieren soll.

[2] Protokoll der Stellwerk-Aufsichtsratssitzung vom 29.04.02.

[3] So Elke Wicherts, Leiterin des Amtes für Stadtgrün und Umwelt lt. NWZ vom 16.3.02.

[4] NWZ vom 9.02.02.

Gegenwehr: Jobabbau durch Arbeitsdienst stoppen!

Der arbeitsdienstgestützte Abbau von Arbeitsplätzen mag zwar in Schütz'ens politischen Plan zur "Senkung der städtischen Personalausgaben" passen, doch kann dieser weder im Sinne der augenblicklich Beschäftigten noch der Erwerbslosen sein. Schütz und Plagge bewegen sich - wie gezeigt - in vielerlei Hinsicht auf denkbar 'dünnem Eis'. Und diese 'Eisdecke' gilt es 'zum Schmelzen zu bringen'. Denn auch Sozialhilfebeziehende müssen, obwohl sie von der finanziellen Hilfe der Stadt existenziell abhängig sind, ihre Einordnung in die "Arbeitskolonnen" nicht widerstandslos hinnehmen. Sie erhalten Rat und Unterstützung z.B. in der Sozialberatung der Arbeitslosenselbsthilfe (offene Termine je Mo, Mi, Do 9 - 13 Uhr im Arbeitslosenzentrum, Kaiserstr. 19) oder z.B. auch beim dortigen offenen Treff, Montags 15 bis 18 Uhr.

Es ist nicht hinzunehmen, daß Politik und Verwaltung Sozialhilfebeziehende das ausbaden lassen, was sich als Folge aktueller Steuerpolitik herstellt: Finanznot der Kommunen.

Sozialhilfebeziehende sollen ausbaden, was sich als Folge aktueller Steuerpolitik herstellt: Finanznot der Kommunen? Nicht mit uns!

 

 
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