Oldenburger STACHEL Nr. 236 / Ausgabe 8/02      Seite 13
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Alternativen zum Wählen

Zur Verdrossenheit über die Politik gibt es so viel Anlaß wie schon lange nicht mehr. Hatte bei der letzten Bundestagswahl, nach den 16 Jahren mit wachsenden sozialen und finanziellen Problemen, das primitive "Kohl muß weg!" wenigstens etwas freche Frische, so hat sich längst alternativlose Enttäuschung breit gemacht. Das "There is no alternative" von Margaret Thatchers neoliberaler Beutepolitik ist zum erdrückenden Credo aller Regierungen geworden. Aufgelöst sind die vormals klaren Fronten - gegen Atompolitik und für Frieden - und durch begriffliche Mogelpackungen mit gegenteiligen Inhalten ersetzt, denn die Castoren fahren nun Jahrzehnte für den "Atomausstieg", und die Bundeswehr bombt "humanitär" für den Frieden, im permanenten Auslandseinsatz. Das Grundgesetz verbietet es zwar, aber dagegen krähte nur der kleine Hahn PDS, natürlich vergeblich. Daß die Kriegsgründe als Lügengeschichten entlarvt wurden, konnte keine Regierungskrise auslösen, denn die Opposition hat sich unauffällig in eine ganz große Koalition verwandelt. Das sieht man schon daran, wie merkwürdig still die kleinen Parteien bleiben, wenn die großen mit ihrer groß angelegten Bestechlichkeit und Spendenkriminalität doch mal auffallen. Eine Auswahl an Politik gibt es nicht, aber das Stück wird dennoch aufgeführt. Wer nicht für unpolitisch gehalten werden will, kalkuliert schlau das kleinste Übel und bezeichnet Wahlverweigerung als bekanntlich größte Dummheit, die immer den Falschen nütze. Nun - einen Sinn hat das Wählen trotzdem: Es legitimiert. Das gleiche tun die Abgeordneten, wenn sie nach Fraktionsdisziplin abstimmen; auch sie haben nichts mehr zu entscheiden, sondern legitimieren bloß.

Der Verdruß führt natürlich zur Wahlenthaltung. Wer aber nicht wählt, oder ungültig, gilt als "müde" oder schlicht zu dumm, auf alle Fälle als zu vernachlässigen. Die meisten Medien sind Parteien-Sprachrohre und verbreiten diese Meinung. Davon Abweichendes findet sich darum im Internet.

Schon lange wird aus dem anarchistischen Spektrum zum Wahlboykott aufgerufen mit der Begründung, daß auch Demokratie eine Herrschaftsform ist und Regierungen mitsamt dem Staat abgeschafft gehören. Neu ist, daß in diesem Jahr auch Initiativen zum Wahlboykott aufrufen mit Bezug auf die konkreten Übel, die wir da als die Kleineren wählen sollen.

Als Korrektiv will Mehr Demokratie e.V. (http://mehr-demokratie.de) Volksabstimmung auf Bundesebene einführen und auf den anderen Ebenen die Hürden senken. Unterstützt wird der Verein darin von der Omnibus gGmbH (http://www.omnibus.org), die die Wahlbenachrichtigungen sammeln und als Votum für dieses Anliegen zählen.

Aus der Anti-AKW-Bewegung gibt es einen Aufruf, niemanden zu wählen (http://www.wahl-boykott.de/), da wir keine Wahl haben.

Eine andere Initiative ruft unter dem Motto "...ein bißchen Demokratie wagen" dazu auf, Atomausstieg und Frieden zu wählen, indem man die Wahlbenachrichtigungskarte an ein Anwaltsbüro schickt (http://www.wahlboykott2002.de/).

Noch genauer will es unsere Initiative wissen: Unter http://www.Protest-Wahl-Aktion.de findet sich ein Fragebogen als "Protest-Wahlschein", auf dem die Protestgründe angekreuzt werden können und zusätzlich die Partei(en), die damit besonders abgestraft werden sollen. Der Schein soll mit der Wahlbenachrichtigungskarte an die Zählstelle eingeschickt werden. Die Statistik wird veröffentlicht, besonders an die Adresse der Parteien, um ihnen die verlorenen Stimmen vorzuzählen. Außerdem wird verlangt, dem Prozentsatz der Nichtwähler entsprechend Parlamentssitze unbesetzt zu lassen und die üppige staatliche Parteienfinanzierung zu verringern. "Wir zeigen den Parteien, daß sie ihr Vertrauen verspielt haben" und "Wir sagen ihnen auch, warum" heißt es in dem Aufruf dazu. Die möglichen Gründe für einen Boykott sind hier breiter gestreut und umfassen auch Dinge wie soziale Ungerechtigkeit, Schmiergelder und Fraktionszwang.

Da mehrere Initiativen die Wahlscheine einsammeln wollen, versuchen wir, diese Anliegen so zu integrieren, daß sich eine Beteiligung an den verschiedenen Initiativen nicht ausschließt. So ist es z.B. möglich, durch Beilage eines zusätzlichen Zettels auch für die Volksabstimmung zu votieren. Wir werden das dann an den Omnibus weitergeben. Auch ist z.B. eine spätere Zusatzzählung "Stimmen gegen den Krieg" geplant, an der sich auch Parteien mit klarer Antikriegsposition beteiligen können (Kriterium sind Wahlprüfsteine aus der Friedensbewegung).

Eher im Rahmen des bislang Gewohnten ist das Motto des Bündnis anti-parlamentarische Linker "Stimme behalten", die dazu aufrufen, sich selbst zu organisieren, statt zur Wahl zu gehen (http://www.wahlboykott.de.vu/).

Und eine ganze Anti-Wahl-Zeitung, auch mit Aktionstips zum Wahlkampf, gibt es unter: http://www.wahlquark.de.vu/

Alle diese Initiativen brauchen noch die Mithilfe vieler Menschen, die die Aufrufe verbreiten, öffentlichkeitswirksame Aktionen starten und bei selbstorganisierten Auszählungen helfen. Denn natürlich heißt ein aktiver Wahlboykott, daß man sich selbst organisieren muß.

Maike Varenkamp, Oldenburg,

Klaus-P. Schleisiek, Aachen

Ergänzung der Red.: Wer möchte, kann seine Wahlbenachrichtigungskarten auch anonymisiert einsenden.

 

 
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