Oldenburger STACHEL Nr. 237 / Ausgabe 9/02      Seite 1
 
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Zufluchtstätte für Mädchen schließt

Soziale Streichungen: Schließung von RUNAWAY zum Jahresende

"Ich halt das alles nicht mehr aus - ich kann nicht mehr". Mit diesen Worten drücken Mädchen häufig bereits im ersten Kontakt am Telefon ihre Not aus. Jedes Mädchen, das um Inobhutnahme bittet, hat gravierende Gründe dafür. Oft steckt hinter dem Weglaufen eines Mädchens eine lange Geschichte von psychischer, körperlicher und/oder sexueller Gewalt. Durch die Erreichbarkeit `rund um die Uhr' und die Möglichkeit, Mädchen zu jeder Zeit aufzunehmen, kann die Zufluchtstätte RUNAWAY sofortige und unbürokratische Hilfe, Unterstützung und Schutz gewährleisten.

"Hier ist immer jemand für einen da. In manchen Momenten kann man vergessen, was mit einem passiert ist." Mit dem Aufenthalt in der Zufluchtstätte wird die häusliche Spirale der Gewalt unterbrochen. Mädchen in Krisensituationen, mit Gewalterfahrungen und emotionalen Verletzungen brauchen Sicherheit und Zuwendung.

Während des Aufenthalts bei RUNAWAY - bis zu maximal 3 Monaten - erhalten die Mädchen intensive pädagogische Betreuung und Unterstützung bei der Verarbeitung ihrer Gewalterfahrungen und der Bewältigung ihres Alltags. Sie erfahren Wertschätzung und werden dazu ermutigt, ihre Fähigkeiten, Potentiale und Kompetenzen wahrzunehmen und weiterzuentwickeln.

Förderung der Stärken

Ein besonderes Anliegen der Pädagoginnen ist es, den Mädchen ihre Kraft und Stärke bewußt zu machen und sie dabei zu unterstützen, ihr Recht auf Respekt, eigene Bedürfnisse und ein Leben ohne Gewalt durchzusetzen.

Die Entwicklung einer Perspektive geschieht in enger Zusammenarbeit mit dem Mädchen selbst, dem Jugendamt und allen Beteiligten. Etwa die Hälfte der Mädchen geht nach Beendigung des Aufenthalts in die Familie zurück, die anderen ziehen in Jugendwohngemeinschaften, zu Verwandten oder in eigene Wohnungen mit Betreuung.

Wenn Mädchen in die Familie zurück gehen, hat sich Entscheidendes verändert. In einigen Fällen wurde weitere Hilfe installiert, z.B. durch Erziehungsbeistand, einige Familien haben sich begleitende Hilfe durch eine Erziehungsberatung geholt. Die Mädchen haben mit ihrem Schritt in die Zufluchtstätte ein Signal gesetzt, sich und anderen gezeigt, daß sie sich aktiv Hilfe holen können und ihre unerträgliche Situation verändert.

Stadt begrenzt Dauer der
Inobhutnahme auf 7 Tage

In die Zufluchtstätte RUNAWAY können 13-17jährige Mädchen nur noch bis zum 30. November aufgenommen werden. Am 31. Dezember schließt die Zufluchtstätte. Dann werden in fast acht Jahren rund 600 Mädchen Schutz und Hilfe gefunden und sich weitere 1000 über das Notruftelefon Rat und Hilfe geholt haben.

Kein Notruftelefon mehr

Mit der Schließung der Zufluchtstätte wird es ab Januar 2003 auch kein Notruftelefon mehr geben. Mädchen, die aus gewalttätigen Situationen fliehen wollen, müssen sich dann an das Jugendamt, an die Polizei oder an andere Beratungsstellen wenden.

Der Trägerverein, das Autonome Mädchenhaus Oldenburg e.V., schließt die Zufluchtstätte, da die Stadt die Aufenthaltsdauer der Inobhutnahme (§42 KJHG) auf maximal 7 Tage begrenzen will. Diese Tatsache setzt zwangsläufig ein verändertes Konzept für die Zufluchtstätte voraus, für dessen Umsetzung dem Verein keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.

Nicht allein für die Mädchen ...

"Wir bedauern es sehr, die Zufluchtstätte, für deren Erhalt wir lange gekämpft haben, zum Jahresende aufgeben zu müssen. Mädchen, Fachkräfte und Bezugspersonen werden dann in Oldenburg erneut keine geschlechtsspezifisch orientierte Schutzstelle finden, in der sie unbürokratische Hilfe erhalten", so Karin Ternes-Deepen, Vorstandsfrau des Vereins.

Geteiltes Leid ...

"Insbesondere für die Mädchen ist die Schließung der Zufluchtstätte ein großer Verlust", unterstreicht Vorstandsfrau Maria Ostendorf. "Im mädchenspezifischen Freiraum der Zufluchtstätte haben sie ihre Erfahrungen und Ängste mit anderen betroffenen Mädchen geteilt, Solidarität erlebt und die wichtige Erfahrung gemacht, mit ihren Gewalterfahrungen nicht vereinzelt und alleine zu sein. Für viele Mädchen wurden so in der Zufluchtstätte wichtige Weichen gestellt".

Mit RUNAWAY verschwindet wichtige Einrichtung für Mädchen in Not- und Krisensituationen.

Für Doris Beel, Koordinatorin des Vereins, ist die Schließung im Zusammenhang mit den Haushaltsstreichungen der Stadt zu sehen. "Die Folgen des Sozialabbaus sind kaum abschätzbar. Auch wir wissen nicht, wie Mädchen auf den Verlust eines für viele wichtigen Angebotes reagieren."

 

 
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