Nr. 237 / Ausgabe 9/02 | Seite 5 | |||||
Für ein soziales Oldenburg: gegen SozialabbauWir dokumentieren die Rede von Michael Bättig (ALSO) auf der Hauptkundgebung am 7.9.2002 auf dem Rathausmarkt: Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können stolz sein. Es gibt eine gute Nachricht: Es geht wieder aufwärts in Oldenburg. Heute haben sich fast 2.000 neue Firmen in Oldenburg gegründet. Wir alle zusammen sind 2.000 Ich-AGs. Und diese 2.000 Ich-AGs arbeiten alle in der selben Branche. Konkurrenzlos sozusagen. Denn wir haben eine riesige Marktlücke entdeckt. Wir haben ein Bedürfnis entdeckt, das trotz - oder gerade wegen - des riesigen Waren- und Dienstleistungsangebots unbefriedigt bleibt. Und ich meine damit nicht die Ich-AGs des Herrn Hartz und seiner Freunde. Ich meine nicht die Wiedereinführung von Dienstmägden, Wanderarbeitern, Schuhputzern und Scherenschleifern. Ich meine das Bedürfnis nach Solidarität und Zusammenhalt. Wir produzieren heute und hier Solidarität und sozialen Zusammenhalt. Und wir produzieren damit Gegenmacht - gegen eine Gesellschaft der sozialen Kälte, der Ausgrenzung und Armut, des Egoismus. Haushaltssituation Was ist der Anlaß dafür, daß wir uns heute abend hier versammelt haben? Es ist vordergründig der Umgang mit dem städtischen Haushalt. Für das laufende Jahr 2002 gibt es einen Fehlbedarf von 72,8 Mio. Euro. Aber es geht um viel mehr. Es geht darum, wie wir in Zukunft in unserer Stadt zusammenleben wollen. Die Verwaltung und die Mehrheitsfraktionen im Stadtrat von Oldenburg haben mit ihrem Sparkurs die Weichen dafür gestellt, daß die Probleme vor allem auf Kosten der Schwächsten gelöst werden sollen? Oberbürgermeister Schütz hat sämtliche bestehenden Verträge mit sozialen und kulturellen Einrichtungen zum Ende dieses Jahres kündigen lassen. Auf Vorschlag der Verwaltung hat der Rat der Stadt Oldenburg am 18. März Kürzungen bei einer Reihe von sozialen Einrichtungen bereits für dieses Jahr beschlossen: * Die Förderung des Therapie- und Beratungszentrums für Frauen läuft in diesem Jahr ganz aus. * Die Fahrpreisermäßigung für Sozialhilfeberechtigte ist gestrichen. * Die kostenlose Schwimmbadbenutzung für Sozialhilfeberechtigte ist gestrichen. * Die Bildungsgutscheine für Menschen mit geringem Einkommen sind gestrichen. * Bei der ALSO, bei DONNA 45, bei ProFamilia und bei der Beratungs- und Koordinationsstelle für Selbsthilfegruppen wird empfindlich gekürzt. * Vor ein paar Tagen mußte die Zufluchtstätte für Mädchen "runaway" wegen der Streichungen schließen. Durch diese Streichungen und Kürzungen bei den sozialen Einrichtugen werden 98.000 Euro eingespart. 98.000 Euro: Wir sind stolz darauf, damit den Fehlbedarf von 72,8 Mio. Euro um genau 0,13 Prozent verringert zu haben! Oberbürgermeister Schütz behauptet, daß alle gleichermaßen sparen müßten, daß alle von Kürzungen betroffen seien, da könnten die sozialen Einrichtungen nicht außen vor bleiben. Früher hieß es: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand. Vielleicht haben doch diejenigen recht, die behaupten, daß früher alles besser war... Denn was sind die Fakten für die Haushaltspolitik? * Im Jahre 2001 wurde der Betriebskostenzuschuß für die "Oldenburger Tourismus und Marketing GmbH" von 10.000 Euro auf 340.000 Euro angebhoben und er wurde in diesem Jahre nicht gekürzt! * Wenn die Verlust- und Zinszuschüsse an die "Weser-Ems-Halle" von knapp 3,6 Mio. auch um 10 Prozent gekürzt worden wären, hätte ein Viertel der eingesparten Summe genügt, um die sozialen Einrichtungen aufrechtzuerhalten. * In den Haushalt für das laufende Jahr nimmt die Stadt sogar noch einen neuen Posten auf: Mit 60.000 Euro übernimmt die Stadt die Personalkosten des Geschäftsführers der "Technologie- und Gründerzentrum Oldenburg GmbH". 60.000 Euro ist im übrigen genau die Summe, mit der bisher die ALSO gefördert wurde. Was sehen wir daran: Wo das Geld spricht, schweigt die Wahrheit. Denn wenn man unseren Einrichtungen 10 % wegnimmt, dann sind sie in ihrer Existenz bedroht - siehe das Frauentherapiezentrum und die Zufluchtstätte Runaway. Aber dort, wo es kaum etwas ausmachen würde, dort wird eben nicht gespart! Und was sehen wir noch daran: Daß es offensichtlich nicht nur ums Sparen geht! Dahinter verbirgt sich der Versuch, eine neue Politik für Oldenburg durchzusetzen. Investitionen zur Verschönerung der Stadt und für Industrie und Gewerbe werden als richtige Investitionen dargestellt, Investitionen in die soziale Infrastruktur dagegen als unproduktives Verschleudern von Geldern. Für dieses neue Leitbild der Politik zählt anscheinend nur eine Fähigkeit der Menschen: ihre Zahlungsfähigkeit. Liebe Freundinnen und Freunde, und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß zu dieser Politik dazu gehört, mit den Kürzungen vor allem unliebsame Einrichtungen mundtot zu machen. Wohl mit dem bösen Hintergedanken: Wenn die sozialen Probleme nicht mehr laut und öffentlich angeprangert werden, dann braucht man sich auch nicht mehr öffentlich darum zu kümmern. Aber: Wer kauft, was er eigentlich nicht braucht, muß, was er wirklich braucht, verkaufen. Was brauchen die Menschen in Oldenburg wirklich? Sie brauchen zu allererst gute Wohnungen, gute Schulen, gute Kindergärten, gute Schwimmbäder, gute soziale Leistungen, eine gute Grundversorgung. Wir brauchen Investitionen in und für unsere Kinder. Denn das sind wirklich Investitionen in die Zukunft. In Oldenburg müssen weit über 3.000 Kinder von der Sozialhilfe leben. Es kann doch nicht angehen, daß man diesen Kindern für 15.000 Einsparungen den freien Eintritt in Schwimmbäder streicht!
Gesellschaftlicher Reichtum - öffentliche ArmutWenn man mit den Politikern diskutiert, dann sagen sie irgendwann: Ja, aber es ist nunmal kein Geld da und zucken mit den Schultern. Die öffentlichen Kassen sind pleite. Manche wollen uns gar weismachen, wir befänden uns heute in einer ähnlichen Situation wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Es herrscht Knappheit und Arbeitslosigkeit, und wir müssen nur alle den Gürtel enger schnallen und kräftig in die Hände spucken, um uns wieder etwas zu erarbeiten. In der Tat, nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte echte Knappheit: Es herrschte Hunger und Armut bei vielen, weil es zu wenig Wohnungen, zu wenig zu essen, zu wenig Fabriken gab. Aber heute sind Menschen arbeitslos und arm nicht etwa, weil wir zu wenig Wohnungen, zu wenig zu essen oder zu wenig Waren oder Dienstleistungen hätten, sondern weil wir zu viel davon haben. Das ist doch der Zynismus dieser Gesellschaft. Der Reichtum den wir alle gemeinsam heute erarbeiten, das sogenannte Bruttoinlandsprodukt BIP, ist heute doppelt so hoch wie noch vor dreißig Jahren. Aber er ist auch doppelt so ungerecht verteilt. Mit wachsendem Reichtum wächst auch die Armut, und der Abstand zwischen Arm und Reich wird immer größer - weltweit.
Nur zur Erinnerung:* Heute betragen die privaten Nettovermögen in unserem Land rund 7500 Milliarden Euro. * Von 1980 bis 2000 stiegen die realen Nettogewinne der Unternehmen in Deutschland um 96,5 Prozent. * Der reale Nettolohn je Arbeitnehmer dagegen sank im selben Zeitraum um 0,4 Prozent. * Die Kluft zwischen Löhnen und Gewinnen hat sich seit 1980 also glatt verdoppelt. * Aber die Arbeitslosenquote hat sich in diesen zwanzig Jahren verdreifacht von 3,3 auf 9,6 Prozent. Und ich sage noch eine Zahl als Antwort auf diese unerträgliche Parole, daß wir alle sparen müssen und daß Leistung sich wieder lohnen müsse: * Von 1997 bis 2001 ist das Jahresergebnis vor Steuern der Deutschen Bank um 33 Prozent gesunken. Das durchschnittliche Monatseinkommen eines Vorstandsmitglieds ist im gleichen Zeitraum um 474 Prozent gestiegen. Leistung muß sich wieder lohnen. Ich weiß nicht, wieviele Zigtausend Arbeitsplätze diese Menschen noch nebenbei mit ihrer Arbeit vernichtet haben! Niemand soll sagen, daß es in diesem Land zu wenig Geld gibt!
SteuerpolitikWenn wir über unermeßlichen und wachsenden privaten Reichtum und gleichzeitig wachsende öffentlicher Armut reden, dann müssen wir natürlich auch über Steuern reden. Es ist mir völlig unverständlich, mit welcher Einmütigkeit in diesem Land davon geredet wird, daß die Steuern für die Unternehmen gesenkt werden müssen, damit das Wachstum wieder angekurbelt werden soll. Mir scheint, die eigentliche Macht der Unternehmer besteht darin, in allen Medien so lange jammern zu dürfen, bis ihnen die Fettpolster als Hungerödeme angerechnet werden. * Viele Städte stehen doch gerade vor dem Bankrott, weil die Unternehmen im Jahr 2001 bis zu 70 Prozeht weniger Gewerbesteuern bezahlt haben. Und keine Körperschaftssteuer mehr zahlen. * Das gesamte Steueraufkommen aus direkten und indirekten Steuern wird nur noch zu rund 15 Prozent durch Steuern auf Gewinn- Kapitaleinkommen gespeist, aber zu 75 Prozent aus Steuern, die wir, die abhängig Beschäftigten zahlen müssen.
Reformen - was war das noch?Wissen eigentlich die jüngeren Mitstreiterinnen und Mitstreiter noch, daß "Reform" einmal der Begriff für positive Veränderung im Interesse der abhängig Beschäftigten war? Wenn wir heute das Wort hören, zucken wir unwillkürlich zusammen: Was kommt nun wieder? Noch mehr Arbeit, noch weniger Geld, noch höhere Preise oder die Schließung einer weiteren sozialen oder kulturellen Einrichtung? Und was eine Regierung nicht alles reformieren könnte. Sie könnte: * mit einer Reform des Arbeitszeitgesetzes die Überstunden einschränken, * die wöchentliche erlaubte Arbeitszeit von 60 auf 50 Stunden senken, * wie in Holland Teilzeitarbeit massiv fördern, * wie in Frankreich mit der gesetzlichen Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich 500.000 neue Arbeitsplätze schaffen, * statt Billigjobs zu fördern einen Mindestlohn einführen, der die Existenz sichert, * mit einer angemessenen Grundsicherung die Unternehmer zwingen, existenzsichernde Arbeitsplätze zu schaffen, statt die Erwerbslosen zu Sklavenhändlern zu zwingen, * wachsende Armut bekämpfen, indem sie Kinder und Familien gezielt fördert, * mit einem öffentlich geförderten Beschäftigungsprogramm zu vernünftigen Lohn- und Arbeitsbedingungen kommunale und soziale Infrastruktur erhalten und ausbauen, * mit der Wiedereinführung der Vermögenssteuer, der Erbschaftssteuer und der Steuer auf den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen mehrere hundert Milliarden für anspruchsvolle Arbeit und gegen die Verarmung unserer Städte bereitstellen. Wie viele von uns haben 1998 rotgrün gewählt, in der Hoffnung auf diese Reformen?
ArbeitslosigkeitStattdessen sind den Unternehmen in den letzten zwanzig Jahren Steuererleichterungen, Lohnzurückhaltung, Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeit doch geradezu nachgeschmissen worden. Und was ist aus all den Versprechungen geworden, dafür mehr Arbeitsplätze einzurichten? Daraus ist die mittlerweile zwanzigjährige Geschichte der Massenarbeitslosigkeit geworden mit ihrem traurigen Höhepunkt, daß wir in diesem Jahr bereits im Sommer mehr als vier Millionen gemeldete Arbeitslose haben. Selbst wenn die Wirtschaft wächst, wird in Rationalisierungsmaßnahmen investiert, die Produktivität steigt, und weitere Arbeitsplätze werden abgebaut. Und welcher vernünftige Mensch kann angesichts des Ressourcenverbrauchs und der Umweltkatastrophen noch immer blindwütig wieder und wieder Wirtschaftswachstum und Steuererleichterungen fordern? Es gibt bislang keine echte durchgreifende Reform, die etwa den weiteren Abbau von Arbeitsplätzen verhindern könnte. Und es gibt keine einzige durchgreifende Maßnahme, die zusätzliche Arbeitsplätze schaffen würde. Was es gibt, ist ein dicker Hartzer-Käse, der uns fünf Minuten vor den Wahlen aufgetischt wird. Und das Ärgerlichste an diesem Hartzer-Käse ist, daß damit noch einmal mehr in der Öffentlichkeit der Eindruck hergestellt wird: 1. Wenn nur die Vermittlung effektiver wird, dann sinkt auch die Arbeitslosigkeit 2. Schuld an der Arbeitslosigkeit sind nur die Vermittlungshemmnisse der Arbeitslosen selbst. Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlaubt mir diesen einen kritischen Seitenhieb auf unsere Gewerkschaftsspitzen: Wenn in Italien oder Spanien Leistungskürzungen für Arbeitslose durchgesetzt werden sollen, dann treten dort 3 bis 4 Millionen Beschäftigte und ihre Gewerkschaften in den Streik und zwingen ihre Regierungen, diese Maßnahmen zurückzunehmen. Wenn in Deutschland Leistungskürzungen für Arbeitslose durchgesetzt werden sollen - und ich sage nur ein Beispiel: Das Hartz-Konzept sieht vor, daß Arbeitslose zu Hunderttausenden gezwungen werden sollen, bis zu sechs Monate lang Leiharbeit ohne Lohn zu verrichten - was machen dann die deutschen Gewerkschaften? Sie schnüffeln so lange an dem stinkenden Käse herum, bis sie eine Ecke entdeckt haben, die nicht ganz so schlimm nach Käse riecht. Und dann stecken sie noch schnell ein paar Körner Kümmel hinein, damit der ganze Käse etwas besser verdaulich wird. Machen wir uns bitte immer wieder klar, daß allein in der Stadt Oldenburg 15.000 Arbeitsplätze fehlen. Wir dürfen nicht den Fehler machen, die Schuld für fehlende Arbeitsplätze den Arbeitslosen in die Schuhe zu schieben. Sie sind die Opfer, nicht die Schuldigen. Auf ihrem Rücken wird die Krise der Marktwirtschaft ausgetragen. Sie haben zu wenig Geld. Ihre Lebensperspektive ist zerstört. Sie und ihre Kinder leiden als erste unter verarmten Kommunen. Es dürfen nicht weiter die Arbeitslosen bekämpft werden statt der Arbeitslosigkeit. Kolleginnen und Kollegen aus den städtischen Ämtern und Betrieben, Kolleginnen und Kollegen aus den Arbeitsämtern! Wir wissen, daß auch bei Euch Personal abgebaut wird und die Arbeitsbedingungen sich zunehmend verschlechtern. Das neue Leitmotiv für die Beschäftigten in den Arbeitsämtern heißt "Beschäftigungsfähigkeit statt Arbeitsplatzsicherheit" - so steht es im Hartz-Konzept: "Beschäftigungsfähigkeit statt Arbeitsplatzsicherheit". Nun, ein solches Motto wirkt natürlich umso motivierender, desto lebendiger es von den eigenen Vorgesetzten vorgelebt wird. Florian Gerster, der neue Chef-Manager der neuen Bundesagentur für Arbeit geht da mit leuchtendem Beispiel voran: In seinem Arbeitsvertrag steht nämlich drin, daß ihm sein Gehalt garantiert noch 5 Jahre weitergezahlt wird, nachdem er seinen Job, egal warum und wann, beendet. Das nenne ich ein gelungenes Vorbild für das Motto: "Beschäftigungsfähigkeit statt Arbeitsplatzsicherheit". Kolleginnen und Kollegen, wenn ich das höre und weiter höre, wie sich eure Arbeitsbedingungen durch Einstellungsstop und Arbeitsdruck ständig verschärfen, dann verstehe ich nicht, wieso ihr euch nicht öffentlich mit unserem Abwehrkampf solidarisiert. Wir haben die gleichen Interessen. Beteiligt Euch aktiv am Kampf gegen Sozialabbau, für ein soziales Oldenburg!
Amerikanisierung der StädteLiebe Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen. Ich kann nicht anders, ich muß euch einfach ein Zitat vorlesen. Ein Zitat, das unsere aktuelle Situation besser auf den Punkt bringt, als wir das bisher selbst getan haben. Darüberhinaus ist es ja ein äußerst seltenes Erlebnis, daß einem ein Politiker mal so richtig aus dem Herzen spricht: "Und all dies, was vor Ort für die Menschen getan wird, gehört rechtlich zu den so genannten "freiwilligen Leistungen" der kommunalen Selbstverwaltung. Für das Leben in den Städten, Gemeinden und Landkreisen sind es aber eigentlich soziale und politische Pflichtaufgaben. Sie müssen indes aus dem eigenen Finanzaufkommen der Kommunen finanziert werden und sind deshalb in der aktuellen dramatischen Finanzkrise in Gefahr. Denn diese "freiwilligen Leistungen", diese elementaren sozialen Integrationsleistungen unserer Kommunen, sind nicht marktfähig. Wer sie privatisieren will, entscheidet sich letztlich für die Streichung, denn auch dort, wo private oder freie Träger kommunale Angebote und Aufgaben übernehmen, bedürfen sie immer erheblicher Zuschüsse durch die öffentliche Hand. Letztlich geht es um die Frage, ob wir in Deutschland "privatisierte" Städte, Gemeinden und Landkreise wollen, wie z. B. in den USA oder in großen Teilen Großbritanniens, die nur noch die absolut überlebensnotwendigen "Herz-Kreislauf-Funktionen" wie Stromversorgung, Wasser- und Abwasserversorgung bereit stellen, oder ob auch die hochdifferenzierten feinen Verästelungen der kommunalen Versorgung, sozusagen das "vegetative Nervensystem", also das soziale und kulturelle Zusammenleben wieder funktionieren soll. Es geht um die Entscheidung: Wollen wir vielfältige vitale oder verarmte privatisierte Kommunen? Nicht nur Sozialdemokraten ist die Antwort klar: Man weiß, daß nur sehr wohlhabende Menschen auch bequem in armen Städten leben können." Nun, dieses Zitat stammt von unserem niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel, SPD . Er hat das veröffentlicht vor gut einem Monat in der Frankfurter Rundschau. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der Stadt Oldenburg! Wollt ihr euren Ministerpräsidenten so kurz vor der Wahl dermaßen als Schwätzer bloßstellen?
ArbeitsdienstIch frage euch hier, wie unsere Stadt in Zukunft aussehen soll: * Ist es eine freiwillige Aufgabe unserer Kommune, daß in den Schulen die Fenster geputzt und eine jährliche Grundreinigung durchgeführt wird? * Ist es eine freiwillige Aufgabe unserer Kommune, daß Schulen, Kindergärten, Sporthallen und Schwimmbäder instandgehalten werden? * Ist es eine freiwillige Aufgabe unserer Kommune, daß auf den Spielplätzen der Sand für unsere Kinder regelmäßig ausgetauscht wird? * Ist es eine freiwillige Aufgabe der Kommune, unsere Grünflächen zu pflegen und den Müll zu beseitigen? Wenn wir uns darüber einig sind, daß das selbstverständlich Aufgaben unserer Kommune sind, wofür wir schließlich auch Steuern zahlen, dann frage ich weiter: * Wollen wir allen Ernstes durchsetzen, daß in unserer Demokratie Sozialhilfeberechtigte gezwungen werden, diese notwendigen Arbeiten in Arbeitskolonnen und ohne Lohn zu verrichten? Wenn man arbeitslose Menschen sechs Monate lang zur Arbeit für die Stadt zwingt, ohne Lohn, ohne Beiträge in die Arbeitslosenversicherung, ohne Beiträge in die Alterssicherung, und genau weiß, daß es keine Perspektive auf eine existenzsichernde Arbeit danach für sie gibt, sondern sie genau so wieder in die Sozialhilfe zurückfallen läßt wie vorher, dann ist es zynisch und demagogisch, in der Öffentlichkeit von der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu sprechen. Hier werden Sozialhilfeberechtigte nicht auf reguläre Arbeit vorbereitet, sondern von der Stadt als Jobkiller mißbraucht, um regulär bezahltes Personal einzusparen. Das nennen wir Arbeitsdienst.
Politische PerspektivenLetztendlich liegt doch alles an der Globalisierung, sagen die Politiker und zucken wieder mit den Schultern. Gerade rot-grüne Regierungen verweisen wechselseitig immer gern auf die neoliberalen Maßnahmen der jeweils anderen Regierungen. * Warum unterstützen sie nicht die Streiks der Gewerkschaften gegen Lohnkürzungen und Aufweichung des Kündigungsschutzes? * Warum werden die Demonstrationen und Generalstreiks von Millionen Menschen in Spanien, Italien und Frankreich nicht als positive Bezugspunkte genommen. Wenn man schon immer jammert, daß man national im Alleingang gegen die übermächtigen Konzerne nichts ausrichten könne, dann soll man doch auch mal anfangen, wenigstens in den europäischen Nachbarländern den Widerstand gegen die Diktatur und den Terror der Ökonomie zu unterstützen! Wenn man aber an den Konzernen und Unternehmerverbänden vorbei keine positive Veränderung für Arbeitslose, Arme und Ausgegrenzte durchsetzen kann oder will, dann sollte man das auch ehrlich zugeben.
Schluß mit den Wahllügen.Wenn anscheinend am ehernen Gang der Öknomie doch nichts zu ändern ist: Warum dann wählen? Sollen wir Lügen, schwarze Koffer und Bonusmeilen wählen? Wenn ich lese, daß der Bundesverkehrsminister sich in Varel für sechzig Meter Fußweg vom Hubschrauber zum Tagungshotel seinen Dienstwagen aus Berlin kommen läßt, aber unsere sozialen Einrichtungen hier wegen popeliger Hunderttausend Euro in ihrer Existenz bedroht sind, dann werde ich stinksauer! Deshalb organisieren sich Betroffene und vor allem Jugendliche in unabhängigen außerparlamentarischen Bewegungen. Mal sehen, wann wir auch hier in Deutschland mehr und mächtiger werden.
KommunalpolitikUnd wie haben wir die Demokratie in unserer Kommunalpolitik in den letzten Jahren erlebt? Seitdem unsere Verträge im Dezember letzten Jahres gekündigt worden sind - übrigens ohne daß irgendjemand aus Politik oder Verwaltung es mal für nötig gehalten häte, mit uns darüber zu sprechen - seit Dezember letzten Jahres also, werden wir zwischen Verwaltung und den Ratsfraktionen hin und her geschickt. Die Verwaltung sagt, wendet euch an die Politk, die entscheidet. Die politischen Fraktionen sagen, wir können gar nichts sagen, solange die Verwaltung keinen Haushaltsentwurf vorlegt. Wenn der Haushaltsentwurf endlich vorliegt, sagen die Politiker: Wir müssen erst in der Fraktion beraten, vorher können wir gar nichts sagen. Nach der Fraktionsberatung heißt es: Wir müssen erst in der Koalition verhandeln, vorher können wir gar nichts sagen. Nach den Koalitionsverhandlungen aber stehen die Ergebnisse fest. Die Diskussionen in den Fachausschüssen und im Stadtrat sind aber eine Farce, weil die Abstimmungsergebnisse dann bereits feststehen. Nun kann man sagen: Das ist nun mal der Gang in einer Demokratie. Und vor November oder Dezember wird es auf keinen Fall klare Aussagen über einzelne Haushaltsposten geben. Nach außen wird so der Eindruck erweckt, als wenn die Entscheidungen wegen dieser scheinbar demokratischen Beratung solange aufgeschoben werden müßten. Das Hinterhältige an diesem Vorgehen ist aber, daß mit diesem Vorgehen tatsächlich jetzt und heute bereits gravierende Entscheidungen getroffen werden. Denn wenn die Einrichtungen solange im Unklaren gelassen werden, heißt das * daß sie jetzt ihren MitarbeiterInnen kündigen müssen, * daß sie jetzt die Mietverträge kündigen, * daß jetzt die Drittmittel verloren gehen, weil die Anträge nicht * rechtzeitig gestellt werden können! Ich sage den verantwortlichen KommunalpolitikerInnen hier und heute, und ich spreche uns wohl allen aus dem Herzen: Wir haben keine Lust mehr, uns verarschen zu lassen! Nehmt Eure Verantwortung wahr! Macht nicht weiter den Fehler, eure eigene Hilflosigkeit gegenüber der Finanzmisere auf dem Rücken der Schwächsten auszutragen, denn das tut ihr, auch wenn ihr scheinbar nichts tut! Nehmt die Kürzungen im sozialen und kulturellen Bereich zurück! Stellt einen Haushalt auf - nicht nach dem Spardiktat, sondern nach dem tatsächlichen Bedarf! Kämpft mit uns gemeinsam für ein soziales Oldenburg - wenn es sein muß, auch gegen die Auflagen der Bezirksregierung!
Liebe Freundinnen und Freunde, Wir haben VertreterInnen aller Fraktionen des Oldenburger Stadtrats noch einmal zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen. Am Donnerstag, 12. September, um 20 Uhr, im PFL haben sie noch einmal vor den Wahlen Gelegenheit, ihre Verantwortung wahrzunehmen und uns verbindliche und klare Antworten zu geben, wie es in Oldenburg weitergehen soll. Liebe Freundinnen und Freunde, es liegt natürlich an uns, ob das eine weitere langweilige Wahlkampfveranstaltung wird, oder ob wir unseren "VolksvertreterInnen" deutlich machen können, daß sie tatsächlich etwas ändern können und müssen. Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Wir dürfen natürlich unsere Hoffnung nicht darauf setzen, daß die Kommunalpolitik sich schnell ändert und unsere Forderungen bereitwillig aufnimmt. Sondern dafür müssen wir den Weg weitergehen, den wir heute eingeschlagen haben, den Weg zurück auf die Straße. Wir müssen eine scheinbar übermächtige Stimmung in der Gesellschaft kippen, die sagt: Kämpf dich alleine durch! Denk nur an dich und kümmere dich nicht um andere! Stelle keine Ansprüche mehr an die Gesellschaft! Aber wir haben heute einen riesigen Schritt getan. Wir haben aus Hunderten vereinzelter Ich-AGs eine Wir-AG gemacht. Wir haben Solidarität und sozialen Zusammenhalt praktiziert. Wir haben Stärke und Macht demonstriert. Laßt uns diesen Weg gemeinsam weiter gehen: Gegen Sozialabbau, für ein soziales Oldenburg!
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