Den Krieg in Afghanistan stoppen
Deutsche Kampftruppen zurückziehen
Den Krieg gegen Irak verhindern
Anläßlich des ersten Jahrestags des Beginns der Bombardierung
Afghanistans durch britische und US-Kampfflugzeuge veröffentlichte der
Bundesausschuß Friedensratschlag eine Erklärung, in der er den "Krieg
gegen den Terror" für gescheitert erklärt und die Politik zur Umkehr
auffordert.
Der Afghanistan-Krieg habe weder die Probleme des Landes
(Flüchtlingsprobleme, Unterernährung) einer Lösung näher gebracht, noch
zur Ergreifung Osama bin Ladens geführt, noch den internationalen Terror
besiegt. Stattdessen habe der Krieg Tausenden von Zivilpersonen das
Leben gekostet. Positive Veränderungen seien allenfalls für die
Hauptstadt Kabul festzustellen, ein von der internationalen Gemeinschaft
zu Vorzeigezwecken gepflegtes "UNOtop".
Aus diesen Gründen fordert die Friedensbewegung ein sofortiges Ende des
"Anti-Terror-Kriegs". Diese Forderung wird insbesondere auch an die
Bundesregierung gestellt, die immer noch KSK-Kampftruppen in
Afghanistan, Spürpanzer in Kuwait und Marineverbände in der Golfregion
hat.
Auch gelte es, den "nächsten Krieg" zu verhindern, den geplanten Krieg
gegen Irak. In diesem Krieg gehe es den USA weder um die Bekämpfung des
Terrorismus noch um die angebliche Bedrohung der Welt durch irakische
Massenvernichtungswaffen. Vielmehr werde hier "ein kalkulierter
Massenmord vorbereitet um strategischer und wirtschaftlicher
(Öl-)Interessen Willen." Dabei werde in fahrläsiger Weise "die Gefahr
eines unkalkulierbaren Ausbruchs neuer Gewalt in der arabischen Welt" in
Kauf genommen.
Die Friedensbewegung begrüßt daher auch die ablehnende Haltung der
Bundesregierung zu einem Irak-Krieg, fordert aber auch konkrete
Handlungen von ihr, so z.B. die Verweigerung von Überflugrechten für
US-Militärflugzeuge im Fall eines Krieges.
Sehr angetan zeigt sich die Friedensbewegung von der jüngsten Erklärung
von 120 Künstler, Wissenschaftlern und Schriftstellern "Nicht in unserem
Namen". Diese Initiative wird von der Friedensbewegung als "Angebot für
ein gemeinsames Engagement gegen den drohenden Krieg" begriffen: "in
Theater- und Konzertsälen, in Universitäten und Kunsthochschulen und auf
der Straße."
Die vollständige Erklärung zum Jahrestag des Beginns der Bombardierung
Afghanistans folgt im Anhang.
Für den Bundesausschuß
Friedensratschlag:
Dr. Peter Strutynski (Sprecher)
e-mail: strutype@uni-kassel.de
http://www.friedensratschlag.de
Erklärung
zum ersten Jahrestag des Beginns des Afghanistan-Krieges
Den Krieg in Afghanistan stoppen
Den Krieg gegen Irak verhindern
Krieg ist keine Lösung
Ein Jahr nach Beginn der Bombenangriffe auf Afghanistan appelliert die
Friedensbewegung an die USA, Großbritannien sowie andere am Krieg
beteiligte Staaten einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, den
"Krieg gegen den Terror" einzustellen und sich endlich jener Mittel zu
bedienen, die rechtsstaatlich geboten und politisch verantwortbar sind.
Über 20.000 Tote in Afghanistan
Bis heute hat die US-Regierung keine eigenen Daten über die Kriegstoten
und die durch den Krieg verursachten sonstigen Schäden herausgegeben.
Unabhängige Experten haben gleichwohl errechnet, daß allein die Zahl
der getöteten Zivilpersonen mehrere Tausend betragen muß. Marc Herold,
Professor für Wirtschaftswissenschaften, hat in einem akribischen
Verfahren bereits nach zwei Monaten Krieg im Dezember 2001
herausgefunden, daß damals rund 5.000 Zivilisten, darunter viele Frauen
und Kinder bei Bomben- und Raketenangriffen ums Leben gekommen sind. Sie
starben durch Streubomben (Cluster Bombs), neuartige "thermobarische"
Bomben, "Daisy Cutter"-Bomben, durch B-52-Flächenbombardements,
Marschflugkörper mit Schrapnell-Gefechtsköpfen oder Bomben mit
DU-Munition. Zählt man die Taliban-Soldaten oder Al-Qaida-Kämpfer hinzu,
die bis zum heutigen Tag bei Kampfhandlungen oder in Gefangenschaft
getötet wurden, so steigt die Zahl der Toten dieses Krieges auf über
20.000. Darunter befinden sich auch jene bis zu 3.000 Kämpfer, die bei
Mazar-i-Sharrif gefangen genommen worden waren und anschließend spurlos
verschwanden. Der britische Journalist Jamie Doran hat Beweise
gesammelt, wonach diese 3.000 Männer einem Massaker zum Opfer gefallen
sind, verübt von Soldaten der Nordallianz unter den Augen von
US-Armeeangehörigen. (Le Monde diplomatique, 9/2002).
Elend in Afghanistan:
heute wie vor einem Jahr
Vor einem Jahr, am 24. September 2001 gaben die
UN-Kinderhilfsorganisation UNICEF, das Welternährungsprogramm WFP, die
UN-Flüchtlingshilfsorganisation UNHCR, das UN-Entwicklungsprogramms
UNDP, das Büro für Koordination humanitärer Angelegenheiten OCHA und die
UN-Menschenrechtshochkommission
UNHCHR eine gemeinsame Erklärung zur humanitären Krise in Afghanistan
heraus, wonach sich "in Afghanistan .. eine humanitäre Krise von
unfaßbarem Ausmaß" ausbreite. Darin hieß es z.B., daß bis 1. November
2001 5,5 Millionen Menschen von internationalen
Nahrungsmittellieferungen abhängig sein würden. Fast 20 Prozent der
Hilfsbedürftigen waren Kinder unter fünf Jahren, sagte UNICEF. Viele
Kinder kämpfen bereits um ihr Überleben.
Ein Jahr später, am 4. Oktober 2002, dem "Tag des Flüchtlings", rufen
UNICEF und UNHCR, das Kinder- und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten
Nationen, wiederum zu mehr Hilfe und einem besseren Flüchtlingsschutz
für Afghanistan auf. 1,25 Millionen Kinder seien zur Zeit auf Spenden
angewiesen. Etwa die Hälfte der Kinder sei chronisch mangelernährt. Es
fehle auch an Winterkleidung und Schutzmaterialien.
Diese Zahlen besagen: Kein Problem in Afghanistan ist durch den Krieg
gelöst worden. Die geringen Fortschritte im Land beschränken sich fast
ausschließlich auf die Hauptstadt Kabul, eine Art UNOtop, das der Welt
zu beweisen versucht, daß die militärische Intervention zur Befriedung
einer Region beitragen könne.
Den Krieg stoppen -
deutsche Truppen abziehen
Es wird weiter gestorben in Afghanistan. Es fallen weiter Bomben -
manchmal auf friedliche Hochzeitsgesellschaften - und es wird weiter
Jagd auf "Terroristen" gemacht. Deutschland ist seit dem
Entsendebeschluß vom 16. November 2001 mit einer nicht exakt bekannt
gegebenen Zahl von KSK-Soldaten (KSK: Kommando Spezialkräfte) mit von
der Partie. Sämtliche Fragen nach Auftrag, Art, Umfang und Ergebnis der
Einsätze der KSK-Einheiten sind bisher vom Bundesverteidigungsminister
unbeantwortet geblieben. Auch die Frage, wie viele Gefangenen bisher
gemacht und wie viele davon den US-Streitkräften zur weiteren
"Behandlung" übergeben wurden, bedarf einer Antwort.
Die Friedensbewegung fordert ein sofortiges Ende des Krieges in
Afghanistan. Sie fordert ein Stopp des "Krieges gegen den Terror" und
eine Beendigung des Feldzuges "Enduring Freedom". Die deutschen
KSK-Truppen sind genauso aus Afghanistan abzuziehen, wie die Spürpanzer
Fuchs mit Besatzung aus Kuwait zurückgerufen werden müssen. Nichts zu
suchen haben auch die Marineverbände im Golf von Aden und vor den Küsten
Ostafrikas. Das für ein Jahr ausgestellte Bundestagsmandat für diese
Einsätze läuft spätestens am 16. November aus. Es darf um keinen Tag
verlängert werden.
Den nächsten Krieg verhindern
Trotz der offensichtlichen Erfolglosigkeit des bisherigen
Anti-Terror-Krieges bereiten die USA mit aller Energie den nächsten
Krieg vor. Ob mit oder ohne UN-Mandat: In den USA scheint der Krieg
gegen den Irak beschlossene Sache. Noch eindeutiger als im Falle
Afghanistans sind die Gründe für einen solchen Krieg lediglich
vorgeschoben: Daß der Irak mit seinen Resten an
Massenvernichtungswaffen, über die er vielleicht noch verfügt, den USA
in irgend einer Weise gefährlich werden könnte, glaubt heute kein Mensch
mehr. Völlig ausgeschlossen scheint zu sein, daß Saddam Hussein mit den
Terroranschlägen vom 11. September 2001 etwas zu tun hat. Dennoch müssen
beide Gründe dafür herhalten, einen Präventivkrieg gegen den Irak
vorzubereiten.
Die Bundesregierung ist gut beraten, wenn sie ihre ablehnende Haltung
gegenüber diesem Krieg auch nach der Wahl aufrecht erhält. Dabei geht es
nicht darum, einen besonderen "deutschen Weg" zu reklamieren, sondern
eine friedensorientierte Politik der internationalen Beziehungen zu
formulieren und im europäischen Kontext gegen die imperiale
Kriegspolitik der Vereinigten Staaten geltend zu machen. Ein Krieg gegen
Irak wird noch weniger "glimpflich" verlaufen als der Krieg in
Afghanistan. Letztlich wird hier ein kalkulierter Massenmord vorbereitet
um strategischer und wirtschaftlicher (Öl-)Interessen Willen. In Kauf
genommen wird außerdem die Gefahr eines unkalkulierbaren Ausbruchs neuer
Gewalt in der arabischen Welt. Wer sich für all das hergibt oder ein
solches Treiben unterstützt, macht sich mitschuldig und wird zum
potenziellen Kandidaten für die Anklagebank beim Internationalen
Strafgerichtshof.
Für die Bundesregierung heißt dies:
· keine finanzielle Unterstützung für einen Krieg gegen Irak;
· keine logistische Hilfe etwa in Form der Überlassung der
Nutzungsrechte deutschen Luftraums für US-Kampfflugzeuge;
· Verweigerung der Nutzung von US-Stützpunkten in Deutschland für diesen Krieg;
· keine indirekte Unterstützung des Krieges etwa dadurch, daß deutsche
Truppen auf dem Balkan und in Afghanistan verstärkt werden, um dadurch
die USA für ihren Truppenaufmarsch gegen Irak zu entlasten.
Wer den Irak-Krieg für falsch und gefährlich hält, muß ihn zu
verhindern versuchen. Dies gebieten außerdem das Völkerrecht und das
deutsche Grundgesetz, wonach Angriffskriege verboten sind.
Krieg ist keine Lösung
Die Friedensbewegung sieht sich in ihrer Anti-Kriegs-Haltung einig mit
einer großen Mehrheit der Bevölkerung hier zu Lande und in anderen
europäischen Staaten. Auch in den USA wächst der Widerstand gegen den
Kriegskurs der Bush-Regierung, wie die breite Resonanz auf den Aufruf
"Nicht in unserem Namen" zeigt.
Ein Aufruf gleichen Namens ist soeben auch von 120 Künstlern,
Wissenschaftlern und anderen Intellektuellen in Deutschland
veröffentlicht worden. Die Friedensbewegung begrüßt diese Initiative und
begreift sie zugleich als Angebot für ein gemeinsames Engagement gegen
den drohenden Krieg - in Theater- und Konzertsälen, in Universitäten und
Kunsthochschulen und auf der Straße.
Daß Krieg keine Lösung ist im Kampf gegen den Terrorismus, ist die
wichtigste Erkenntnis aus dem bisherigen Verlauf von "Enduring Freedom".
In dem Aufruf "Nicht in unserem Namen heißt es dazu: "Wer den
Terrorismus wirksam bekämpfen will, muß die Vereinten Nationen stärken,
damit sie dem Recht überall auf der Welt Geltung verschaffen können. Wer
den Terrorismus wirksam bekämpfen will, darf nicht auf eigene Faust
Rache üben, sondern muß dafür sorgen, daß ein internationales
Gewaltmonopol unter dem Dach der Vereinten Nationen durchgesetzt wird,
das den Frieden weltweit sichern kann. Wer den Terrorismus wirksam
bekämpfen will, muß auch seine sozialen Ursachen ins Auge fassen, vor
allem die ungerechte Verteilung der Reichtümer der Erde und die
Demütigung fremder Kulturen durch die Arroganz einiger Führer des
Westens."
Kassel, den 6. Oktober 2002
Bundesausschuß Friedensratschlag
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