Oldenburger STACHEL Nr. 238 / Ausgabe 10/02      Seite 3
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

400 Plätze fehlen bei Kindertagesstätten

Offener Brief des Stadtelternrat der Oldenburger Kindertagesstätten an: OB, Ratsfraktionen, Regierungspräsidenten sowie nachrichtlich an Oldenburger Medien

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Bestürzung haben wir die von der Stadtverwaltung / Jugendamt im Jugendhilfeausschuß vorgestellten Ergebnisse zur Versorgungssituation im Kindergartenbereich zur Kenntnis nehmen müssen.

Demnach fehlen im kommenden Kindergartenjahr ungefähr 400 Kindergartenplätze. Ein Fehlbedarf in dieser Größenordnung ist in einer kinderreichen Stadt wie Oldenburg auch für kurze Zeit nicht hinnehmbar. Wir fordern daher Politik und Verwaltung zu folgenden Maßnahmen auf:

· sofortige Ausnutzung aller bereits vorgestellten kurzfristig durchführbaren Maßnahmen, auch wenn sie nicht wirtschaftlich erscheinen

· nochmalige Erkundung, ob die Träger aufgrund der dramatischen Situation weitere Aufstockungs- und Ergänzungsmaßnahmen anbieten können

· Beschleunigung des Baus und der Fertigstellung der geplanten neuen Kindertagesstätten

Da voraussichtlich diese Maßnahmen nicht ausreichen werden, Planung zusätzlicher neuer Einrichtungen bzw. Prüfung, ob nicht zusätzlich bestehende Einrichtungen erweitert werden können

Auch wir wissen um die dramatische Haushaltslage der Stadt Oldenburg und die damit verbundenen Auflagen der Bezirksregierung. Wir weisen daher darauf hin, daß die Stadt Oldenburg als Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu Einhaltung folgender gesetzlicher Regelungen des Sozialgesetzbuchs VIII bzw. des Kindertagesstättengesetzes verpflichtet ist (Hervorhebungen durch uns):

"die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben (...)   den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Personensorgeberechtigten für einen mittelfristigen Zeitraum zu ermitteln und (...) die zur Befriedigung des Bedarfs notwendigen Vorhaben rechtzeitig und ausreichend zu planen; dabei ist Vorsorge zu treffen, daß auch ein unvorhergesehener Bedarf befriedigt werden kann." (SGB VIII § 80 Abs. 1 Satz 1-3)

"Ein Kind hat vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt Anspruch auf den Besuch eines Kindergartens. Für Kinder im Alter unter drei Jahren und für Kinder im schulpflichtigen Alter sind nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, daß ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht" (SGB VIII §24)

"Jedes Kind hat (...) einen Anspruch auf den Besuch eines Kindergartens. Der Anspruch richtet sich auf einen Platz in einer Vormittagsgruppe eines Kindergartens oder einer dem Kindergarten entsprechenden Kleinen Kindertagesstätte. Der Anspruch ist (...) möglichst ortsnah zu erfüllen." (niedersächsisches Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) § 5 Abs. 1)

"Soweit ein ausreichendes Angebot an Plätzen nicht zur Verfügung steht, kann der Rechtsanspruch auch durch das Angebot eines gleichwertigen Platzes in einer Nachmittagsgruppe eines Kindergartens oder in einem Kinderspielkreis erfüllt werden." (ebd. Abs. 3)

"Die örtlichen Träger stellen das vorhandene Angebot an Plätzen in Krippen, Kindergärten, Horten sowie in Kleinen Kindertagesstätten und den entsprechenden Bedarf an Plätzen in diesen Einrichtungen für die nächsten sechs Jahre fest. Die Bedarfszahlen sind jährlich fortzuschreiben. Bei der Feststellung des Bedarfs ist eine möglichst ortsnahe Versorgung anzustreben." (niedersächsisches Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) § 6 Abs. 1)

Kurz zusammengefaßt: es handelt sich bei der Versorgung der Familien Oldenburgs mit Betreuungsplätzen im Krippen-, Kindergarten- und Hortbereich nicht um eine Leistung, über deren Finanzierbarkeit Gedankenspiele möglich sind; vielmehr handelt es sich um eine Pflichtaufgabe der Stadt Oldenburg wie so viele andere auch. Sollte die Stadt diese Aufgaben nicht erfüllen, muß sie damit rechnen, daß Eltern die von ihren Kindern benötigten Plätze einklagen werden, was wir allen betroffenen Eltern hiermit ausdrücklich empfehlen.

Wir fordern zur Erfüllung dieser Pflichtaufgabe für die Zukunft weiterhin:

im Bereich der Kindergärten eine 100%ige Bedarfsdeckung spätestens ab dem Kindergartenjahr2003/2004 sowie eine laufende Fortschreibung der Bedarfserhebung und der daraus resultierenden Kindertagesstättenplanung

im Bereich der Horte eine Fortschreibung der Bedarfserhebung, eine dem Bedarf entsprechende mittelfristige Ausbauplanung sowie eine kurzfristige Deckung des vorhandenen Bedarfs im Bereich der Krippen die Durchführung einer Bedarfserhebung bis zum Ende des Kindergartenjahres 2002/2003 sowie die Deckung des so ermittelten Bedarfs bis Ende des Kindergartenjahres 2003/2004.

Bei allen Planungen für die Zukunft sind Reserven für unvorhergesehene Bedarfe lt. SGB VIII § 80 zu bilden.

Für alle vorgenannten Maßnahmen sind im notwendigen Umfang Haushaltsmittel vorzusehen und bereitzustellen, da es sich um Pflichtaufgaben der Stadt Oldenburg handelt.

Über die bis jetzt angesprochene formale Ebene hinaus gibt es natürlich noch eine weitere, die uns mindestens so wichtig ist:

In einer Zeit, in der überall über die Bildungsmisere, PISA-Studien, notwendige Flexibilität von Arbeitnehmern usw. geredet wird, erfüllen die Kindertagesstätten einen wichtigen Erziehungsauftrag. Diesen können sie nur erfüllen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gehört auch eine rechtzeitige und ausreichende Bereitstellung von Finanzmitteln. Politik und Verwaltung haben dies in Oldenburg leider versäumt. Wir erkennen durchaus die bisherigen Bemühungen an; wie man sieht, reichen sie jedoch in keinem der drei Bereiche (Krippen, Kindergärten, Horte) zur Deckung des vorhandenen Bedarfs aus. Wir fordern daher die politischen Entscheidungsträger in Oldenburg auf, die genannten Bereiche in Zukunft mehr unter der Perspektive eines "Projektes" wie z.B. des Hallenbad-Neubaus oder der Sportarena zu sehen. Auch eine gute Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen ist ein lohnenswertes und interessantes Großprojekt!

Im übrigen würde sich ein solches Großprojekt mit Sicherheit refinanzieren: die Stadt Zürich hat im Jahre 2001 in einer Studie ermittelt, daß jeder im Bereich der Kindertagesstätten eingesetzte Franken (bei Kosten von immerhin ca. 12000 Schweizer Franken pro Platz und Jahr) den drei-bis vierfachen Betrag an die Gesellschaft zurückliefert. Berechnet wurden hierbei die Kosten und entgangenen Einnahmen, die bei Wegfall der Kinderbetreuungsplätze entstehen würden. Diese wurden den Ausgaben für Kindertagesstätten gegenüber gestellt. (1)

Es würde sich sicher lohnen, eine vergleichbare Kosten-Nutzen-Rechnung auch für die Oldenburger Verhältnisse einmal durchzuführen. Zumindest ein Teil der Ersparnisse fließt z.B. in Form eingesparter Ausgaben für Hilfe zum Lebensunterhalt direkt in den kommunalen Haushalt zurück. Als Beispiel möge die zusätzliche Hortgruppe Haarentor dienen: wenn die Betreuung der Schüler nicht gesichert werden kann, werden Eltern ihre Arbeit aufgeben müssen, so daß sie nach einiger Zeit - je nach finanzieller Situation u.U. auch sofort - in die Sozialhilfe zurückfallen, obwohl sie ihre Familie selbst unterhalten könnten, wenn die Stadt Oldenburg ihren Plichtaufgaben in diesem Bereich nachkäme!

Ein weiterer Aspekt ist, daß einer der nach außen hin wirksamen Sympathieträger der Stadt Oldenburg die Kinder- und Familienfreundlichkeit ist. Wir alle wissen, wie schnell ein solcher Ruf ruiniert werden kann und wie schwer er wieder aufzubauen ist. Mit diesem Ruf können wir aber weiterhin - wie auch bisher - eine positive Bevölkerungsstatistik aufrechterhalten. Zugewanderte Familien, für die die Kinderbetreuung ein wichtiger Faktor ist, sind mit großer Wahrscheinlichkeit auch Steuerzahler, da sie offenbar arbeiten. (Damit soll nicht etwa gesagt werden, daß nur Steuerzahler Anspruch auf Kinderbetreuung haben!)

Zu den Thesen des letzten Abschnittes werden wir wahrscheinlich viel "abstrakte Zustimmung" erhalten nach dem Motto "so sehen wir das ja auch, aber die Bezirksregierung..."

Daher zum Schluß noch ein Wort zur Haushaltssituation und zu den Sparauflagen der Bezirksregierung im Jugendhilfebereich:

Wir gehen selbstverständlich davon aus, daß die Bezirksregierung Weser-Ems bei ihren Auflagen die oben genannten Pflichtleistungen der Stadt Oldenburg mit berücksichtigt. Sie hat lt. diverser Zeitungsartikel selbst darauf hingewiesen, daß die Stadt sich zunächst auch auf die Erfüllung ihrer Pflicht- und Sollaufgaben konzentrieren solle. Wir merken zu dem laut Tagespresse von der Bezirksregierung ebenfalls angeführten Vergleich mit den Jugendhilfeausgaben anderer Städte kritisch an, daß man diese Zahlen nur auf der Basis der ermittelten Bedarfe vergleichen kann; ein absoluter Vergleich - erst recht, wenn er sich nur auf die gesamte Einwohnerzahl und nicht auf die Kinderzahl bezieht - berücksichtigt nicht unterschiedliche Erwerbsstrukturen und Lebensplanungen, die zu sehr unterschiedlichen Bedarfen führen können.

Über eine Stellungnahme zu diesem Schreiben bis zum 15.10. 2002 würden wir uns sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen,

der Vorstand

- i.A. Claudia Noffke -

(1) Quelle: Kindertagesstätten zahlen sich aus, Edition Sozialpolitik Nr. 5a, Hrsg. Sozialdepartement der Stadt Zürich, im INTERNET u.a. unter: http://www.is-koeln.de/vbm/Aktuell/Kitas.pdf

 

 
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