Oldenburger STACHEL Nr. 241 / Ausgabe 1/03      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

ALSO jetzt erst recht!

Ein Kommentar zur Streichung der Gelder für die ALSO

1. Die Situation

In welcher Situation fällt denn diese Entscheidung des Stadtrats? Gibt es weniger Erwerbslose oder Sozialhilfeberechtigte in Oldenburg? Hat sich die soziale Situation bei Menschen mit geringem Einkommen entspannt? Das Gegenteil ist doch der Fall: Erneut sind mehr als 4 Millionen Menschen offiziell arbeitslos gemeldet, mehr als 6 Millionen Arbeitsplätze fehlen bundesweit. In Oldenburg gibt es schon jetzt 18.000 Erwerbslose und Sozialhilfeberechtigte. Mehr als 3.000 Kinder müssen in Oldenburg von der Sozialhilfe leben. Die Bahlsen-Fabrik soll geschlossen werden, die NWZ will 80 MitarbeiterInnen entlassen, FHP-Motors steht erneut vor dem Aus. Vor diesem Hintergrund beschließt der Stadtrat, die einzige unabhängige Sozialberatungsstelle für Erwerbslose, Sozialhilfeberechtigte und Geringverdiener in Oldenburg zu streichen.

2. Das Vorgehen von Oberbürgermeister und SPD-Spitze

Wir sind schon schockiert darüber, daß ausgerechnet eine sozialdemokratische Mehrheit im Stadtrat die Interessen der arbeitslosen und sozialhilfeberechtigten BürgerInnen in Oldenburg derartig mit Füßen tritt.

Auch das Vorgehen des Oberbürgermeisters Schütz und der SPD-Fraktionsspitze hat uns politisch und menschlich enttäuscht. Offenbar stand von Anfang an fest, daß die ALSO aus politischen Gründen aus dem Stadtbild verschwinden soll. Sie haben bis heute einfach nicht die politische Courage, das öffentlich auszusprechen. Egal was wir angeboten haben, immer wurde noch einer drauf gesetzt. Als wir die Zusammenlegung von DONNA und ALSO akzeptiert und einen Finanzierungsplan mit 60.000 Euro Einsparungen vorgelegt haben, verkündete SPD-Fraktionschef Knake über die NWZ völlig überraschend, daß wir nun auf einmal auch noch ein völlig neues Konzept vorlegen müßten, um überhaupt einen Cent zu bekommen. Davon war das ganze Jahr vorher keine Rede gewesen. Mit anderen Worten: Städtische Zuschüsse gibt's nur dann, wenn wir genau das nicht mehr machen, wofür ja gerade Erwerbslose und Sozialhilfeberechtigte seit zwanzig Jahren zu uns kommen.

Auch die vielgepriesenen Drittmittel spielen bei der ALSO keine Rolle: Immerhin 78.500 Euro Landes- und EU-Mittel, die wir pro Jahr in die Stadt holen, werden aufs Spiel gesetzt, um die ALSO loszuwerden.

3. Die offizielle Begründung

Schütz und Knake begründen die Streichung tatsächlich öffentlich damit, daß die Beratung, die wir anbieten, auch vom Arbeitsamt, Sozialamt und "Stellwerk" angeboten würde. Das heißt, staatliche Behörden sollen nicht kontrolliert werden, die Betroffenen sollen die zumeist lebenswichtigen und leider auch oft falschen Entscheidungen der Ämter ohne Schutz und Widerspruch hinnehmen. Der nächste Schritt wäre die Abschaffung der Gewerkschaften. Das allerdings zeugt auf sehr befremdliche Art und Weise davon, wie schnell und weitgehend obrigkeitsstaatliches Denken in der SPD-Spitze sich bereits ausgebreitet hat. Es zeugt davon, daß diese Menschen von den wirklichen Lebensverhältnissen sehr vieler Menschen entweder keine Ahnung mehr haben oder sie einfach nicht mehr zur Kenntnis nehmen wollen.

Diese Entwicklung müssen wir gemeinsam interpretieren, denn sie ist von großer Bedeutung für die weitere politische Betätigung, und sie ist von großer Bedeutung dafür, wie das Zusammenleben der Menschen hier in Oldenburg in Zukunft gestaltet werden soll.

4. Eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung

Wir müssen uns, glaube ich, klar machen, daß nun auch in unserem behüteten Oldenburg eine Ära zu Ende geht. Eine größere, weltweite Entwicklung macht sich auch hier immer mehr breit. Es ist eine Entwicklung der Entsolidarisierung, der Auflösung von Sicherheit für die Lebensperspektive, des Abschieds vom Prinzip der gegenseitigen Hilfe. Es ist eine Entwicklung der Privatisierung von gesellschaftlichen Risiken. Jeder soll allein klar kommen. Ansprüche oder gar Forderungen an das Gemeinwesen zu stellen, wird als überholt und unmodern geradezu verteufelt. Wer etwas will, muß es sich privat kaufen. Wer nichts kaufen kann, bekommt nichts. Die Bedürftigen können allenfalls auf Spenden und Almosen hoffen, und dafür sollen sie gefälligst dankbar sein.

5. Gesellschaftliche Gleichschaltung

Bedenklich und bedrohlich ist an dieser Entwicklung, daß es sich um eine regelrechte Gleichschaltung der ganzen Gesellschaft handelt. Die scheint nun auch die Oldenburger Sozialdemokratie erreicht zu haben. Und ich habe den Eindruck, daß so manch einer der ehemals aufrecht sozial und demokratisch denkenden in der Partei ganz froh ist, sich hinter dem vermeintlichen Sach- oder Sparzwang verstecken zu können, wenn doch tatsächlich knallharte politische Entscheidungen getroffen werden. Man macht nach einer zwanzigjährigen, teilweise gemeinsamen politischen Geschichte nicht gern Frauenhäuser und Erwerbslosenprojekte platt, ohne wenigstens vordergründig sein Gewissen zu beruhigen - und sei es mit noch so fadenscheinigen Argumenten.

Ich glaube aber, daß die Sozialdemokraten nicht nur in Oldenburg sich sehr bald klar machen müssen, daß sie nicht für die Rettung des städtischen Haushalts ein paar schmerzhafte, aber notwendige Opfer bringen, sondern daß sie mit solcher Politik die beschriebene tiefgreifende und strukturelle Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse aktiv vorantreiben. Ich glaube nämlich, daß sie sich auf diesem Wege sehr bald selbst den Boden abgraben. Nichts ist überflüssiger als eine zweite CDU.

6. Traurige Ritter...

Und noch ein Wort zur selbstgewählten Macherpose des Herrn Schütz. Es ist in meinen Augen keine besondere Leistung, kein Verdienst und auch keine hervorzuhebende persönliche Fähigkeit, einen kommunalen Haushalt tendenziell auf seine gesetzlichen Pflichtleistungen zusammen zu streichen und Investitionen vor allem für Geschäftsleute und kaufkräftige Menschen voranzutreiben. Das ist im Gegenteil genau das, was fast alle Parteien in fast allen Städten in Deutschland zur Zeit tun. Sie schwimmen mit. Sie führen nur aus, was die mächtigen Unternehmen von ihnen verlangen. Sie stellen sich bedingungslos auf die Seite der Macht, streichen und kürzen bei den Schwächsten der Gesellschaft und investieren für die Starken. Es ist billig, mit den Wölfen zu heulen. Politische Phantasie, Kreativität, persönlicher Einsatz und Mut zum Widerstand dagegen wären erforderlich, wenn man gerade jetzt die soziale Infrastruktur und unabhängigen Projekte erhalten und verteidigen wollte.

7. Dank für Demo gegen Sozialabbau

Diese Eigenschaften sehe ich eher bei den vielen, vielen Menschen, die sich z.B. an der Demonstration gegen Sozialabbau am 7.9. in Oldenburg beteiligt haben. Ihnen und allen Menschen, die uns im vergangenen Jahr im Kampf gegen den Sozialabbau hier in Oldenburg unterstützt haben, gilt mein Dank an dieser Stelle. Die Zeiten werden kälter, und wir werden in Zukunft noch weit mehr auf gegenseitige Hilfe und Unterstützung angewiesen sein.

8. ALSO will weitermachen

Die ALSO will weitermachen! Wir wollen weiter eine unabhängige und parteiische Sozialberatung anbieten. Wir wollen weiter eine kritische sozialpolitische Initiative bleiben, die über die Entwicklung der realen Lebensverhältnisse aufklärt und radikale Veränderungsvorschläge einbringt. Wir wollen weiter laut gegen Verschlechterungen, Kürzungen und die Privatisierung gesellschaftlicher Lebensrisiken protestieren und demonstrieren. Es liegt nun an uns allen gemeinsam, ob das gelingen wird. Denn das kostet Geld und das erfordert viele aktive MitstreiterInnen! Und darüber müssen wir gemeinsam beratschlagen: Großer Neujahrs-Ratschlag: Dienstag, 21. Januar, 20 Uhr, ALSO-Halle

Die Spendenkontonummer unseres Fördervereins "SoSelbst" solltet ihr euch schon heute notieren:

Förderverein "SoSelbst": Oldenburgische Landesbank, BLZ: 280 200 50, Kto.-Nr.: 14 47 41 00 00

Michael Bättig, ALSO

 

 
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