Oldenburger STACHEL Nr. 242 / Ausgabe 4/03      Seite 4
 
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Weg in die Sackgasse

Das Hartz-Konzept geht in die falsche Richtung. Statt die Ursachen von struktureller Arbeitslosigkeit gesamtgesellschaftlich anzugehen, wird mal wieder an den Symptomen herumgedoktert. "Symptome" - ein Synonym für fünf Millionen Menschen, die aus dem Arbeitsleben ausgegrenzt werden. Plus einer sog. "Stillen Reserve" von offiziell eine Million Personen, die die Suche nach Arbeit endgültig aufgegeben und sich - wie auch immer - ins Privatleben zurückgezogen haben. Diese Zahl kann ohne weiteres großzügig nach oben aufgerundet werden. Millionen, die Schwierigkeiten haben, ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aufrechtzuerhalten. Die ihre Armut verstecken müssen. Denn obwohl ein Massenphänomen, ist Arbeitslosigkeit keineswegs gesellschaftlich akzeptiert. Und die Strategie der Hartz-Kommission macht ein weiteres Mal die Opfer der Krise zu Tätern. Die Einführung von Personal-Service-Agenturen, die nichts anderes darstellen als Zeitarbeitsfirmen mit Lohndumping, suggerieren ein Fehlverhalten auf Seiten der Betroffenen, denen man mit einer härteren Gangart endlich Beine machen will. Vor noch gar nicht langer Zeit galten Zeitarbeitsfirmen als eine moderne Form der Sklaverei, die von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) höchstselbst unter dem Paragrafen Arbeitnehmerüberlassung argwöhnisch überprüft wurden. Nachdem die BA feststellen mußte, daß sie selbst nicht in der Lage ist, Arbeitslose zu vermitteln, kam die "Arbeitnehmerüberlassung" an Zeitarbeitsfirmen plötzlich ganz recht. Wenn ein anderer sich um etwas reißt, was man selbst nicht hinbekommt, ist der Zeitpunkt da, um das moralische Steuerruder herumzureißen.

Ein weiterer großer Fehler wird jetzt mit der Erfolgsorientierung von Bildungsmaßnahmen unternommen. Von Seiten der BA werden nur noch solche Maßnahmen finanziert, die eine Erfolgsquote von 70% vorweisen können. Was heißt das konkret? Sechs Monate nach Abschluß der Maßnahme müssen 70% der ehemaligen TeilnehmerInnen in Arbeit sein. Eine Quote, die kaum je erreicht wurde und wird. Könnte dieses Ziel wirklich realisiert werden, hätten wir die hohe Arbeitslosigkeit überhaupt nicht. Weiterbildung schafft keine Arbeitsplätze, sondern qualifiziert Menschen für bestehende Arbeitsplätze, die es aber leider nicht gibt. Im Klartext bedeutet dies, daß bei Bildungsmaßnahmen massiv gestrichen wird. Der sog. Eingliederungstitel der BA wurde um mehr als 600 Millionen Euro gekürzt. Wenn man das Problem von Langzeitarbeitslosigkeit schon unbedingt von Seiten der Betroffenen aus angehen will, muß man die Kompetenzen von Menschen umfassend entwickeln. Sie müssen in die Lage versetzt werden, Schlüsselqualifikationen zu erwerben und Eigeninitiative zu entfalten. Allerdings sind dies grade nicht die Maßnahmen, die zu einem umgehenden Vermittlungserfolg führen. Diese grundlegende Form von Bildung wird von Hartz als teure und unsichere Investitionen dargestellt, jedoch ist langfristig nichts teurer als Arbeitslosigkeit. Man braucht viele Milliarden Euro, um Menschen zu finanzieren, die dafür keine Gegenleistung erbringen können.

Für Weiterbildungseinrichtungen fehlt künftig jede Planungssicherheit. Sie können ein Programm nur noch durchführen, wenn sie die Verbleibsquote von 70% auf dem Arbeitsmarkt garantieren. Aussicht auf Zulassung wird für eine Maßnahme nur dann noch bestehen, wenn sie die Vermittlung berufsbezogener Kenntnisse zum Inhalt hat - für die zügige Wiedereingliederung auf irgendeinem Arbeitsplatz. Nach Schätzungen sind bundesweit über 30.000 Weiterbildungseinrichtungen aktiv, vom Zwei-Personen-Betrieb bis zu Firmen mit mehreren Hundert Beschäftigten. Bis zu 100.000 Festangestellte gibt es in dieser Branche, dazu kommt eine wesentlich höhere Zahl von Honorarkräften, worunter sich auch viele Studierende und frische Absolventen befinden. Die oben erwähnten 600 Mio. Euro Einsparsumme machten knapp die Hälfte des Weiterbildungsetats aus, und genau in diesem Umfang wird die Branche schrumpfen müssen. Dies bedeutet weitere Tausende von Arbeitslosen, die nach wie vor vom Arbeitsamt bezahlt werden, allerdings ohne weiterhin ihre Arbeitsleistung erbringen zu dürfen. Eine paradoxe Situation, die den aktuellen Prozeß des Zusammenziehens auf dem Arbeitsmarkt sehr plastisch macht.

Der Wille, wirklich neue Jobs zu schaffen, ist nicht erkennbar. Stattdessen wird weiterhin ein Massenphänomen individualisiert, womit keinem gedient ist. Wo kann man hinschauen, wenn man nach wirklichen Verbesserungsvorschlägen sucht? - Zu den Gewerkschaften? Über den Gartenzaun in Länder, wo angeblich alles anders und besser läuft? in die Vergangenheit? Richtung Politik scheint auf jeden Fall keine Bewegung in Sicht. Zusätzliche Jobs entstehen nur durch ein lang anhaltendes gleichmäßiges Wirtschaftswachstum, und wie dieses anzukurbeln sei und in welche Richtung die Reise gehen soll, dazu ist mehr Mut zum Denken erforderlich. Politik nach Kassenlage unter angeblichen Sachzwängen bewegt sich in eine Sackgasse.

die unpolitischen couch-potatoes

 

 
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