Oldenburger STACHEL Nr. 244 / Ausgabe 8/03      Seite 2
 
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Gedenktag zur "Euthanasie" in Wehnen

Am 1. September begehen die Angehörigen von Opfern der NS-Euthanasie im LKH Wehnen ihren mittlerweile vierten Gedenktag. Vor zwei Jahren war unter großer Öffentlichkeit das Denkmal für die Opfer eingeweiht worden. Ein Jahr zuvor hatten Vertreter des Landes erstmals an einer Gedenkfeier teilgenommen und damit den "Euthanasie"-Mord in Wehnen auch politisch anerkannt. Unterdessen ist den Angehörigen die geforderte Gedenkstätte zugesagt worden und nahezu vollendet. Außerdem wurde ein kleines Feld auf dem Friedhof als gemeinsame Grabstätte für die Opfer eingeräumt. Rechnet man hinzu, daß die Angehörigen kürzlich noch eine kleine wirtschaftliche Entschädigung erhielten, muß man eine erstaunlich erfolgreiche Kampagne konstatieren, denn der "Gedenkkreis Wehnen" ist gerade erst vier Jahre alt.

Im Februar 1999 trafen sich erstmals Angehörige verstorbener Wehner Patienten, die durch die Untersuchungen von Ingo Harms Gewißheit darüber gewonnen hatten, daß es sich bei den Todesfällen um Morde im Rahmen der NS-Euthanasie handelte. Das Treffen im Schatten des Landeskrankenhauses führte zu dem Entschluß, ein dauerhaftes Zeichen des Gedenkens zu errichten. Edda Minssen und Afra Cassens-Mews, zu Sprecherinnen des Gedenkkreises gewählt, scheuten keine Mühen und Kosten beim Einsatz um die Rehabilitation und Anerkennung der Opfer. Alsbald gewannen sie die Unterstützung des niedersächsischen Sozialministeriums, des Bezirksverbandes Weser-Ems und des Bundestagsabgeordneten Thomas Kossendey. Schon im Herbst konnte der erste Gedenktag geplant werden. Da die Todesdaten der einzelnen Opfer und damit die individuellen Gedenktage völlig unterschiedlich liegen, einigte man sich auf den 1. September. An diesem Tag im Jahr 1939, an dem Hitler auch den zweiten Weltkrieg begann, unterschrieb er den sogenannten Gnadentod-Befehl. Damit bestimmte er ausgewählte Psychiater zu Scharfrichtern an ihren Patienten. Sie wählten die Opfer nach Brauchbarkeit und Pflegeaufwand aus und führten sie besonderen Anstalten zu, in denen sie sie durch Giftgas töteten. Dies geschah ab 1940 in allen Psychiatrien des Reiches - nur nicht in Wehnen.

Die Berliner Leitung des "Euthanasieprogramms", genannt Aktion "T4", sah offenkundig keinen Bedarf, Patienten aus Wehnen abzuholen, denn dort lag die Sterblichkeit bereits seit Jahren in einer - aus ihrer Sicht - idealen Höhe. Während also überall im Reich Ärzte ihre Patienten weggaben, zwar im Wissen um deren Schicksal, aber insoweit nicht persönlich zu Mördern werdend, so erledigten die Wehner Ärzte das Todesgeschäft selbst. Sie wählten dabei nicht die Gaskammer oder die Todesspritze, sondern den um vieles qualvolleren Hungertod.

Der 1. September 1939 beschleunigte diese Entwicklung lediglich, ohne daß sich die Strukturen änderten. Dennoch einigten sich die Angehörigen der Opfer im Jahr 1999 auf diesen Tag als symbolischen gemeinsamen Gedenktag, denn mit diesem Datum war der Patientenmord zu einer Staatsangelegenheit geworden. Und der heutige Staat als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches war der Adressat, von dem die Angehörigen Genugtuung verlangten.

Dieser Forderung ist also erstaunlich rasch und konsequent nachgekommen worden. Demnächst wird mit der Einweihung einer Gedenkstätte die Erinnerung an die Opfer der Euthanasie institutionalisiert. Dazu eignet sich die ehemalige Pathologie des Landeskrankenhauses sich dazu wie kein anderes Gebäude. Hier wurden die Getöteten nicht nur aufgebahrt, bevor sie auf dem Friedhof Ofen beigesetzt oder in die Heimatgemeinden überführt wurden: Hier wurden viele von ihnen seziert, um den rassenbiologisch fanatisierten Ärzten .Beweise. für ihre Vererbungstheorien zu liefern. Während es schwierig nachzuweisen ist, in welchen Abteilungen der Klinik die einzelnen Opfer starben, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, daß sie alle nach ihrem Tod in der Pathologie waren. So fanden die Angehörigen einen gemeinsamen historischen Ort des Gedenkens.

Am 1. September wird die Gedenkstätte als bezugsfertig präsentiert und das Konzept für Einrichtung und Betrieb des Hauses vorgestellt werden.

IMH

 

 
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