Oldenburger STACHEL Nr. 245 / Ausgabe 12/03      Seite 6
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Gegen die Streichungen bei der Bildung

Über die Gründe und Folgen der Streichorchester

Diese Ansprache wurde im Oktober bei der größten Oldenburger Demonstration seit langem gehalten:

Liebe Anwesende, Studierende, SchülerInnen, Kulturschaffende, Selbsthilfegruppen, liebe OldenburgerInnen,

Wir freuen uns über Euer Kommen und bedanken uns bei den OrganisatorInnen dieser Demonstration, daß wir hier als linke Opposition des Studierendenparlaments der Uni Oldenburg reden können.

Die Sparbeschlüsse der niedersächsischen Landesregierung sind nur die Fortsetzung einer Sparspirale. Nicht das erste Mal erschüttern solche Mittelkürzungen wie jetzt das soziale und kulturelle Leben, und bestimmt auch nicht zum letzten Mal. Was heute noch als gesichert erscheint, könnte nächste Woche schon auf dem Prüfstand stehen. Es ist bekannt, daß es keine Tabus mehr gibt, wenn es um Streichungen im Sozialen und Kulturellen sowie im Bildungsbereich geht.

Ob Gesundheits-, Sozial- oder Bildungsreformen, die Politik gaukelt uns vor, sie handle vor dem Hintergrund des Sparzwangs. Und versucht uns gleichzeitig davon zu überzeugen, daß das, was sie tut, Sparen ist. Doch weder die Bundes- noch die Landesregierung 'sparen' wirklich Geld. Sie verteilen es um und zwar zugunsten derer, die das Geld sowieso schon haben. Und damit auf Kosten von Arbeitslosen und Kulturschaffenden, Kranken und SozialhilfeempfängerInnen und anderen Marginalisierten, von SchülerInnen und Studierenden.

Das, was die Politik hier Sparen nennt und mit einem Sachzwang begründet, beruht auf aktiven politischen Entscheidungen. Die Bedingungen des scheinbaren Zwangs werden auch gesellschaftlich getragen. Momentan hat die Verbetriebswirtschaftlichung nahezu aller Bereiche unseres Lebens Hochkonjunktur, praktisch überall herrscht der Wettbewerb, in jede Nische sind der Markt, die Konkurrenz sowie anderes neoliberales Gedankengut eingedrungen.

So werden gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausgespielt, Alt gegen Jung, Gesund gegen Krank, Erwerbstätig gegen Arbeitslos usw. usf. Wer dieses Spiel mitspielt betreibt aktiv die Entsolidarisierung. Im Maßstab der Universität stehen dabei plötzlich Statusgruppen untereinander im Verteilungskampf, die Naturwissenschaften gegen die Geisteswissenschaften, wissenschaftliche gegen nicht-wissenschaftliche MitarbeiterInnen. Wo es einst aus dem Willen zur Solidarität heraus die Überzeugung gab, der Sozialstaat müsse verteidigt nicht reformiert werden, herrscht heute der staatlich konstituierte vollständige Wettbewerb vor.

Wir alle müssen uns gegen diese Politik des angeblichen Sachzwangs engagieren. Es kann für uns nicht darauf ankommen, Verteilungskämpfe abzulehnen, wir müssen uns in die Verteilungskämpfe einmischen und in ihnen gewinnen. Nicht aus kurzfristigen egoistischen Überlegungen heraus, sondern mit dem Ziel einer gerechten Verteilung. Wir müssen uns als Betroffene solidarisieren um unsere Interessen durchzusetzen.

Die Gesellschafts- und Geisteswissenschaften sind nicht zufällig die hauptsächlich Leidtragenden dieser Kürzungsauflage. Ohne lange Vorüberlegungen dürften sich Universität-Präsident Grubitzsch und die Verantwortlichen in der Landesregierung darauf geeinigt haben, in welche Richtung die Mittelkürzungen gehen sollen. Schon lange betrachtet der Präsident Studiengänge wie Politik, Soziologie, Psychologie usw. nur noch als Steinbrüche. Die mangelnde Verwertbarkeit dieser Studiengänge leitet ihn seit seiner Wahl, zum Schutz seiner modernen Leuchtturmstudiengänge sollen diese jetzt sterben.

Die oben angesprochenen Zusammenhänge lassen diesen politischen Willen allerdings nur konsequent erscheinen. Die kritische Reflexion von gesellschaftlichen Zusammenhängen, die Analyse menschlichen Zusammenlebens, die ja den Mittelpunkt der nun zu streichenden Studiengänge bilden, sind in einer Wettbewerbsgesellschaft nicht länger gefragt.

Eine zweite erkennbare Strategie bei der Auswahl der entbehrlichen Studiengänge ist darin erkennbar, daß besonders die Kleinen dran glauben müssen. Die Landschaftsökologie beispielsweise, die Technik oder die Jüdischen Studien. Groß frißt klein, da ist die Universität auch nur Spiegelbild der Gesellschaft. Daß sie mehr als das sein kann, wird dabei allzu oft vergessen.

Neben den angesprochenen Fächern werden die nicht-wissenschaftlichen MitarbeiterInnen der Universität die Hauptlast der Kürzungen treffen. Mit unglaublicher Arroganz und Kurzsichtigkeit haben die stimmberechtigten ProfessorInnen ihre ständige Überzahl im Senat der Universität genutzt und eben dies beschlossen. Statt sich gegenseitig zu stützen und sich der Teilnahme an Überlegungen zu Kürzungen zu verweigern, spielen sie das Spiel mit und nutzen ihre stärkere Position zu Ungunsten der Schwächeren rücksichtslos aus.

Es sollte stattdessen doch etwas geben wie Solidarität unter den an den Hochschulen Betroffenen. Man muß doch kein Prophet sein, um zu wissen, daß wer heute top ist, schon morgen flop sein kann. Ob Informatik oder Halbleiterforschung, Wirtschaftswissenschaften oder LehrerInnenausbildung, es ist nur eine Frage der Zeit bis auch die die heute wie die Gewinner aussehen, vor den Problemen stehen, die jetzt gerade die für nicht mehr zeitgemäß gehaltenen Geisteswissenschaften existenziell bedrohen.

Wir fordern, zuallererst, eine Rücknahme der jetzt im Haushalt der Landesregierung beschlossenen Kürzungen im Bildungs-, Kultur- und Sozialbereich. Zuallererst wie gesagt. Doch es muß mehr passieren. Wir fordern das Ende der Umverteilung von unten nach oben. Hochschulen dürfen keine Elitebildungsinstitutionen werden, im Gegenteil, der Hochschulzugang muß formal und finanziell weiter vereinfacht werden. Der Staat muß zu einer Vollausstattung der Hochschulen zurückkehren, direkte und indirekte Studiengebühren rückgängig machen.

Wir können den Verteilungskampf nur für uns führen, solidarisieren uns aber mit den heute hier versammelten anderen Gruppen in ihrem Kampf. Unser Ziel ist eine gerechte Verteilung, dazu bedarf es letztlich natürlich mehr als wachsendenden Einfluß auf Haushaltspläne. Wir wollen eine andere Politik, einen anderen Staat. Unser Widerstand kann dabei immerhin der Anfang sein.

Wir wollen mehr Geld für Bildung, Kultur und Soziales!

Carlotta Schulte-Ostermann

 

 
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