Oldenburger STACHEL Ausgabe 2/96      Seite 1
 
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Hausbau gegen Hausbäke

oder: warum das Ganze mehr ist als die Summe aller Teile.

"Daß das Land eine Gesamtheit ist, ist das Grundkonzept der Ökologie, daß es geliebt und geachtet werden muß, gehört zur Ethik" Aldo Leopold (A Sand County Almanac, 1948)

Nehmen wir einmal an, das Umweltamt der Stadt Oldenburg sollte sich zu dem ökologischen Wert eines (nicht nach §28a Nieders. Naturschutzgesetz besonders geschützten) Gebietes äußern, welches höheren Ortes (wer damit gemeint ist, ist der Redaktion bekannt) bereits für eine Wohnbebauung vorgesehen ist. Wie, meinen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, wird diese "fachliche" Beurteilung ausfallen?

Richtig geraten! Das Gebiet erhält das amtliche Prädikat "ökologisch nicht wertvoll", "von geringer Bedeutung", "nicht schutzwürdig" oder ähnlich. Das bedeutet dann "grünes Licht" für eine Bebauung, zumindest, soweit der amtliche Naturschutz betroffen ist.

So geschehen bei dem derzeit umstrittensten Baugebiet in der gesamten Stadt Oldenburg am Sandfurter Weg in Eversten.Die besagte Fläche - 1982 von der Stadt zum Zwecke einer Bebauung angekauft - soll nach den zwischen CDU und SPD getroffenen Absprachen über den städtischen Haushalt füe eine Wohnbebauung freigegeben werden. Ein entsprechender Antrag der beiden großen Fraktionen im Rat liegt mittlerweile auf dem Tisch. Vorausgegangen war diesem Antrag eine atemberaubende Kehrtwendung der SPD-Fraktion, die mit 13:4 Stimmen mehrheitlich, aber gegen das Votum ihrer VertreterInnen aus dem Stadtwesten, dem Drängen der CDU nach einer Bebauung des städtischen Geländes nachgab. Damit war auch ein bisher geltender Parteitagsbeschluß der SPD gegen die Bebauung null und nichtig.

Wer denkt hier ökologisch?

Nun zurück zum Ausgangspunkt der Überlegungen: Wer legt eigentlich fest, wann ein Gebiet "ökologisch wertvoll" ist und wann nicht?

Die Stadt Oldenburg, die sich selbst als "Einheitsverwaltung" versteht, d.h. als ein einheitliches Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile, hat schon desöfteren den Anschein erweckt, als ob ihr, wenn es um ökologische Sachverhalte geht, der Blick für ganzheitliche Zusammenhänge weitgehend abhanden gekommen ist. Diese nur durch den hierarchischen Aufbau des Verwaltungsapparate es erklärbare Einäugigkeit in bezug auf ökologische Zusammenhänge muß irgendwann zu schwerwiegenden Fehleinschätzungen führen, handelt es sich bei der oftzitierten Ökologie doch um eine Wissenschaft, die gerade die Gesamtheit des natürlichen Wirkungsgefüges in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellen muß. Eine "einfache" Sichtweise, die beispielsweise aus der Tatsache, daß ein Stück Land als Acker genutzt wird, sogleich folgert, daß es sich um ein "ökologisch nicht so wertvolles" Gebiet handeln müsse, muß deshalb schon im Ansatz als verfehlt angesehen werden. Hier kommt es auf eine ganzheitliche Betrachtungsweise an, die ein Stück Land nicht als isolierte Einheit behandelt, sondern auch seine Funktion im größeren Zusammenhang berücksichtigt.

Doch nicht nur die Verwaltung, auch die SPD scheint von einem ganzheitlichen ökologischen Verständnis noch ein ziemliches Stück entfernt zu sein. Oder wie ist es anders zu verstehen, daß nur die vier VertreterInnen des "betroffenen" Stadtteils Eversten die Bebauung eines Teiles der Hausbäkeniederung auch weiterhin konsequent ablehnen, währende alle! SPD-Vertreter aus den übrigen Stadtteilen dem Verkauf der Flächen als Bauland zugestimmt haben? Es ist zu fragen, wie diese Politiker sich entschieden hätten, wenn es dabei um "ihren" Stadtbezirk, um "ihre" Wähler gegangen wäre. Es fällt jedenfalls schwer, zu glauben, daß das ökologische Gewissen bei den Ratsmitgliedern aus dem Stadtwesten so viel ausgeprägter sein soll als bei dem Rest der SPD-Abgeordneten.

Es bleibt hier nur die Schlußfolgerung, daß die ökologischen Bedenken, die hier aus gesamtstädtischer Sicht vorzubringen wären (und vom städtischen Umweltamt aus naheliegenden Gründen nicht vorgebracht werden), als ein "lokales" Problem eingestuft werden sollen, um sie dann gegen die übermächtigen "gesamtstädtischen", d.h. finanziellen Interessen abwägen zu können. Die Erfahrungen der Vergangenheit lassen sogar den Schluß zu, daß der Naturschutz generell nur die lokalen und damit untergeordneten Interessen vertritt, wohingegen die Frage, wie man noch ein paar Mark mehr für das Stadtsäckel vereinnahmen kann, immer eine Frage von übergeordnetem Interesse ist, die dann im Sinne des Gemeinwohls entschieden werden muß.

Die Bürger müssen handeln.

Noch eine ganz andere Frage stellt sich in diesem Zusammenhang, nämlich, wie lange die betroffenen Bürger diese Bevormundung und Manipulation ihrer Interessen (natürlich immer zum Wohle der Allgemeinheit) noch gefallen lassen wollen. Wen diese Frage interessiert, der hatte am 16.Januar im Evangelischen Gemeindehaus in Eversten die Gelegenheit, sich einen ersten Eindruck von der Stimmung an der Basis zu verschaffen. Dem Aufruf der Naturschutzverbände BUND und Naturschutzbund (NABU) zu einer Bürgerversammlung zum Thema Bebauung am Sandfurter Weg waren über 150 betroffene Everster Bürger gefolgt.

Nach einer Einführung durch den NABU- Vorsitzenden Helmut Foken und einem mit Beifall aufgenommenen Kurzvortrag über die ökologische Bedeutung des Gebietes durch die Landschaftswartin Sabine Reimer (BUND) und den Hochschulbiologen Prof.Dr.Reto Weiler entwickelte sich eine engagierte Diskussion, bei der zunächst die ehemaligen Mitglieder der Bürgerinitiative aus den 80er Jahren das Wort ergriffen. Diese Bürgerinitiative hatte ihr Ziel, eine Bebauung des nämlichen Gebietes zu verhindern, letztlich mit Hilfe einer Rot-Grünen Mehrheit im Rat nach der Kommunalwahl 1986 erreicht.

Im Hinblick auf die anstehenden Kommunalwahlen im Herbst 1996 wurde eine Wiederbelebung der alten Bürgerinitiative gegen die Baupläne als aussichtsreich eingestuft. Dabei müsse es, so ein Redner aus dem Publikum, vor allem darum gehen, der SPD, deren momentane, durch die besondere politische Konstellation im Rat verursachte Formschwäche hinwegzuhelfen. Da das "rettende Ufer der nächsten Kommunalwahl"(Zitat) schon in Sichtweite ist, besteht für eine Bürgerinitiative die Chance. durch entschlossenes Auftreten und sachlich fundierte Argumentation einen Umdenkungsproze ss im Rat einzuleiten.

Diese Überlegungen wurden von den Anwesenden mit Zustimmung aufgenommen und bis zum Ende der Versammlung hatten sich rund 120 Interessenten für eine Bürgerinitiative in die improvisierten Unterschriftenlisten eingetragen. Eine Gruppe von elf Frontfrauen und -männern, einige mit BI-Erfahrung, fand sich zusammen, um die Arbeit inhaltlich voranzutreiben.

Zu wünschen ist der neugegründeten Bürgerinitiative, daß sie über ihren Stasdtteil hinaus eine breite Unterstützung aus der Oldenburger Bevölkerung erhält, denn hier geht es um eine Frage von grundsätzliche r Bedeutung für die städtische Entwicklung und das geht alle OldenburgerInnen an. Außerdem wäre es ein überzeugender Beweis dafür, daß das ökologische Bewußtsein in Oldenburg schon weiter entwickelt ist, als es sich manche Politiker und Verwaltungsmenschen bislang vorstellen können.

Thomas Günther

"Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluß vergiftet, der letzte Fisch gefangen, wedet Ihr feststellen, daß man Geld nicht essen kann!"(Indianische Prophezeiung)


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