Oldenburger STACHEL Ausgabe 3/96      Seite 15
 
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Küstenkanalausbau: Mildes Urteil

Die Botschaft ist angekommen: Für den Erhalt unserer Arbeitsplätze ist dem ehemaligen SPD- Oberbürgermeister (und jetzigen Präsidenten des Niedersächsischen Landtages) Horst Milde kein Opfer zu groß. So loben wir uns unsere Politiker: Mit Opfermut schreiten sie voraus und nicht der kleinste Zweifel verstellt ihrem weitblickenden Auge den Weg, wenn es um das Wohl unseres Vaterlandes Geht (dessen Dank ihnen gewiß sein wird).

"Halt!" werden unsere Leserinnen und Leser an dieser Stelle sagen, "Um welche Opfer geht es denn hier überhaupt?" Also kommen wir zum Thema: Es geht um die von der Wasser- und Schiffahrtsdirektion geplante Verbreiterung des Küstenkanals. Genauer gesagt, um die sog. "Stadtstrecke", die auf einer Länge von 840 Metern verbreitert werden soll, von jetzt 27 auf 32 Meter. In die Kontroverse um diese Planung hatte sich Milde eingemischt, nachdem Oberstadtdirektor Heiko Wandscher, ein eiserner Befürworter des Ausbaus, wieder einmal (zum wievielten Male eigentlich?) einen Vorstoß in dieser Sache unternommen hatte. Wandscher hatte empfohlen, die Stadt solle doch den (nutzlosen) Widerstand gegen diese (notwendige) Maßnahme (endlich) aufgeben und ihre Klage gegen den Planfeststellungsbeschluß mangels Erfolgsaussichten zurückziehen. Dies fordert jetzt auch Milde, wobei er sich auf sein (unbestechliches?) Urteil verläßt, daß der Verzicht auf den Kanalausbau Arbeitsplätze gefährden würde.

Schutzgüter sollen geopfert werden.

Nun zu den Opfern: Opfer Nr. 1: Eine Allee aus 40 gesunden Ahornbäumen, 1928 gepflanzt, soll an der Uferstraße der Kanalverbreiterung weichen. Ersatzpflanzungen sind in den Planungen vorgesehen. Nach Ansicht von Naturschutzfachl euten und -interessierten ist jedoch einGLEICHWERTIGER Ersatz der fast 70-jährigen Bäume, denen Fachleute eine durchaus nochmal so lange Lebensdauer geben würden, nicht möglich.

Opfer Nr.2: Die Cäcilienbrücke, ein Baudenkmal, 1927 gebaut und zum damaligen Zeitpunkt stolz als die größte Hub-Brücke Europas gepriesen.

Was den Denkmalschutz angeht, so muß sich dieser immer mal wieder gegen den Vorwurf der sozialen Nutzlosigkeit und damit letzlich der Entbehrlichkeit verwahren. Die Zeiten ändern sich bekanntlich, und die ästhetische Qualität oder die kulturhistorische Bedeutung älterer Bauwerke liegt oftmals nicht so auf der Hand, daß man über ihre Erhaltungswürdigk eit nicht geteilter Meinung sein könnte.

Was den Natur- und Landschaftsschutz angeht, so hat es auch dabei schon immer Befürworter und Gegner gegeben, wobei letztere oft die Befürworter des Naturschutzgedankens als Fortschrittsverhinderer hingestellt haben, während erstere (mit einiger Berechtigung) die blinde Fortschrittsgläubigkeit ihrer Gegner für den teilweise beklagenswerten Zustand unserer Umwelt verantwortlich machen. Diese Argumente sind hinlänglich bekannt.

Neu an der Argumentation von Milde, der von der NWZ (Ausgabe vom 1.3.96) u.a. mit den Worten zitiert wird: "Welcher Arbeitslose hat schon etwas von einem Baudenkmal?" und "Wir reden vom Pakt der Arbeit, aber wenn's drauf ankommt, wird gekniffen.", ist vor allem das Niveau dieser Äußerungen, welches eigentlich jeden Kommentar überflüssig macht.

Trotzdem seien diese Äußerungen hier kommentiert:

Die Verhältnisse verändern sich...

Die derzeitige Freudlosigkeit des politischen Alltags angesichts der Sparzwänge, bedingt durch die leeren öffentlichen Kassen und wachsende Schuldenberge, aber nicht zuletzt auch die sich immer deutlicher abzeichnende Unfähigkeit der deutschen Wirtschaft zum weiteren Wachstum mit allen ihren Konsequenzen wie wachsender Beschäftigungslos igkeit, Krise der Renten, usw., läßt wohl bei einigen Politikern ein Gefühl der Ohnmacht aufkommen. Da die Verhältnisse sich nicht von selbst ändern, muß man wohl etwas tun, und da besinnt man sich dann auf jene, die dem Fortschritt schon immer im Wege gestanden haben.

Aber urteilen wir nicht zu hart über diese Politiker. Es ist manchmal schwer, neuen Tatsachen ins Auge zu sehen, wenn man Jahrzehnte lang nur in einer bestimmten Richtung nach Lösungen für die Zukunft gesucht hat: Die Zeiten des wirtschaftlichen Wachstums gehören erst einmal der Vergangenheit an, und auch der materielle Wohlstand, den dieses Wachstum für viele (nicht für alle) mit sich gebracht hat, wird sich auf die Dauer so nicht aufrechterhalten lassen. Ist es jetzt also an der Zeit, auch unseren ästhetischen Wohlstand, z.B. ein intaktes Orts- und Landschaftsbild, den wirtschaftlichen Interesswen einiger weniger (nicht "aller Bürger", wie Milde meint) zu opfern?

Die Kontroverse um den Ausbau des Küstenkanals geht schon 15 Jahre, und wenn es den Befürwortern dieser Planung in dieser langen Zeit nicht gelungen ist, zwingende Begründungen für die Notwendigkeit dieser Maßnahme ins Feld zu führen, dann wird es ihnen jetzt auch nicht mehr gelingen.

...der Wandel muß in den Köpfen stattfinden.

Stattdessen sollte jetzt ein Wandel in den Köpfen stattfinden. Die Aufgabe der ZUkunft lautet, auf eine Aussöhnung von Ökonomie und Ökologie hinzuwirken und sich bewußt zu werden, daß die Bewahrung der ästhetischen Qualitäten im Stadtbild und seiner kulturhistorischen Besonderheiten auch zur ökonomischen Stärke einer Stadt (Stichwort: Lebensqualität als Standortfaktor) beiträgt.

In bezug auf diese Zukunftsaufgabe hat Oldenburg eine günstige Ausgangsposition, die es nicht ohne Not aufs Spiel setzen darf. Die Mehrheit unserer Politiker weiß dies glücklicherweise auch. Sie muß nur gelegentlich wieder einmal daran erinnert werden. Die Herren Wandscher und Milde, bei denen diese Erkenntnis anscheinend bislang keine Spuren hinterlassen hat, werden sich bald in den wohlverdienten Ruhestand zurückziehen, und er sei ihnen gegönnt. Die Zukunft müssen jetzt andere gestalten.

tog


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