Oldenburger STACHEL Ausgabe 3/96      Seite 11
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Träume eines Setzers

Jetzt ist es Donnerstag morgen, einer unserer Setzerlinge wacht gerade auf. Sehen wir ihm einmal zu. Er reibt sich die Augen und schaut aus dem Fenster, "Nein, heute ist das Dach nicht weiß geschneit", denkt er sich. Er hebt den Oberkörper und sitzt senkrecht auf dem Bett. Er reibt sich noch einmal die Augen.

"Was?", denkt er, "Was habe ich gerade geträumt?" "Das war ja wohl Blödsinn!"

Gehen wir mal einige Sekunden zurück. Unser Setzer ist kurz vor dem Aufwachen. Sein letzter Traum dieser Nacht fängt gerade an:

Es ist Samstag mittag, zwei unserer Setzerlinge betreten die Büroräume und wollen anfangen, die neue Ausgabe zu setzen. Sie legen erst einmal ihre Jacken ab. "Ah, da liegt etwas auf dem Schreibtisch. Da ist ja schon die fertige Ausgabe. Schön, dann haben wir ja nichts weiter zu tun als sie Seiten in die Druckerei zu bringen.", denkt der eine.

Unsere beiden Setzer gehen noch einmal durch die Räume, um zu schauen, ob auch alles in Odnung ist. Alles sieht gut aus. "Sehr schön", denken sie sich. Der eine will aber doch noch sehen, wie die Ausgabe geworden ist. "Die erste Seite sieht ja ganz gut aus", denkt er sich. Er blättert um. "Ahhhhhh! Waaaaas ist denn daaaas? Da ist ja noch ein Anzeigenplatzhalter. Wo ist denn die zugehörige Anzeige?" Er blättert noch ein wenig weiter. Auf den ersten Blick sehen die Seiten ja ganz gut aus. Es fehlen allerdings laufend Anzeigen. Das Entsetzen steht ihm ins Gesicht geschrieben. An vielen Stellen ist das Papier auch einfach weiß gelassen worden. Ein kalter Schauer läuft ihm den Rücken herunter. "Das war dann wohl doch nichts mit einem arbeitsfreien Wochenende", mutmaßt er.

Mittlerweile ist auch der andere Setzer hinzugekommen und sieht sich das unvollendete Werk an. Er sucht sich einen Stuhl und wie ein nasser Sack fällt er auf diesen und seufzt.

Der erste Setzer behält noch die Nerven und blättert eisern bis zu den letzten Seiten weiter. Jetzt muß auch er sich einen Stuhl holen. Was seine Augen da sehen müssen, kann er nicht fassen. Die letzen Seiten sind handschriftlich gemacht. "Das schlägt doch dem Faß den Boden aus!", ruft er und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

"Und um ein Haar wäre die Ausgabe so in die Druckerei gegangen.", denkt er sich. Ein Alptraum für jeden Zeitungsmacher.

Hier endet der Traum und unser Setzer wacht gerade auf. Vielleicht ist es auch besser so.

Aufgeschrieben von Martin


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