Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/96      Seite 16
 
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"Strahlende" Begegnungen

IndianerInnen und WeißrussInnen berichten über die Folgen der Atomenergienutzung in ihren Ländern

Am Wochenende 15. bis 17. März lud das Jugendumweltnetzwerk zu einem Begegnungstreffen nach Delmenhorst ein. Dort trafen ca. 30 (nicht nur) Jugendliche sich mit zwei Lakotaindianern, einer Dakotaindianerin und drei WeißrussInnen, um sich über die Atomproblematik auszutauschen. Zuvor waren die IndianerInnen und WeißrussInnen vier Wochen lang von einer Schule zur nächsten gefahren, um dort jeweils einen Projekttag mit Informationsveranstaltungen und Workshops zu gestalten. Das gleiche taten sie auch auf dem SchülerInnen-Atomkongreß. Die Veranstaltungen wurden alle gut angenommen und einige TeilnehmerInnen waren sogar deshalb in Delmenhorst, weil sie auf dem Atomkongreß nicht genug bekommen konnten...

IndianerInnen, Wei russInnen und Atom - was hat das eigentlich alles miteinander zu tun?

Während die Wei russInnen über die Folgen Tschernobyls und die aktuelle Situation dort berichten konnten, sprachen die Lakota- und DakotaindianerInnen über den Uranabbau in ihrem Land und die (unter anderem) damit verbundene Unterdrückung ihres Volkes. Sowohl die IndianerInnen als auch die Wei russInnen sind auf ihre Weise die direkt mit den strahlenden Folgen der Atomenergie konfrontierten Opfer der Atompolitik ihres Staates. Nicht nur in Tschernobyl wurden gro e Mengen radioaktiver Strahlung frei. IndianerInnen wurden lange über die Folgen des Uranabbaus im Dunkeln gelassen, arbeiteten ohne die Gefahr zu kennen in den Minen und bauten sogar ihre Häuser aus dem radioaktiven Gestein einer verlassenen Grube. Daniel, einer der Lakotas, verglich die Atomenergie mit einem gro en Drachen:

Vorne fri t er das Uran auf Indianerland in den USA und in Kanada; der Kot sind dann die AKWs in Deutschland, Castors usw. - also die Produkte und Abfälle. Der meiste Widerstand richtet sich nach wie vor gegen den "Kot" des Drachens. Warum kommt niemand auf die Idee, da  man ihn auch aushungern könnte? Die Menschen können sogar auf den Mond fliegen, aber sie können den Drachen, den sie züchten, nicht reiten.

Ca. 30% des in Deutschland verwendeten Urans kommt aus Indianergebieten. Viele Stämme haben Verträge abgeschlossen, die durch die Regierungen und die Firmen erzwungen wurden und verpachteten ihr Land annähernd umsonst. Dabei müssen sie für die Firmen arbeiten, weil es in den Reservaten keine Jobs gibt und Armut, Perspektivlosigkeit und Alkohol den Alltag regieren. Vertragspartner für die Firmen und den Staat sind offizielle Stammesregierungen, die nach dem Mehrheitsprinzip abstimmen, an deren Wahlen sich aber höchstens 5% der Stammesmitglieder beteiligen, weil sie dieses Prinzip ablehnen. Demgegenüber gibt es die traditionellen Regierungen, die aus einem beratenden Gremium der Alten bestehen, die bei wichtigen Entscheidungen den ganzen Stamm zusammenrufen, um im Konsens zu entscheiden. Das bedeutet, daß die eigentliche Regierung der Indianerstämme die traditionelle ist, die ihrer Kultur entspricht, die jedoch nicht vom Staat anerkannt wird. Die Abgeordneten der offiziellen Stammesregierungen werden vor dem Abschluß wichtiger Verträge von den Firmen zu einer Reise nach Las Vegas eingeladen oder anderweitig bestochen. Viele können dann nicht Nein sagen, da sie froh sind, dem frustrierenden Alltag auf der Reservation zu entweichen. Ihrem kulturellen Verständnis nach muß jeder, der etwas nimmt, auch etwas geben: So wie ich jemandem, von dem ich einen weisen Rat haben möchte, Tabak mitbringe, so werden dann für die Reise auch die Verträge unterschrieben. Zudem wird die Kultur der IndianerInnen auch dadurch ausgenutzt, daß ihnen ein atomares Endlager dadurch schmackhaft gemacht werden soll, daß ihnen erklärt wird, daß es doch ihrem Verständnis entsprechen müßte, der Erde das, was man ihr genommen hat, wieder zuzuführen. Leider regiert bei den Leuten eine Große Unwissenheit darüber, was es bedeutet, Uran zu entnehmen und als Atommüll wieder zuzuführen.

Widerstand

Wenn auch nur vereinzelt, so gibt es doch inzwischen immer mehr IndianerInnen, die sich in Gruppen zusammenschließen und sich gegen diese (Atom-)Politik auflehnen. Doch alleine haben sie wenig Möglichkeiten, sich gegen den Staat durchzusetzen, der noch vor ca. 100 Jahren in der Schlacht von Wounded Knee 300 LakotaindianerInnen brutal ermordet hat und bis in die 70er Jahre hinein regelmäßig Kinder aus den Reservaten verschleppte, um sie in speziellen Internaten zu "richtigen" Amerikanern umzuerziehen, ihnen ihre Sprache und ihre Religion zu verbieten, um ihre Kultur auszurotten. Heute noch wird ein betrunkener Weißer von der Polizei nach Hause gebracht, während man einen betrunkenen Indianer in den Knast steckt.

Deshalb ist internationale Unterstützung wichtig. Während die IndianerInnen in ihren eigenen Ländern nicht anerkannt werden, kann internationale Öffentlichkeit bei der US-Regierung oder der kanadischen Regierung durchaus Aufmerksamkeit erregen. Schlie lich sind wir in Deutschland - ob wir wollen oder nicht - die NutzerInnen der Atomenergie aus dem dort gewonnenen Uran und können - so traurig es auch ist - als Wei e einen ganz anderen Einflu  geltend machen.

Erste schritte

Seit einiger Zeit gibt es beim Jugendumweltnetzwerk ein Austauschprojekt zwischen jugendlichen Lakota- und CreeindianerInnen und Jugendlichen in Deutschland. Abwechselnd besucht in einem Sommer eine deutsche Gruppe die IndianerInnen, und im folgenden Sommer kommen die IndianerInnen zu uns. Dieses Projekt ist auf Gegenseitigkeit ausgelegt und soll keine billige Erlebnisreise bieten, sondern die Möglichkeit zu kulturellem Austausch, einander kennenzulernen und voneinander zu lernen. Die TeilnehmerInnen leben mit in den Familien. Dabei versuchen wir Unterstützungsprojekte anzuleiern, wie zum Beispiel die Schmuckkooperative Dreamcatcher, deren Produkte über einen Katalog in Deutschland verkauft werden sollen, um einigen IndianerInnen die Existenz zu ermöglichen.

Wichtig ist vor allem auch, die Situation der betroffenen IndianerInnen hier bekannter zu machen durch Vorträge, Pressearbeit (Stachelartikel!) usw. In Oldenburg und Delmenhorst gibt es bereits ein paar Leute, die Lust haben, etwas zu organisieren und natürlich gerne tatkräftige Unterstützung erfahren!

Im Juli '96 soll es einen internationalen Kongre  aller von der Atompolitik betroffenen indigenen Völker in Samiland (= Lappland, Lappen ist jedoch das Schimpfwort, Finnland) geben, auf dem unter anderem die besonders stark von der Tschernobylwolke betroffenen Samen, Indianer und Aborigenes sein werden. Alle Interessierten sind herzlich zu diesem Kongre  eingeladen. Informationen gibt es beim Jugendumweltnetzwerk in Hannover.

Da die russische Regierung sich zum Tschernobyljahrestag nach Deutschland verdrückt, wird sie am 25. 4. zu einer Messe in Hannover sein und am 26. 4. in Bonn, um dort einen Vertrag zu unterzeichnen, mit dem die Bundesregierung Geld zur Verfügung stellt, um die immer noch höchst verstrahlten Gebiete um Tschernobyl wiederzubesiedeln. In Hannover wird es entsprechende Aktionen geben, zu denen auch Indianer und Wei russen kommen und noch engagierte Leute gesucht werden. Info in Hannover.

Desweiteren freuen sich die Wei russInnen über Kleider- und andere Spenden, da viele Menschen aus den verstrahlten Gebieten ihre Existenzgrundlage verloren haben. Das mü t Ihr bei Interesse jedoch selber organisieren.

Demnächst wird es Bilder von Michael, einem Lakota-Künstler, als Poster geben. Die Einnahmen gehen auf seinen Wunsch hin an die Tschernobylgruppe in Minsk.

Weitere Informationen:

Kerstin Hornig, Brahmweg 178, 26135 Oldenburg, Tel.: 0441/203864

Jugendumweltnetzwerk Niedersachsen, Achim Riemann, Goebenstr. 3a, 30161 Hannover, Tel.: 0511/3940415

Kerstin Hornig


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