Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/96      Seite 3
 
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Tschernobyl -
Energiewende jetzt sofort!

In diesen Wochen sind die Medien voll mit Berichten über Tschernobyl. Viele Rundfunk- und Fernsehsender senden erschreckende Zeugnisse über die tatsächlichen Verhältnisse in der Ukraine und Belarus (Weißrußland - ein Land OHNE AKW).

Die Opfer

So sind in Belarus fast alle Kinder - hunderttausende - an den verschiedensten Krankheiten erkrankt. Es treten massive Hirnschädigungen zu Tage - bislang ging die Wissenschaft davon aus, daß Hirn und Nerven besonders unempfindlich gegen Strahlen seien. Bereits vor der Katastrophe statistisch erfaßte Krankheiten treten um Faktoren 10 - 1000 vermehrt auf. über 20% des Staatshaushaltes werden für die Folgen von Tschernobyl aufgewandt.

"Selbst für ein Sterben in Würde fehlt das Geld." Olja, 13 Jahre, schreit vor Schmerzen tagelang. Zuerst wurde sie falsch diagnostiziert. Dann konnte sie nicht mehr behandelt werden, weil es zu spät war. Jetzt ist angeblich kein Geld für Morphium vorhanden, um wenigstens die Schmerzen zu mindern. Stattdessen werden ihr andere (unwirksame, aber billigere) Mittel verabreicht. Die Ärzte wollen ihr rares Morphium nicht an Sterbenden "verschwenden". Ein schrecklicher Schrei: "Helft dem Kind zu sterben." (Vgl. Wechselwirkung 4-5/96)

Das Gedenken soll nicht folgenlos bleiben: Siemens-Boykott!

Die Anti-Atom-Bewegung kann auf große Erfolge zurückblicken. Wäre es nach den Wünschen der Atommafia gegangen, würden heute mindestens 100 solcher Maschinen mehr die Landschaft "zieren". Doch das ist leider nicht ausreichend, wie das traurige Beispiel Tschernobyl zeigt. Bereits die offiziell zugegeben "Störfälle" füllen eine derartig lange Liste, daß von "Sicherheit" bei Deutschen AKWs keine Rede sein kann (Düsseldorf läßt grüßen).

Hinzu kommt, daß es wieder modern wird, mit ausgehenden Lichtern zu drohen. Hatte sich vor 20 Jahren der Landesvater des Baden-Württembergischen "Muschter-Ländles" noch lächerlich gemacht, indem er für die Zeit nach 1984 Düsternis vorhersagte, tröten heute in Oldenburg Landtagspräsident Milde und die Industrie- und Handelkammer in das gleiche Horn, wenn es um die Kanalverbreiterung geht (In Oldenburg gehen die Lichter aus. Vgl. NWZ) Da wird der Bruch des Denkmalschutzes vorbereitet. Zu wieviel mehr mögen diese Herrschaften bereit sein, wenn es um wirkliche Kapitalobjekte wie ein AKW gehen sollte? Ein Damoklesschwert in Form eines atomaren Endlagers bei Bad Zwischenahn schwebt bereits über Oldenburg.

Neuauflage atomarer Großmannssucht?

Allen Erfahrungen und allem Widerstand zum Trotz plant Siemens, deutscher Atommonopolist, in Garching bei München ein neues Atomei. Für dessen Betrieb ist hochangeereichertes, waffenfähiges Uran vorgesehen. Das US-Außenministerium warnte bereits eindringlich davor, atomwaffenfähiges Uran einzusetzen und damit die Bemühungen um die Nichtverbreitung von atomwaffenfähigem Material zu torpedieren.

Weiterhin plant Siemens ein Projekt zusammen mit einer französischen Firma - EPR (European Pressurized Water Reaktor). Die Arbeiten am Fusionsreaktor lassen ebenfalls nicht freudig in die Zukunft blicken: Auch ein von unten geheiztes Treibhaus ist ein Treibhaus (siehe weiter unten), die Maschinen produzieren ebenfalls große Mengen Radioaktivität neu in diese Welt und vor allen Dingen knallt es auch hier sehr laut, wenn eine solche Maschine unter "Unpäßlichkeit" leiden solte.

Die Siemens-Boykott-Kampagne greift bereits

Bei einer Sammelbestellung von Energiesparlampen für Hessische Kirchengemeinden hat sich die Arbeitsstelle für Umweltfragen der Landeskirche gegen ein Angebot der Siemensesellschaft Osram ausgesprochen. So ging Siemens ein Auftrag in Höhe von 100.000 DM verloren. Zum gleichen Wert kaufte die Gießener Gesellschaft für soziales Wohnen wegen des Atomengagements von Siemens Geräte bei einem anderen Hersteller.

Atom fördert Ozonloch und Treibhaus

Die Atomindustrie bohrt im Ozonloch. Das radioaktive Gas Krypton-85, in großen Mengen bei Atombombentests, Reaktorunfällen und in immer größerem Ausmaß bei der Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen freigesetzt, steigt auf in die Stratosphäre und schafft dort das Klima für die Zerstörung des Ozons durch Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW). (Nach Prof. Dr. Ernest J. Sternglas)

Treibhauseffekt: Die Zahl der Eiskristalle in der Stratosphäre vervielfacht sich durch Krypton-85. In größerem Rahmen gesehen verdunkelt das Wachstum stratosphärischer Perlmutterwolken den Himmel. Beim Treibhauseffekt durchdringt das Sonnenlicht die Atmosphäre fast ungehindert, wird von der Erdoberfläche absorbiert, wobei die Lichtenergie in Wärmeenergie übergeht. Die längerwellige Wärmestrahlung kann jedoch nicht mehr voll ins Weltall abgestrahlt werden, weil sie durch Wasserdampf und Kohlendioxyd absorbiert wird - der Treibhauseffekt.

Die Verdunkelung steigt in direkter Abhängigkeit zu Atombombentests und erreicht ihren Gipfel in direktem Zusammenhang mit großen Atombombentestserien. Krypton-85 wird in noch viel größeren Mengen durch Wiederaufbereitungsanlagen freigesetzt.

Die rasanten klimatischen Veränderungen lassen sich nicht ausreichend durch die Kohlendioxyd-Steigerungsrate erklären. Krypton-85 und der dadurch verursachte steigende Wassereintrag in Form von kleinsten Eispartikeln ist ein entscheidender Faktor des Treibhauseffekts. Das Eiskristallwachstum muß rasant sein: Die Krypton-85-Konzentration verdoppelt sich derzeit alle 10-12 Jahre. Damit ist der Anstieg rund zwanzigmal höher als der derzeitige Anstieg von Kohlendioxyd. (Vgl. Strahlentelex)

AKW bindet Wirtschaftskraft

In den nächsten Jahren stehen weltweit viele AKW zum Abschalten an. Es ist zu befürchten, daß die Betonköpfe in den Vorstandsetagen weiter auf Atom und damit auf die Erneuerung der Ruinen setzen. Bereits jetzt steckt viel wirtschaftliche Kraft in den AKW, die dringend gebraucht wird im Bereich der klimafreundlicheren regenerativen Energiequellen. (Vgl. Gutachten Ökoinstitut) Widerstand gegen den - "zivilen" wie militärischen - atomaren Wahn tut dringend not. Es ist höchste Zeit für die Energiewende.

Polizeistaat

Allem Ausstiegsgerede der SPD zumn Trotz hat der Niedersächsische Innenminister mit den erneuten Verschärfungen ein Lex Gorleben geschaffen, mit dem unliebsame Meinungen zukünftig per "Vorsorge-Knast" ferngehalten werden sollen. Na, Glogo, mal sehn, ob's zieht.

Aktivitäten in Oldenburg

Näheres siehe Kasten. Am Sa. 27.4. gibt es bundesweit 6 Demonstrationen. Die Oldenburger Gruppen haben sich darauf geeinigt, nach Ahaus zu fahren, da hier ein Zusammenhang zu den Anfang Mai erwarteten CASTOR-Transporten besteht. (Vgl. STACHEL 3/96)

Wie weiter?

Menschen neigen zum Verdrängen (wenn das Wissen um die Katastrophe das Bewußtsein überhaupt erreicht). Die Bevölkerung der Wesermarsch nennt die Schleuder in Esenshamm in einer geradezu faszinierenden Verdrängungsleistung "Moschee". Das Wissen um die Bedrohung wirkt belastend. So ist es kein Wunder, wenn sich Menschen ins Private oder sonstwo hin verziehen. So sollte in der Anti-AKW-Bewegung nicht nur Strategie und Taktik überlegt werden, sondern auch psychologische und soziale Befindlichkeiten bedacht werden. Allein Tschernobyl wird uns noch 199.990 Jahre begleiten. Sorgen wir dafür, daß die atomare Bedrohung nicht nach den ersten 10 Jahren in Vergessenheit gerät bzw. seitens der Atommafia unter den Teppich gekehrt werden kann.

Gerold Korbus

Kontakt und weitere Informationen: Oldenburger Energierat, Bloherfelder Straße 87, 26129 Oldenburg Tel. 0441 52333, Fax 592415, Bürokernzeit 9-13 Uhr

Quellen:

Strahlentelex, Th. Dersee, Rauxeler Weg 6, D-13507 Berlin Ausgaben 172-173/1994, 174/1994

Wechselwirkung - Technik, Naturwissenschaft, Gesellschaft 4-5/1996: Schwerpunkt Tschernobyl (sehr informativ, sehr lesenswert!)

Ökologische Briefe, Ökotest-Verlag

Friedensforum, Netzwerk Friedenskooperative, Römerstr. 88, 53111 Bonn

Alhambra-Zeitung 4/1996

Oldenburger STACHEL 3/1996


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