Oldenburger STACHEL Ausgabe 5/96      Seite 15
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Wenn Klimpergeld nur noch piepst...

Ersetzt die elektronische Geldbörse demnächst dasalthergebrachte Portemonnaie?

In der oberschwäbischen Region Ravensburg/Weingarten erprobt die deutsche Kreditwirtschaft den Einsatz der Chipkarte als Geldbörse. Trotz vieler Bedenken gegen die neue Geldkarte plant sie, dieses neue Zahlungsmittel im Herbst bundesweit einzuführen.

Bäckereien, Friseure, Tankstellen, Apotheken, Supermärkte ... - insgesamt 500 Geschäftsleute, darunter die 17 Banken und Sparkassen in der oberschwäbischen Region nehmen am ersten deutschen Pilotversuch für den bargeldlosen Zahlungsverkehr mittels Chipkarte teil. Dort müssen die Kunden kein hartes Geld mehr gegen Ware eintauschen, sondern brauchen nur noch die Geldkarte in ein Gerät zu stecken und eine Geheimzahl eingeben, bezahlt wird elektronisch.

Etwa 80000 Geldkarten brachten die Kreditinstitute in Umlauf. Anders als bei Euroscheck und Kreditkarten, die aufwendige Abrechnungen nach sich ziehen, ist das Geld auf den Chipkarten direkt verfügbar. In die Karten ist ein fingernagelgroßer Mikrochip eingebaut, auf dem sich Geldbeträge in Werteinheiten speichern lassen, ähnlich wie bei der Telefonkarte, jedoch sind Geldkarten universell verwendbar.

Elektronische Geldbörse zum reinschauen und auffüllen

Beträge bis zu 400 DM kann eine Geldkarte aufnehmen. Ist eine Karte leer, kann sich ihr Inhaber zu seiner Bank begeben und sie am Automaten mit dem gewünschten Betrag aufladen, nachdem er eine vierstellige Geheimzahl eingegeben hat.

Da man einer Karte nicht ansehen kann, wieviele Werteinheiten sie noch beinhaltet, können sich Karteninhaber für fünf D-Mark ein Lesegerät kaufen. Dieses batteriebetriebene Gerät ist etwa so groß wie eine Streichholzschachtel, besitzt eine Anzeige wie ein Taschenrechner und einen Schlitz, in den man die Karte stecken kann. Es lassen sich auf diese Weise nicht nur das Restguthaben ablesen, sondern auch, wieviel Geld bei den letzten 15 Abbuchungen ausgegeben wurde.

Geldfälscher: Früher ein Handwerk, heute ein Hack

Besonders bei Geldangelegenheiten ist es sehr wichtig, sicherzustellen, daß das Geld wirklich echt ist. Bei Geldkarten sind deswegen einige Probleme zu lösen: Beschreibbarkeit der Karten und das Vervielfältigen von elektronischen Werteinheiten.

Die Krankenversicherungskarten der Krankenkassen lassen sich mit einer selbstgebauten Apparatur nicht nur auslesen, sondern auch beschreiben (also verändern). Gerade Geldkarten reizen dazu, Versuche zu unternehmen, die auf ihr gespeicherten Werteinheiten zu verändern. Da die Karten im Bankautomaten aufgeladen werden, ist davon auszugehen, daß dieses auch selbstgebauten Geräten gelingt. Deswegen haben sich die Entwickler der Kryplologie, d.h. der Verschlüsselung der Geldwerte, bedient, so daß von einer sogenannten Evidenzzentrale leicht feststellt werden kann, ob das übertragene Geld echt war.

Geldkarte hinterläßt Spuren

Auch darf kein Geld verloren gehen, wenn die Geldkarte einmal außer Betrieb (sprich: kaputt) geht, denn der Kunde hat dann Anspruch auf das Restguthaben. Deswegen muß an verschiedenen Stellen die Geldbewegung mitprotokolliert werden

Nicht nur auf der Geldkarte wird vermerkt, wie hoch die letzten 15 ausgegebenen Geldbeträge waren, auch die Kasse des Händlers merkt sich den Betrag - mehr noch: Der Händler muß in der Lage sein, gegenüber der Bank glaubhaft zu machen, daß er die angeforderten Gelder wirklich eingenommen hat. Dazu muß er speichern, welche Karte, wann, um wieviel Geldeinheiten erleichtert wurde. Nach Geschäftsschluß teilt er diese Infos der Evidenzzentrale in der Bank per Computer und Telefon mit. Die Evidenzzentrale verwaltet sogenannte Schattenkonten. Mittels ihrer sind Banken in der Lage, zu ermitteln, wann, wo wieviel Geldeinheiten auf die Karte geladen oder mit ihr bezahlt worden sind. Die Banken wissen also, wieviel Geld auf welchen Geldkarten ist und wieviel Werteinheiten im Umlauf sind.

"Geld-Spuren nicht verfolgbar"

Trotz dieses genauen Verhaltensprofils streitet der Zentrale Kreditausschuß der Banken ab, daß man es als Kontrollinstrument gegen die Kunden mißbrauchen kann. Schließlich würden keine personen-, sondern nur kartenbezogene Daten gespeichert. Erst im Schadensfall könnte eine Karte mit einer Person in Beziehung gebracht werden, wenn nämlich ein Kunde das Restguthaben seiner kaputten Karte zurückerstattet bekommen möchte.

Vetrauen Sie den Spürnasen!

Rein technisch ist es kein Problem, den Besitzer jeder beliebigen Karte zu ermitteln. Dazu brauchen nur zwei Dateien miteinander verknüpft werden, z.B. die Kartendatei und die Kontoführung. Dieses ist ein grundsätzliches Problem von Datenansammlungen. Durch Verknüpfung von unterschiedlichen Datenbeständen entsteht ein Abbild von Individuen, das jedoch so unvollständig ist, daß ihnen Intentionen, Ideen, sogar Meinungen unterstellt werden können. Selbst, wer meint, nichts zu verbergen zu haben, kann dadurch ernsthafte Probleme bekommen.

Glücklicherweise sind der technischen Machbarkeit rechtliche Grenzen gesetzt. Das Bundesdatenschutzgesetz und andere spezielle Gesetze gebieten dem Datenmißbrauch weitgehend Einhalt, auch wenn es noch Lücken gibt. Das gilt auch für die Karten- und Kontendaten. Ob die an sich schon komplizierten Gesetze eingehalten werden, wird aber zu einer Vertrauensfrage, denn zur Kontrolle sind die Betroffenen in der Regel nicht in der Lage.

Geld stinkt und ist lästig...

Eingeführt werden soll die Geldkarte mit dem Argument, daß für die Bürger die Bezahlung einfacher würde. Es gäbe nicht mehr die lästige Suche nach Kleingeld. Für die Händler entfalle das Geldzählen und der Transport zur Bank, der elektronisch über die Telefonleitung vonstatten geht.

...aber Banken hätten's gern

Dennoch beteiligen sich nicht alle Geschäftsleute in der Versuchsregion an dem Versuch. Viele stehen neuen Zahlungsmitteln skeptisch gegenüber, weil sie schlechte Erfahrungen mit Kreditkarten gemacht haben. Ein anderer Grund sind die Kosten. Für jede Bezahlung haben sie 0,3% des Betrages an die Banken abzutreten, mindestens jedoch fünf Pfennige. Besonders bei kleinen Einkäufe fällt diese Gebühr ins Gewicht. Große Einzelhandelsunternehmen, wo große Beträge den Besitzer wechseln, werden mit diesem System bevorzugt.

Erzwungene Freiwilligkeit

Die Kreditwirtschaft und die Hersteller der Karten sind davon überzeugt, daß die Karte gut von der Bevölkerung akzeptiert wird, das zeige die große Verbreitung der Telefonkarte. Diese ist jedoch mittlerweile zum Zwang für alle geworden, die an einem öffentlichen Fernsprecher telefonieren wollen, denn fast alle Münzfernsprecher sind bereits abgebaut worden. Gefragt wurden die Telefonkunden genausowenig wie die Mitglieder der Krankenkassen vor der Einführung der Krankenversicherungskarte.

Wem nützen Chipkarten wirklich?

Telefonkarten sind ein gutes Beispiel, um zu zeigen wo die Interessen für die Chipkarten liegen. Der Bevölkerung wird suggeriert, daß sie die Telefonkarte unbedingt brauche. Daß der Kunde auch ohne Karte genausogut oder besser telefonieren könnte, beweisen Fahrkarten-, Briefmarken- und andere Automaten, die Geld nehmen. Wie die Geldinstitute kommt die Telekom mit dem Argument, man könne endlich auf Kleingeld verzichten, doch ist dieses in der Regel schneller zur Hand als eine Telefonkarte. Ihre Argumentation bezüglich der Vorteile für die Kunden ist recht brüchig. Sie führte die Kartentelefone ein, um einerseits Einbrüche zu verhindern und andererseits das Personal zu entlassen, das die Kassen leert und die Wartung der Automaten vornimmt. Beides geschieht jetzt zentral. Nicht Kundenfreundlichkeit, sondern die eigene Kasse bewegte die Telekom, bzw. die Deutsche Bundespost dazu, Kartentelefone einzuführen und Münztelefone verschwinden zu lassen (Mutwillig wegen Beschädigung geschlossen, d.S.), oder haben Sie schon eine Telefonzelle der Telekom gesehen, die sowohl Geld als auch Karte annimmt?

Bei der Geldkarte liegt der Vorteil ebenfalls bei der Wirtschaft. Geldboten, Bankangestellte und Kassierer können eingespart werden, denn z.B. Geldautomaten brauchen nicht mehr mit Geld nachgefüllt zu werden. Auch entfällt der Geldtransfer durch den Boten, da Geld rein elektronisch übertragen werden kann. Große Versandhäuser überlegen schon heute ernsthaft, wie man Geldbeträge elektronisch im Internet transferrieren kann, um dort Waren oder Dienstleistungen kostenpflichtig verkaufen zu können. Damit würde das Internet zu einem weltweiten Warenhaus.

Das Problem hier ist dasselbe wie beim heute schon praktizierten Home-Banking, bei dem von daheim über Computer und Modem Überweisungen getätigt werden können. Während beim Home-Banking die persönliche Geheimnummer im Klartext über die unsichere Telefonleitung übertragen wird, sind es beim Bezahlen übers Netz Geldwerte. Telefonleitungen und Internetverbindungen lassen sich technisch leicht anzapfen.

Bits kann man nicht fühlen

Die Einführung einer Geldkarte birgt jedoch bei weitem nicht nur Datenschutz-Probleme. Sie hat auch soziale und psychologische Folgen. So geht das sinnliche Erlebnis des Geldausgebens verloren. Das Geld kann man nicht mehr sehen oder fühlen, man kann es nur noch erahnen oder auf einem Display ablesen. Das Gefühl für einen Warenwert im Kaufhaus geht dadurch verloren. Schützt das Übergeben von großen Geldscheinen den Kunden vor zu leichtfertigen Käufen, entfällt diese Hemmschwelle bei der Verwendung von Geldkarten.

Grenzen Chipkarten aus?

Kartenkritiker befürchten, daß durch die Karte ganze soziale Gruppen ausgegrenzt werden. So ist es für Kinder völlig sinnlos, eine Geldkarte für den Kaugummikauf zu verwenden, da sie noch keine Zahlen lesen können. Sie können jedoch sehr wohl den Wert vom herkömmlichen Zahlungsmittel abschätzen: "Die ganz billigen Münzen sind dunkel, die helleren haben schon etwas mehr Wert, aufpassen muß ich bei den silbernen, weil ich die nicht so schnell wiederkriege und das große Papiergeld muß ich mir erst mühsam ersparen." Auf diese Weise erlernen sie heute den Umgang und das Gefühl für Geld.

Hilflos stehen auch die meisten älteren Menschen der neuen Zahlungsart gegenüber. Sie haben sich nur sehr mühsam an den Fahrkartenautomaten gewöhnt und gehen lieber zum Bankschalter, um Geld zu holen (ich übrigens auch, d.S.)

Karte für die Reichen, Bargeld für die Armen?

Wer in Ravensburg kein Konto besitzt oder nur zu Gast in der Stadt ist, kann sich bei den Banken gegen Bares eine Karte kaufen. Dieses ist auf Dauer zu umständlich für Menschen, die - aus welchen Gründen auch immer - kein Girokonto haben.

Vorbei sind mit der Geldkarte auch die kleinen Geldspenden auf der Straße oder das Trinkgeld in der Kneipe.

Pilotversuch als Vorzeigeobjekt

Die Meinungen in der Kreditwirtschaft über den Zweck des Pitotversuchs in Oberschwaben gehen auseinander. Manche meinen, daß in einer Begleitstudie untersucht werden soll, wie das neue System im Alltagsleben angenommen wird, wie hoch das Guthaben auf den Geldkarten und die gezahlten Beträge sind.

Andere sehen in der Pilotphase ein Vorzeigeobjekt für die Öffentlichkeit, um der Industrie, dem Handel und der Kreditwirtschaft ihre Vorteile zu demonstrieren.

Bereits im Herbst soll in ganz Deutschland die Geldkarte eingeführt werden, mit der in Geschäften bezahlt werden kann. Der Geldaustausch von mir zu dir hingegen ist - zumindest in Ravensburg - noch nicht möglich. Doch es ist nach der Einführung und gesellschaftlichen Akzeptanz nur noch eine Frage der Zeit, bis die Tochter zum Familienvater geht und sich ihr Taschengeld mit den Worten auszahlen läßt: "Beam it over, daddy!"

muh


Diese Veröffentlichung unterliegt dem Impressum des Oldenburger Stachel. Differenzen zur gedruckten Fassung sind nicht auszuschließen.
Nachdruck nur mit Quellenangabe, Belegexemplar erbeten.

 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum