Oldenburger STACHEL Ausgabe 9/96      Seite 4
 
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Abschiebungskonsens

50 Pässe in Oldenburg einbehalten

Endlich hat sich auch der Oldenburger Stadtrat zur Rückkehr bosnischer Flüchtlinge geäußert. Ihn dazu zu bewegen, erforderte erst einen entsprechenden Antrag der Grünen. Deren Ratsfraktion bezog sich auf eine Resolution gegen die Zwangsrückführung, die eine Versammlung bosnischer Flüchtlinge in Oldenburg verabschiedet hatte. Nach dem Antrag der Grünen sollte der Rat die Zwangsrückführung ebenfalls ablehnen und sich "dafür einsetzen, daß die Beschlüsse der Innenminmisterkonferenz vom 26.1.96 zurückgezogen und die aktuellen Erkenntnisse des UNHCR berücksichtigt werden".

Als dieser Antrag im Rat befaßt werden sollte, herrschte wieder erst einmal großes Schweigen. Erst durch einen geharnischten Hinweis der Ratsfrau Stolze wurden die anderen Parteien dazu bewegt, vor der Abstimmung Stellung zu beziehen. Doch am Ende zogen sie sich auf eine Beschlußvorlage der Verwaltung zurück. Und die hat es in sich!

Abschiebung nach Befragung...

Der Ratsbeschluß beginnt mit einem wichtigen Hinweis: "In vielen Gebieten Bosnien- Herzegowinas läßt die Lage eine Rückführung von Flüchtlingen schon wegen der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung gegenwärtig nicht zu. Darüber hinaus ist es erforderlich, zunächst durch Wiederaufbauarbeiten die Infrastruktur herzustellen und damit die Voraussetzungen für eine Neuansiedlung zu schaffen." Doch in "19 Gebieten" sieht der Rat "günstige Voraussetzungen für eine Rückführung von etwa 134 000 Flüchtlingen", "soweit die nötigen Aufbauhilfen geleistet werden". Da der Rat in seinem Beschluß ausdrücklich darauf hinweist, daß diese Bedingung erfüllt wird, ist seine Resolution - ohne es offen zu sagen - zu einem Unterstützungsbeschluß für die Rückführung geraten. Daran ändert auch nichts, daß die Flüchtlinge vorher noch befragt werden sollen. Denn nicht, ob sie zurück wollen, interessiert, sondern nur, wohin sie wollten, wenn sie die freie Wahl hätten... (Vielleicht in die 19 genannten Gebiete?) So heißt es dann im Beschluß: "Seitens der Stadt Oldenburg wird deshalb auch die Initiative der Niedersächsischen Landesregierung unterstützt, alle Bürgerkriegsflüchtlinge nach ihrem Wohnort vor Ausbruch der Kriegshandlungen und vor allem danach zu befragen, wohin sie sich im Fall der freiwilligen Rückreise regional orientieren wollen."

So berichtete Oberstadtdirektor zufrieden dem Arbeitskreis der kreisfreien Städte, von den 349 in der Stadt lebenden bosnischen Flüchtlingen hätten bei einer Umfrage 74 ihre Bereitschaft erklärt, in die Heimat zurückkehren zu wollen. Dies reicht der Verwaltung offensichtlich für das Vorhaben aus, "vor allem Alleinstehende" zunächst zur Rückkehr zu "bewegen" (NWZ 7.9.96). Die NWZ merkt zynisch an:"Flüchtlinge. die nicht freiwillig zurückgehen wollen, müssen damit rechnen, daß die Kommunen etwas nachhelfen."

Geld oder Sicherheit?

Die meisten Politiker Deutschlands interessiert offensichtlich mehr die 3,5 Mrd. DM, die sie bei der Unterbringung und Verpflegung der Flüchtlinge einsparen könnten. Wie verzweifelt die Lage der RückkehrerInnen sein würde, wollen sie zumeist nicht wahrhaben. In einer parteiübergreifenden Koalition versuchen sie, eine öffentliche Meinung für eine Abschiebung zu schaffen. Niedersachsens Innenminister Glogowski, Hamburgs Innensenator Wrocklage und Bayerns Innenminister Beckstein (!) fuhren gemeinsam nach Bosnien, wo die drei feststellten, daß es vertretbar sei, viele Flüchtlinge noch vor Jahresende zurückzuschicken. Die Flüchtlinge in Deutschland würden dringend zum Wiederaufbau des Landes gebraucht. Vor der Abreise sprach sich Glogowski dagegen aus, daß "einige Bundesländer, wie jüngst Schleswig- Holstein, den Termin für die Rückführung ständig aufschieben". Auf eben diese Reise bezogen sich auch Wandscher und der Arbeitskreis kreisfreier Städte, als sie die Rückführung Alleinstehender empfahlen.

Verzweifelte Lage

Hier sei noch einnmal dargestellt, welche Situation Rückkehrer in Bosnien-Herzegowina vorfinden würden:

- 60 % der Häuser und Wohnungen sind zerstört. Ein Drittel aller Schulen und Krankenhäuser liegt in Trümmern.

- In Industrie und Landwirtschaft beträgt die Produktivitätsrate zehn Prozent des Vorkriegsniveaus. Weniger als 10 % der Bevölkerung haben Arbeit. Der Durchschnittsve rdienst beträgt 200 DM im Monat, bei ähnlichen Preisen wie in Deutschland.

- Fast die Hälfte der 4,4 Mio. Bosnier lebt als Flüchtlinge: eine Million innerhalb des Landes, der Rest im Ausland. Nach der Entwicklung im August kommen auf etwa 150 000 Rückkehrer 80 000 neue Vertriebene.

- Politik und Wählen bedeutet in Bosnien derzeit Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die alten Kriegsführer sind jetzt die führenden Politiker. In Mostar z. B. werden nach UNHCR-Angaben jede Woche einige Muslime von Kroaten aus dem Westteil vertrieben. In Sarajewo bekommen die verbliebenen Serben zu Hause ungebetenen Besuch und werden aufgefordert zu gehen. Manchmal fliegen Steine und Handgranaten. Im serbischen Teil Bosniens boykottiert man jeden Versuch, vertriebene Muslime oder Kroaten auch nur besuchsweise in ihre Heimat zurückzulassen. Vierzigmal hat es das UNHCR versucht, 38mal sind die Busse von organisierten Demonstranten gestoppt worden.

- Mehr als die Hälfte der in Deutschland lebenden Flüchtlinge stammt aus den Gebieten der Serben. Würden sie "zurückgeführt", würden sie nicht in ihrer Heimat, sondern in Übergangslagern der muslimisch-kroatischen Föderation landen. Freie Wohnungen und Arbeit gibt es dort nicht. Die UNO-Flüchtlingsorgani sation bittet die Bundesregierung, mehr Geduld zu haben; sie spricht sich für eine freiwillige Rückkehr aus.

Bei der Rückführungseile der deutschen Politiker drängt sich der Verdacht auf, sie wollten die Flüchtlinge loswerden, solange das noch möglich sei. Wenn US-Soldaten zum Jahresende wirklich abziehen, könnte es neue Kämpfe geben. CSU-Innenminister Beckstein: Dann sei eine "geregelte Rückführung nicht mehr möglich" (SZ 27.8.96).

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