Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/96      Seite 9
 
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"Wat mööt wi hier smachten..."

Schon der Titel des soeben erschienenen Buches von Ingo Harms ist bezeichnend. Es ist das Zitat eines Menschen, der 1942 als Patient in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen lebte - oder besser gesagt: vegetierte. Er gehörte nicht zu denen, die die Schreckensherrschaft überlebt haben.

Erschreckend - wenn auch nicht neu - ist es, daß es auch in unserer unmittelbaren Umgebung nur allzu viele willige Vollstrecker Hitlers Terrorregimes gegeben hat. Die Anstalt Wehnen wäre ein rühmlicher Ausnahmefall gewesen. Leider ist sie es nicht. "Wat mööt wi hier smachten..." ist die qualvolle Geschichte eines entmenschlichten "Euthanasie"- Programms, dem allein in Wehnen nachgewiesenermaßen hunderte von Menschen zum Opfer vielen.

Mehr als bloße Horror-Statistik

Doch der Autor dieser einzigartigen und detaillierten Untersuchung zeigt weit mehr auf als bloße Horror-Statistik: Er entlarvt die Verantwortlichen der Gesundheitsbehörden des Landes Oldenburg, die selbst noch in einer 1979 erschienenen Festschrift des Landeskrankenhauses gedeckt werden. Die Vertreter dieser Behörden waren nicht nur am NS-Krankenmordprogramm beteiligt, sondern sie zeichneten sich auf makabre Weise sogar dadurch aus, daß sie geschlossen den Verordnungen vorauseilten.

Auch, und das ist der akribischen Archivarbeit des Verfassers zu Verdanken, bleibt kein Zweifel daran, daß die "Euthanasie"-Beteiligten - Beamte, ÄrztInnen, Krankenschwestern, Pfleger - nicht zu ihren Taten gezwungen wurden. Unabhängig von ihrer Verbundenheit gegenüber dem Nationalsozialismus hatten die meisten die Überzeugung verinnerlicht, das deutsche Volk von "unwertem Leben" befreien zu müssen. Mit missionarischem Eifer machten sie sich an die Ausrottung der "Minderwertigen".

Kontinuierliche Geschichte

Unerwartet mag für viele interessierte LeserInnen darüberhinaus die Erkenntnis sein, daß dieses Rassenbiologische Motiv eine weitaus längere Geschichte als der deutsche Faschismus hat. Und dies gilt sowohl für die Zeit vor 1933 als auch nach 1945. Letzteres wird durch die Kontinuität unterschiedlicher Arztkarrieren unmißverständlich deutlich.

Mag das "Dritte Reich" und "Wehnen" als Synonym für "Irrenanstalt" für manche Leute ein unbeliebtes, ja überreiztes Thema sein, für viele gehört es zu den wichtigen Details ihrer ureigenen Geschichte. Das vorliegende Buch des engagierten Oldenburger Historikers Ingo Harms ist ein unverzichtbares Stück Regionalgeschichte. Nicht Anklage, sondern Aufdeckung. Ebenso notwendig wie lesenswert.

Imme Frahm


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