Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/97      Seite 7
 
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Für fußgängerfreundlichen Straßenverkehr

Aktiver Einsatz für eine humanere Welt heißt oftmals, bürokratische Hindernisse zu überwinden, gegen weitverbreitete Ignoranz anzuarbeiten und aufzuklären, sich mit Bedenkenträgern herumzuschlagen und Rückschläge einzustecken. Daß man dennoch erfolgreich sein kann, beweist Erhard Reil, 44, blind, begeisterter Tandemfahrer und entschiedener Kämpfer für einen menschenwürdigen Verkehrsalltag. Mit engagiert kommentieren Diavorträgen, die er vor Vertretern der Städte und Gemeinden sowie diversen Verkehrsverbänden zeigt, deckt Erhard Reil Probleme auf, die nicht nur für blinde Menschen im alltäglichen Straßenverkehr lebensgefährlich sind, sondern auch für alle anderen die Lebensqualität in den Städten erheblich beeinträchtigen. Manche Veränderungen zum Besseeren hat er so bereits angeregt.

Schon oft hat sich Erhard Reil, der als Jugendlicher erblindete, bei seinen täglichen Besorgungsgängen an Hindernissen auf Gehwegen so manche schmerzhafte Beule zugezogen. Anfangs schluckte er den Frust einfach hinunter - aus Angst davor, durch seine Forderungen zu hohe Ansprüche an unsere Gesellschaft zu stellen. Doch vor dem Hintergrund zunehmender Gefahren im Straßenverkehr blieben ihm schließlich nur noch zwei Altenativen: Entweder weiter alles schlucken, sich in die eigenen vier Wände zurückziehen und dort in Isolation kaputtzugehen, oder sich gegen die Bedrohungen zu wehren.

Den Anstoß für seine Aktivitten gab ein Unfall in der Innenstadt. Im Januar 1991 zob Erhard Reil sich an einem mitten auf dem Gehweg abgestllten Lkw eine böse Platzwunde zu, erreichte blutüberströmt sein Mittagslokal und mußte dort erst einmal verarztet werden. Mit diesem Vorfall war seine Gelassenheit am Ende. Erhard schrieb an die Polizei und die stadt Oldenburg mit der bitte, der unerträglichen Situation Abhilfe zu schaffen. Während die Polizei den Mißstand bstätigte, sich verständnisvoll zeigte, jedoch keine Hilfe anbieten konnte, schrieb die Stadt: Wir können "nicht garantieren, daß Kraftfahrer ihre Fahrzeuge nicht verbotswidrig auf Fuswegen abstellen." Im Klartext: Man könne gegen die rücksichtslose Autoflut nichts ausrichten und müsse sich mit dem Elend halt abfinden.

Dabei sind zunehmend auch Nichtbehinderte vonw den folgen unbedachter Verkehrsplanug betroffen. Gehwege sind zugeparkt oder zu schmal. Sie sind keine Lebens- und Begegnungsräume mehr. Auch Kinder nd alte Menschen können Straßen nicht mehr ungefährdet überqueren.

Erhard Reil forderte auch für Oldenburg systematische Leitsysteme für Blinde sowie akustische Ampeln. Doch selbt im Blindenverein und im Arbeitskreis für Behindertenfragen hielt man seine Forderungen für überzogen. Unterstützung für seine Arbeit fand Erhard Reil schließlich bei der Ortsgruppe Oldenburg des Allgemeinen Deutschan Fahrrad-Clubs (ADFC). Gemeinsam mit Aktiven der Verkehrsgruppe wurde eine Diaserie mit den Schwerpunkten "Leitlinien", "Baustellenabsicherung", "Hindernissse auf Gehwegen", "zu schmale Gehwege" sowie "Proleme der kombinierten Rad- und Gehwege" ertellt. Ergänzend dazu wurde ein Konzept "Anregngen und Vorschläge für eine blindenfreundliche Stadtplanung" erarbeitet und veröffentlicht.

In der Folgezeit führte Erhard Reil unzählige Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der STadt, hielt Vorträge, informierte die Prese und schleppte die Leiter der Verkehrsabteilung, der Stadtgestaltung, des Tiefbauamtes, des Ordnungsamtes sowie der VWG kreuz und quer durch die STadt, um die Probleme vor ort aufzuzeigen.

Nach mehreren Jahren aktiver und ausdauernder Arbeit kann sich Erhard Reil heute über erste Erfolge freuen. Die sTadt konnte dazu bewegt werden, die Blindenproblematik ernsthaft anzugehen und zweckmäßige Ma'nahmen zu ergreifen. Nach und nach sollen systematische Hilfen (Leitsysteme), wie sie auch schon in anderen Städten, so z.B. in Münster und in Berlin bestehen, angelegt werden. Erhards Aktivitäten haben mittlerweile soviel Aufsehen erregt, daß er inzwischen aus dem ganzen bundesgebiet einladungen erhält, um seine Diaserien zu erläutern und darüber zu sprechen, welche Probleme Mobilitätsbehinder te im Straßenverkehr haben und wie man abhlife schaffen kann.

Erhard Reils Engagement zeigt, daß positive Einflußnahme auf die Gestaltung unserer mwelt möglich ist. Für seine Verkehrssicherh eitsarbeit sucht Erhard Reil Menschen, die ihn täatig unterstützen - die ihm Post vorlesen, Texte auf Band sprechen, Dias durchsehen und auswählen, Briefe tippen oder in zu vorträgen und Ortsterminen begleiten. Wer gelegentlich etwas Zeit dafür erübrigen kann und möchte: Erhard Reil wohnt im Stdtsüden und ist unter der Telefonnummer 0441/46308 zu erreichen.

Regina Stief


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