Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/97      Seite 14
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Semesterticket: Kritische Anmerkungen

Das Semesterticket ist angenommen worden. In einer Urabstimmung vom 9. bis 13.12. 1996 sprachen sich ca. 58 Prozent der abstimmenden Studierenden für das Semesterticket aus; die Wahlbeteiligung lag bei 30 Prozent. Dieses ist ein klares und basisdemokratisch legitimiertes Votum zugunsten des Tickets und die formale Zustimmung des Stupa (Studierendenparlament) nur Formsache, so daß das Ticket - wenn nichts unvorhergesehenes mehr passiert - zum Sommersemester 1997 eingeführt werden wird.

Trotz dieser Entscheidung für das Semesterticket halte ich an der Kritik an diesem Ticket fest, auch wenn ich den Mehrheitsbeschluß als Entscheidung der Studierendenschaft akzeptiere.

Das Ticket wird, wie auch schon häufig an anderen Stellen erwähnt, mehr oder weniger ein reines Freizeitticket sein. Umsteigeeffekte auf dem Weg zur Uni sind dagegen leider nicht oder nur in einem marginalen Umfang zu erwarten: Zum einen fahren die in Oldenburg wohnenden Studierenden zu ca. 75 Prozent mit dem Fahrrad und verhalten sich damit schon ökologisch, zum anderen ist der ÖPNV innerhalb Oldenburgs grottenschlecht und für die Personenbeförderung kaum geeignet, und schließlich werden diejenigen, die trotz geringer Entfernung mit dem Auto zur Uni fahren (Myliusstr., Ariweg, Eichenstr. etc.) nicht umsteigen, da bei diesen Strecken die Benutzung des Autos nicht aufgrund rationaler, sondern nahezu ausschließlich emotionaler Überlegungen erfolgt. Dagegen besteht die Gefahr des Umstiegs vom Fahrrad auf den Bus (z.B. bei "schlechtem" Wetter; dafür wirbt sogar der AStA (!)), eine ökologisch gesehen höchst bedenkliche Sache, denn Fahrrad fahren ist immer noch ökologischer als Bus fahren.

Für die außerhalb Oldenburgs wohnenden Studierenden ergeben sich aus dem Ticket ebenfalls kaum Vorteile. Da die Bus- und Bahnverbindungen im Gebiet rund um Oldenburg so schlecht sind - um nicht zu sagen, fast nicht vorhanden - wird es für viele Studierende kaum möglich sein, mit dem ÖPNV nach Oldenburg zu gelangen, und wenn doch, dann unter einem hohen zeitlichen Aufwand, der in keinem Verhältnis zur Fahrzeit mit dem Auto steht. Zudem sind im Gebiet westlich des Ammerlandes zwar die Züge (Leer, Papenburg, Emden etc.) im Ticket mit enthalten, nicht aber die Busse, um zu den Bahnhöfen zu gelangen ... Nur wer direkt an einem Bahnhof wohnt, hat Vorteile, und das werden nicht viele sein.

Was bleibt? Wie schon oben erwähnt, wird das Semesterticket ein Freizeitticket werden. Dieses ist nicht weiter tragisch, da ja Busse und Bahnen benutzt werden, die sowieso fahren, damit einen höheren Auslastungsgrad erreichen und somit der ÖPNV gefördert wird, könnte man meinen. Ganz so positiv sieht es dann aber doch nicht aus: Überall ist zu lesen - und es wird auch kaum noch bestritten -, daß der Verkehr zu billig ist - gemessen an den ökologischen und sozialen Kosten, die der Verkehr verursacht. Nicht umsonst lautet das oberste Ziel der VerkehrsplanerInnen "Verkehrsvermeidung". Der ADFC fordert eine Entfernungspauschale von 0 DM/km mit der Begründung, wie weit jemand von seinem Arbeitsplatz entfernt wohnt, ist seine Privatsache. Wer weit weg wohnt (wohnen will) und so viel Verkehr verursacht, soll dafür auch bezahlen.

Mit dem Semesterticket wird der Verkehr weiter subventioniert und damit das Verkehrsaufkommen gesteigert; jegliche Versuche der Verkehrsvermeidung werden ad absurdum geführt. Desweiteren findet diese Steigerung fast ausschließlich im Freizeitbereich statt (hier nimmt der Verkehr sowieso schon stark zu), also alles nicht notwendige Fahrten - im Gegensatz zu den Fahrten zur Uni, die man mit der Fahrt zur Arbeit vergleichen kann. Diese Fahrten fallen unter die Rubrik Privatangelegenheit, und es ist nicht einzusehen, warum die Allgemeinheit das Vergnügen einiger weniger (okay, es sind ein paar mehr, aber nicht alle!) subventionieren soll, sprich ich dafür bezahlen soll, wenn mein Kommilitone ins Kunstmuseum nach Emden fahren will. Auch Fahrten am Wochenende zu den Eltern zählen zu den nicht notwendigen Freizeitfahrten, deren Subventionierung ich ablehne. Wer diese Fahrten machen will, soll es tun, dafür aber auch alleine zahlen. Und wer viele Freizeitfahrten machen will - z.B. nach Bremen - soll dafür auch viel zahlen. Benachteiligt wird dagegen derjenige, der aus zeitlichen oder anderen Gründen nicht viel durch die Gegend fährt, denn der muß für die Reiselust der anderen zahlen und das in nicht geringem Umfang (79,50 DM kostet das Ticket).

Ein weiteres Problem ist die Förderung des Flächen- und Naturverbrauchs infolge einer Zersiedelung durch Wohnbebauung. Durch die Subventionierung der Fahrtkosten wird es für Studierende attraktiv, im Umland zu wohnen; entweder bei den Eltern oder allein (bzw. in einer WG). Der Vorteil liegt in der durchschnittlich geringeren Miete auf dem Land (bei den Eltern umsonst). Studierende, die in Oldenburg wohnen und mit höheren Mietkosten leben müssen, bezahlen für diejenigen mit, die es vorziehen, billig auf dem Land oder bei den Eltern zu wohnen und durch weitere Fahrwege die Umwelt stärker zu belasten.

Bleibt als Fazit festzuhalten, daß unabhängig vom Preis ein Semesterticket in Oldenburg aufgrund der strukturellen Gegebenheiten (hoher RadfahrerInnenanteil, schlechte ÖPNV-Verbindungen lokal als auch regional (s.o.)) keinen Sinn macht und sogar kontraproduktiv ist. Damit soll aber nicht das Semesterticket generell schlecht gemacht werden: In verdichteten Räumen mit einem hohen MIV-Anteil, einer guten ÖPNV-Infrastruktur sowie einem marginalen Radfahreranteil und somit hohen Verlagerungspotentialen macht ein solches Ticket Sinn - z.B. Ruhrgebiet, München, Hamburg, Hannover...

Folgerichtig, konsequent und im Sinne des Naturschutzes wäre nach der Einführung des Semestertickets in Oldenburg eine Mietsubventionierung für alle diejenigen Studierenden, die - sich ökologisch sinnvoll verhaltend - in Oldenburg wohnen, zu zahlen vor allem von denjenigen, die im Umland wohnen. Mir schwebt da ein Betrag von 100 DM/Semester vor. Da aber schon mit dem Semesterticket der Umwelt nicht geholfen, sondern tendenziell geschadet wurde, erwarte ich hinsichtlich der Umsetzung dieses Vorschlages nicht sehr viel ...

Aber vielleicht habe ich eine Diskussion in Gang gebracht, die auch nach der Einführung des Semestertickets noch geführt wird, denn Revisionen sind jederzeit möglich.

Stephan Popken


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