Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/97      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Ohne Arbeit kein Vergnügen

Wanderausstellung von DONNA 45 zum Thema "Kinderarmut und arme Frauen in der BRD"

"Über die Armut ist alles gesagt.

Daß sie hartnäckig ist, zäh, klebrig.

Daß sie niemanden interessiert,

außer die Armen. Langweilig ist sie.

So emsig, daß ihr keine Zeit bleibt,

über Langeweile zu klagen.

Sie ist wie der Dreck. Dort,

wo unten ist, ist sie,

stört, steckt an, stinkt."

aus:"Der blecherne Teller" von Hans Magnus Enzensberger

Sprechen kann man über die Armut allgemein. Theoretisieren kann man über sie "im Großen und Ganzen" und wie sie langfristig zu bekämpfen sei. Und man kann sprechen über die Armut der anderen, wieso sie in Not gerieten und was sie wohl falsch gemacht oder nicht beachtet haben.

Sprachlos wird man dann, wenn man selbst zu den Armen gehört. Denn Armut "...ist wie der Dreck. Dort, wo unten ist, ist sie, stört, steckt an, stinkt." Armut stinkt, ist ein Stigma, ist das Abweichende und nicht das Normale - und so beginnt man schnell, sich dafür zu schämen, daß man nicht zu den Normalen gehört. In einem Land, in dem jede/r theoretisch reich und erfolg-

reich sein kann, muß es wohl an einem selbst liegen, wenn es nicht klappt...

Statt Armut als Folge wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Entwicklungen zu sehen, versinkt sie - zusammen mit den Betroffenen - in krankmachender Privatheit.

In unserem Projekt "DONNA 45- Bildung und Werkstätten von erwerbslosen Frauen" bekommen wir die Auwirkungen von Armut, von sozialer Ausgrenzung und von schlechten Startchancen für unsere Kinder täglich zu spüren. Durch das Aufbrechen der Isolation und die Beendigung des verschämten Schweigens können sich in unserer gemeinsamen Arbeit ganz neue Energien und neue Zielsetzungen bilden. Eine davon war die Idee, die erlebte Problematik durch eine Fotoausstellung öffentlich zu machen und ihr so einen politischen Ausdruck zu geben.

Wir konnten und wollten es nicht hinnehmen, daß zwar einerseits die dramatische Zunahme besonders von Kinderarmut in Sozialberichten und Zeitungsmeldungen veröffentlicht wird, andrerseits Armut aber weiterhin tabuisiert wird. Die Ursachen werden nur selten benannt, und ebenso selten wird ernsthaft nach sinnvollen Lösungen im Sinne der Betroffenen gesucht.

Stattdessen wird häufig das individuelle Schuldprinzip verfolgt: das gilt für den "Verlust des Arbeitsplatzes" ebenso wie für den "Verlust des Ernährers". Die Folgen von struktureller Armut, von gesellschaftlicher Ausgrenzung und Abwertung sollen dementsprechend auch am besten individuell und privat bewältigt werden : die Quadratur des Kreises als weites Betätigungsfeld für Frauen - und vor allem für Frauen als Mütter.

Gemäß dem alten Motto der Neuen Frauenbewegung "Das Private ist politisch!" wollen wir dieser Tendenz entgegenwirken, indem wir mit der Ausstellung die Armut aus ihrer individuell- verschämten dunklen Ecke holen und sie im Licht der Öffentlichkeit sichtbar machen.

Die inhaltliche Grundlage bilden Interviews, die an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg mit alleinerziehenden, sozialhilfeberechtigten Frauen geführt wurden, von denen einige dann auch an diesem Projekt mitarbeiteten. Originalzitate aus diesen Gesprächen kombinierten wir mit Schwarz-Weiß-Fotografien. Dargestellt werden Brüche im Leben, die Stärke von Frauen und die ungleichen Ausgangschancen von Kindern. Texttafeln erläutern das Thema "Armut in einem reichen Land" mit Hintergrundinformationen, Daten und Gesetzes- urteilen.

Darüberhinaus wurde die Ausstellung durch einen historischen Teil ergänzt, der einen Einblick in den Alltag armer Frauen und Kinder um die Jahrhundertwende gibt und dabei deutlich werden läßt, daß Armut von Frauen und Kindern kein neues Phänomen ist, sondern ein altes, strukturelles Merkmal unserer patriarchalen Gesellschaftsordnung. Parallelen finden sich auch beim Umgang mit den Armen: sie zu diffamieren und ihnen überzogenes Anspruchsdenken vorzuwerfen, war damals ebenso wie heute eine wirksame Form der persönlichen Schuldzuweisung und Ablenkung von gesellschaftlichen Mißständen.

Die Ausstellung befindet sich noch bis Ende April in der Kapelle der Lambertikirche (Öffnungszeiten dienstags bis sonntags 11 Uhr bis 12.30 Uhr und dienstags bis freitags 14.30 Uhr bis 17 Uhr) und geht dann auf Wanderschaft in verschiedene Orte der BRD.

Wer Interesse daran hat, mehr über unsere Aktivitäten und/oder über die Ausstellung zu erfahren bzw. sie auszuleihen, kann uns am besten montags bis freitags zwischen 11.00h und 13.00h unter 0441- 85756 telefonisch erreichen.

Donna 45


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