Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/97      Seite 12
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Neue Aufrüstungsrunde

durch neue Fronten

Sieben Jahre nach dem Ende der Sowjetunion und kaum ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Krieges zwischen den Militärblöcken droht in Osteuropa eine neue militärische Frontenbildung, die im Westen von einer neuen Aufrüstungsrunde im Flugzeugbau begleitet wird. Noch in diesem Jahr soll die NATO - OSTERWEITERUNG auf einem Gipfeltreffen unter Dach und Fach gebracht werden. Dabei sollen Polen, Ungarn und Tschechien in die NATO einbezogen werden..Wie es heißt, steht auch für die baltischen Staaten, die sich schon vor Jahren um eine Mitgliedschaft beworben haben, die Tür zur NATO grundsätzlich offen;

Milliarden für Eurofighter

Trotz der augenblicklichen Wirtschaftskrise soll der äEurofighter“ nun endgültig gebaut werden. Für die Bundesrepublik bedeutet das, daß zusätzlich zu ihrem Anteil an den Entwicklungskosten von zwei Mrd. DM die Ausgaben für den Bau von 180 Flugzeugen den Bundeshaushalten der kommenden Jahre und damit den Steuerzahlern aufgedrückt werden. Das sind bei einem Stückpreis von 125,5 Mio. DM insgesamt 20 Mrd. DM. Für Osteuropa wird es noch teurer. Dort planen die USA den Verkauf neuer Superflugzeuge.

Neuer Zankapfel ?

Durch eine neue Frontlinie entlang der Ostgrenze Polens und der baltischen Staaten würden sich 1000 km östlich vom inzwischen gefallenen "Eisernen Vorhang" Ost und West erneut militärisch gegenüberstehen - wobei allenfalls noch Weißrußland und die Ukraine als relativ schmale Pufferzonen dienen würden. Das ehemalige Nord-Ostpreußen, russisches Staatsgebiet und Militärbasis, umgeben von Polen und Litauen, würde unweigerlich zum Zankapfel innerhalb eines neuen Ost-West-Machtgerangels werden.1)

Betrachtet man die Lage allgemein, so kann im Augenblick, von der inzwischen eingegrenzten Krise auf dem Balkan einmal abgesehen, von einer besonderen Gefährdung der Sicherheit in Europa nicht die Rede sein. Zwar gehen von den schlecht kontrollierten Atomwaffenarsenalen und den - zum Teil atomwaffenfähiges Plutonium produzierenden - Atomkraftwerken auf dem Boden der ehemaligen Sowjet-Union Gefahren aus. Die dürften aber kaum ein Fall für die NATO sein. Im Vergleich zu früher erscheint die Lage eher entspannt :

- Rußland ist an die NATO - Gremien angebunden und hat eine Stimme ohne Vetorecht im NATO-Rat;

- das Konzept der "Partnerschaft für den Frieden" verstärkt die Kontakte innerhalb des Militärs;

- der Westen hat versprochen, bei einer Ostererweiterung die Gesamtschlagkraft der NATO nicht zu erhöhen;

- schließlich sind auf dem Helsinki-Gipfel am 21. März zwischen Boris Jelzin und Clinton weitere Vereinbarungen in der Abrüstungsfrage getroffen worden (START III - Abkommen zur Begrenzung der Mehrfachsprengköpfe, ergänzend zu dem vom russischen Parlament noch nicht ratifizierten START II: weitere Begrenzung der strategischen Waffen und Langstreckenraketen; Verhandlungen über das Verbot chemischer Waffen).

Aber etwas anderes gibt zu denken:

- Die Eile, mit der die NATO-Osterweiterung, auch gegen den Willen Rußlands, vorangetrieben werden soll;

- das Fehlen eines Gesamtkonzeptes für Sicherheit und weitere Entspannung in Mittel- und Osteuropa, in das alle Veränderungen einbezogen werden müßten ;

- der Nachdruck, mit dem von Seiten der amerikanischen Rüstungsindustrie bereits über riesige Waffenkäufe in den neuen NATO-Staaten verhandelt wird und schließlich

- die Tatsache, daß Abrüstungsvereinbarungen seit Anfang der 70er Jahre fast regelmäßig parallel zu neuen Aufrüstungsrunden in anderen Waffenbereichen erfolgt sind. Es wurde immer gleichzeitig ab- und aufgerüstet.

US-Gründe für mehr NATO

Welche Gründe sind es, die die westliche - hauptsächlich: die amerikanische - Politik bewegen, die NATO-Erweiterung jetzt so vehement voranzutreiben, die Verabschiedung des START II - Abkommens durch Rußland aufs Spiel zu setzen und eine neue Phase der Aufrüstung zu riskieren?

Häufig wird gesagt, die drei Länder Polen, Tschechien, Ungarn (wenn nicht auch die baltischen Staaten, vgl. "Zeit 97, Nr. 12") gehörten zu Europa, daher müsse ihre wirtschaftliche mit der politischen und militärischen Ankoppelung verbunden werden. Doch dabei werden die Gefahr einer Konfrontation mit Rußland und die Ausnutzung seiner jetzigen politischen Schwäche meist nicht mitgedacht. Daneben wird darauf hingewiesen, daß die Politiker dieser Länder den Beitritt seit Jahren selber wünschen.. Aber die Penetranz, mit der amerikanische Rüstungsfirmen vor allem in Polen auf die Anschaffung moderner Superflugzeuge drängen, läßt eher neue riesige Profitinteressen und eventuell ein Wettrennen mit dem äEurofighter“ um den Verkauf der amerikanischen Flugzeuge als Gründe vermuten: Die USA versuchen die F/A äHornet“ von Mc Donell-Douglas im Wert von fünf Milliarden Dollar sowie den Typ äF 16“ (fighting falcon) von Lockhead Martin zu verkaufen. "Obwohl noch kein Feind weit und breit zu sehen ist, mahnen die USA mit Erfolg höhere Militärausgaben in Osteuropa an...Tschechien will sein Verteidigungsbudget in den nächsten 3 Jahren verdoppeln, Polen bis spätestens 2002. Das Haushaltsbüro des US-Kongresses (CBO) schätzt, daß eine NATO-Ausdehnung allein auf Polen, Tschechien und Ungarn über 15 Jahre zwischen 61 und 125 Mrd. Dollar kosten wird" (zitiert nach "STERN 8/97").

Ein Blick zurück:

Auch in den Jahrzehnten des Kalten Krieges waren die ständigen Weiterentwicklungen der Waffentechnik verbunden mit den Profitinteressen innerhalb des militärisch-industriellen Komplexes der USA ganz wesentliche (nicht die alleinigen) Verursacher bei dem immer weiteren Anziehen der Rüstungsschraube, dem "Rüstungswettlauf". Aufschlußreich hierfür ist eine Tabelle, die das schwedische Friedensforschungsinistitut SIPRI bereits 1979 herausgegeben hat und in der die Einführungsjahre rüstungstechnischer Neuerungen bei den beiden Supermächten USA und UdSSR gegenübergestellt werden:

Waffensysteme Jahr der Einführung

USA UdSSR

Atombombe 1946

1950 Wasserstoffbombe

1953 1954 Langstreckenbomber

1953 1957 Mittelstreckenraketen

1953 1959 Taktische Nuklearwaffen

1955 1956 Intercontinentalraketen (ICBM)

1955 1957 Atom-U-Boote

1956 1962 U-Boot-Raketen, unterwasserabgeschossen (SLBM)

1959 1968 Anti-Raketen-Raketen (ABM)

1960 1961 ICBM mit Feststoffantrieb

1962 1969 Raketen mit Mehrfachsprengkörpern (MRV)

1964 1972 Raketen mit mehrfachen, einzelnen lenkbaren Sprengköpfen

(MIRV) 1970 1975

Marschflugkörper, neue Generation (Cruise Missile) 1976

- Neutronenbombe 1979

- (Quelle: SIPRI Yearbook 1979) Raketen mit mehrfachen, nachträglich noch einzeln steuerbaren Sprengköpfen (MARV) 1985

-

Um Mißverständnissen zu begegnen: Mit dem vorstehenden Vergleich ist nicht ausgesagt, daß nicht auch die Sowjet-Union durch die Erprobung und Einführung immer gefährlicherer Waffen ein hohes Aggressionspotential besaß. Sie zündete die größte H-Bombe in den 50er Jahren, entwickeelte die Mittelstreckenraketen und setzte in Afghanistan Landminen ein, um nur etwas hervorzuheben. Die Sowjet-Union hatte ihrerseits einen militärisch-industriellen Komplex, aber der funktionierte anders, hatte seine Verzahnung mit der Nomenklatura und dem autoritären Staatsapparat, nicht mit einem Profitsystem).

Während in der Zeit des Vietnamkrieges der westliche, d.h. vor allem der amerikanische militärisch-industrielle Komplex durch seine weltweiten, imperialistischen Zielsetzungen öffentliches Interesse und massive Proteste hervorrief, waren es in der Zeit der Friedensbewegung die immer gefährlicheren Waffenentwicklungen (Neutronenbombe; "Krieg der Sterne"). Nun, am Ende des Jahrhunderts, sind es die gewaltigen finanziellen Manipulationen bis hin zur Veränderung der ökonomischen Struktur anderer Länder, die dringend in die Kritik einbezogen werden müssen.

Wer soll das bezahlen...?

Gehen wir daher weiter zu der Frage, wie die geplanten Milliardengeschäfte mit den neuen in Betracht kommenden NATO-Ländern gemacht werden sollen. Alle diese Länder sind zur Zeit wirtschaftlich schwach sind. Wer soll die so dringend zum Verkauf angepriesenen Flugzeuge von Lockhead oder Mc Donell-Douglas eigentlich bezahlen? Diese Frage wird auch von dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI aufgeworfen.

Zunächst werden die betreffenden Länder so viel wie möglich aus ihren Staatshaushalten tragen müssen. Daß ihre Militärausgaben erhöht werden sollen, haben die Amerikaner bereits angemahnt. Tschechien hat in den nächsten drei Jahren, Polen bis zum Jahre 2002 eine Verdoppelung seines Militäretats zugesagt. Höhere Steuern wären unausweichlich, und das bei einem Durchschnittseinkommen in Polen, Tschechien, Ungarn, das gemessen an der Kaufkraft rund ein Zehntel von dem in der Bundesrepublik beträgt.

Bis zur Höhe von 15 Mrd. Dollar garantiert die amerikanische Regierung für Geschäfte amerikanischer Rüstungsfirmen mit 37 Ländern, unter ihnen fast alle osteuropäischen "Natopartner für den Frieden". US-Banken gewähren für Waffenkäufe Vorfinanzierungen bis zu 500 Mio. Dollar. Gehen wir davon aus, daß die anstehenden Milliardenausgaben nicht voll aus den Staatskassen der neuen NATO-Staaten bezahlt werden können, so bedeutet das, daß diese Länder Kredite aufnehmen müssen, die mitsamt der fällig werdenden Zinsen zurückzuzahlen sind - die Taktik des Schuldenhammers.

Zum anderen werden die von der amerikanischen Regierung übernommenen Ausfallbürgschaften mit großer Wahrscheinlichkeit auch zur Anwendung kommen und die amerikanischen BürgerInnen daher selber zur Kasse gebeten werden, d.h., die Masse der SteuerzahlerInnen und diejenigen, die von der Regierung um ihre Sozialleistungen betrogen würden.

Und die Gewinner?

Nachdem so schon feststeht, wer die eigentlichen Verlierer einer mit der NATO-Osterweiterung verbundenen neuen Aufrüstungsrunde wären, bleibt noch die Frage nach den Gewinnern. Hier dürfen wir uns nicht, wie oft in den 70er und 80er Jahren geschehen, mit allgemeinen Hinweisen auf Rüstungskonzerne, Banken oder Aktionären zufriedengeben.

Mc Donell-Douglas, Lockhead Martin, Bell-Trexton und andere Rüstungsfirmen sind Aktiengesellschaften, deren Papiere an den Börsen weltweit gehandelt werden und in "normalen" Jahren eine erkleckliche Dividende abwerfen. Einige sind in Investment-Fonds enthalten, die auch in Deutschland verbreitet sind. Gewinne aus solch neuen Milliardengeschäften sind ohne Risiko zu erwerben, da sie durch die Staatshaushalte und Ausfallbürgschaften abgesichert sind. Sie würden also in die Taschen von Zig-Tausenden wohlhabender BürgerInnen fließen, die ihr Geld in diesen Aktien angelegt haben und als InhaberInnen von Investment-Fonds-Papieren häufig noch nicht einmal wissen, woher ihr Geld kommt und warum ihr Papier so hoch im Kurs steht.

Leider haben sich die in den USA zu gewisser Bedeutung gelangten sog. "Ethik-Fonds", die ihren Kunden über die Art ihrer Beteiligungen konkret Auskunft geben bzw. Beteiligungen in Rüstungs- und anderen destruktiven Bereichen ausschließen, in Deutschland bisher kaum durchsetzen können. Auch die direkt projektbezogenen Beteiligungen wie zum Beispiel über die Öko-Bank sind wenig bekannt.

Folgerungen:

Die Osterweiterung der NATO ist abzulehnen. Es darf zu keiner neuen militärischen Frontenbildung in Mittel- und Osteuropa kommen ! "START II" darf nicht gefährdet werden. Die Abrüstung ist konsequent weiterzuführen. Hauptziel muß sein, die NATO als Relikt des Kalten Krieges aufzulösen. Sie muß durch ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem ersetzt werden. Dieses muß unter Mitwirkung und Einbeziehung Rußlands zustande kommen !

Das schließt ein,

daß an der Profit- und Rüstungsschraube nicht mehr weitergedreht wird,

daßkeine Milliarden-Flugzeuggeschäfte mit neuen NATO-Staaten gemacht werden und auch der "Eurofighter“ nicht gebaut wird.

Staatliche Aufträge an die Wirtschaft, deren beschäftigungssichernder Nutzen außer Zweifel steht , müssen im zivilen Sektor erfolgen, ein Teil des eingesparten Geldes muß für zivile Umrüstung (Konversion) genutzt werden !

Damit ist auch die weitere Ruinierung der öffentlichen Haushalte durch Militärausgaben zu stoppen. Die Lage der Menschen in Osteuropa darf sich nicht durch unnötige Kredit- und Schuldenpolitik weiter verschlechtern ! Nur so kann neuen Kriegsgefahren wirksam begegnet werden, nur so kann man armuts-, spannungs- und kriegsbedingten neuen Fluchtbewegungen entgegentreten !

AK Asyl, Oldenburg

(überarbeitet von achim)


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