Oldenburger STACHEL Ausgabe 6/97      Seite 16
 
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Auf ein Wort - Mercedes Benz im Dialog

Man kennt sie, die Karossen mit der eingebauten Vorfahrt, die man als Radfahrer wie als Fußgänger oder Kleinwagennutzer bereitwillig an sich vorbeiziehen läßt, froh, sie vor und nicht hinter sich zu haben. Jedes Kind, zumal männlichen Geschlechts kennt die verschiedenen Klassen, und der hübsche Zierrat auf der Kühlerhaube, Symbol für deutsche Wertarbeit und Potenz welcher Art auch immer, löst so manche Phantasien aus. Diese Automarke war schon immer mehr als nur eine Automarke und das dazugehörige Unternehmen läßt nicht nur die Herzen seiner Klein- und Kleinstaktionäre höher schlagen. Managementkrisen hin oder her. Allem Anschein nach genügt das aber nicht.

Man darf getrost sagen, daß der United Parcel Service den Stachel einigermaßen selten aufsucht. Daß er dies gleich mehrfach und sozusagen hartnäckig tut, entgegen seiner allgemeinen Geschäftsbedingungen, läßt aufhorchen. Was Herr Dr. Dieter Zetsche, Mitglied des Vorstandes der Mercedes-Benz AG, Ressort Vertrieb, in dieser Woche so dringlich mitzuteilen hatte, stellte dann in der Tat alle Erwartungen und, zugegeben, Hoffnungen in den Hintergrund. Das gediegene Konterfei Dr. Zetsches, das eine Außendienststelle des Stachel in den frühen Morgenstunden per Boten erreichte, verhieß zunächst nur: Die Daimler Benz AG gibt es noch und sie schaut in die Welt wie eh und je. Außerdem ergossen sich aber über den Tisch Presseinformationen die Fülle, nein, natürlich nicht zu den Oldtimern der Produktion. Die bisherigen Baureihen "in den Kernsegmenten der C-, E-, S- und SL-Klasse" sind wie die vergleichsweise neuen Entwicklungen, die V-Klasse (Großraumlimousine), der kleine Roadster SLK und das CLK-Coupé, nichts gegen das, was sich die Firma mit dem Stern jetzt ausgedacht hat: die A-Klasse. (Die alphabethische Reihenfolge bei der Benzschen Fabrikationschronologie wird mir immer ein Rätsel bleiben. d.Tippse) Besser als die Presseprofis bei Mercedes kann man eigentlich nicht beschreiben, was es damit auf sich hat: "Fast hat es den Anschein, als sei die neue Modellreihe der Quadratur des Kreises nähergerückt: Sie verbraucht wenig Kraftstoff, sie ist komfortabel, zuverlässig und geräumig - dabei sicher, vielfältig nutzbar und auch noch schön. Wie selten bei technischen Innovationen fließen Ökologie, Ökonomie und Ästhetik zu einer Symbiose zusammen." Mit anderen Worten: Die 3,57 Meter lange und gute 1000 Kilo schwere Karre ist "innovativ", "revolutionär", "avangardistisch". Und um davon auch den letzten Zweifler zu überzeugen, hat sich der Konzern zu einer enorm aufwendigen Werbekampagne entschlossen, die allerdings nicht so "überraschend" und "unkoventionell" ist, wie man das in Stuttgart gern glauben möchte. Dr. Zetsche schwebt eine "Gesamtinszenierung aus A-Klasse-Themen, Schauspiel, Workshops und kritischer Reflexion" vor, die "in beeindruckender Weise zu den Menschen in die Innenstädte kommt" und "progressive Akzente in der Diskussion zwischen Wirtschaft und Gesellschaft" setzt. Das Automobil soll nämlich zwischen Mai und Oktober mit einer katalanischen Theatergruppe auf Europatournee gehen. Beide, das Auto und die Schausteller, werden auf einem quadratischen Kubus herumturnen und den "Dialog suchen" getreu der Devise, daß die Zukunft "nicht im Bereich der unpersönlichen, sondern der persönlichen Kommunikation" liegt. Das Performancetheater, das sich zwanglos mit Foren über Verkehrskonzepte auf dem Kubus verbindet, ist also ein "Event" der besten Sorte. Kultursnobs mit ihrer abgestandenen "Diskussion um Kunst und Kommerz" sollten deshalb "endlich einmal verstummen, wenn - selten genug - die Gelegenheit ergriffen wird, solch sinnvolle Synergieeffekte zu erzeugen". Der bombastische Theaterzauber, der es nicht unter den großen Mythen (Geburt, Tod) und den Grundlementen (Feuer, Wasser, Luft und Erde) macht und darum natürlich auch nicht auf Sphärenklänge und Spezialeffekte verzichten kann, ist historisch gleich doppelt abgefedert: zum einen durch die Firmentradition (Daimler Benz als Förderer von Kunst und Kultur) und zum andern durch die Festumzüge im Italien der Renaissance, die nicht von Mercedes gesponsort wurden. Nun gut, in Stuttgart will man also ein neues Auto an den Mann bringen und setzt es deshalb mit Pomp in Szene. Darüber freuen wir uns und die Kulturpuristen sollen die Klappe halten oder weggucken. Hingucken sollen hingegen alle ökologisch Gesinnten. Denn: Das A-Auto ist die Benzsche Antwort auf den Treibhauseffekt. Jeder "weiß, das das Ideal der totalen Mobilität eine ökologische und energiepolitische Kehrseite hat. Die Lösung kann jedoch nicht lauten: Überhaupt keine Autos mehr. Sie muß heißen: andere, intelligente, innovative Fahrzeuge." Mit dem Mercedes der A-Klasse ist der "zivilisatorisch notwendige Schritt ins dritte Jahrtausend getan", denkt man sich in Stuttgart. Klein, aber fein, schnell, wie es sich für einen Mercedes gehört und sicher, wie es deutsche Autos nun einmal sind.

Allerdings: Auch die Anleihen aus der Bibel oder säkulareren Texten ("Am Anfang ist das Licht" , "Der Himmel kann warten") können die Enttäuschung darüber nicht wettmachen, daß Mercedes in seinem umfangreichen Pressematerial auf Daten verzichtet, die klar belegen könnten, in welchem Maße ökologisch korrekt die Neuentwicklung tatsächlich ist. Wir ahnen: So doll wird's vielleicht nicht sein, wenn man mit bis zu 102 PS über den Highway braust. Immerhin soll der Lack lösungsmittelfrei sein. Noch schmerzlicher vermißt man Angaben zu den preislichen Vorstellungen. Wer sich auf dem laufenden hält, weiß aber: Der A-Mercedes wird echt viel kosten, doppelt so viel zumindest, wie der erprobte, auch von Greenpeace geschätzte Mini-Van aus Frankreich. Der Benz-Kunde bezahlt halt auch die furiose Werbestrategie. Und was die ästhetische Komponente, das von Mercedes so emphatisch angekündigte, "jugendlich-schicke" Design angeht: Selbst nach ausführlichem Betrachten der Hochglanzphotos kann man sich des Eindrucks erwehren, daß Deutsche statt schnittiger PKWs meist nur Panzer bauen. Das weckt zwar Emotionen, ist aber nicht unbedingt ein sinnliches Vergnügen.

Wir fassen also zusammen: Beim allmächtigen Daimler Benz sah man die Zeit für gekommen, etwas Altes neu zu erfinden, das nicht schöner, wahrscheinlich auch nicht viel ökologischer, auf jeden Fall aber teurer ist als die Konkurrenz, die bereits über unsere Straßen tuckert. Ob das multimediale Spektakel zu seiner Vermarktung unsere von der "geschwätzigen, audiovisuellen Welt" erschöpften intellektuellen und sensuellen "Kraftzellen" wirklich wieder auflädt und einen deshalb zum Mercedes-Kunden werden läßt, ist zu bezweifeln. Nicht leugnen läßt sich aber der Konzernwille, seine Klientel auch auf solche kritischen Kreise auszuweiten, die bisher noch keinen Salonwagen dieser Marke fahren und dafür lieber den Stachel lesen. Es wäre interessant zu wissen, wie viele Stadt-, Schüler- oder Studentenzeitungen, die etwas gegen Teststrecken haben, Besuch vom Zustelldienst bekamen. Die Message - Mercedes sucht den Anschluß an die Ökobewegung und will mit uns ins nächste Jahrtausend - dürfte allgemein auf Verständnis stoßen. Die Logik des Profits macht diese Annäherung schließlich zwingend.

Ein Tip vielleicht an die Marktstrategen: Die Leutchen, um die es geht, verdienen seltenst so viel, daß sie sich eure Ökobox leisten könnten. Es steht im übrigen dahin, ob sie das Moos so investieren wollen würden. Sehr unglücklich scheinen in diesem Zusammenhang die Auslassungen über die Produktivkräfte bei Mercedes. Nichts gegen die 1800 neuen Arbeitsplätze in Rastatt. Die Millionen sind gut investiert. Aber mußte denn unbedingt auch auf die Ausbeutung der Arbeiter in den Billiglohnländern hingewiesen werden? Daß diese Form der Internationalisierung auch noch massiv vorangetrieben werden soll, schreckt doch eher ab. "Made in Germany" wird künftig zu "Made by Mercedes Benz" umgedichtet, weil sich gezeigt hat, daß die "Mercedes-Philosophie" (der Mehrwert vielleicht? d. Tippse) "auch außerhalb Deutschlands zu realisieren" ist, in Südafrika, Mexiko, Brasilien, Thailand, Vietnam, Indien, Malaysia und Indonesien nämlich.

Wer sich trotzdem über die Termine der Promotion-Tour mit dem Kubus im In- und Ausland informieren möchte, melde sich bitte direkt bei der Kommunikationsabteilung der Daimler Benz AG in Stuttgart oder vielleicht doch gleich bei Dr. Zetsche.

va


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