Oldenburger STACHEL Ausgabe 7/97      Seite 7
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Peinliche Fragen

Am 25.6.97 kontaktierte die OLLI/PDS-Fraktion Oberbürgermeister Poeschel per Fax erneut wegen der dubiosen Vernichtung von 50-100 "Erbgesundheitsgerichtsakten" durch das kommunale Gesundheitsamt Oldenburg. Poeschel hatte nach einer ersten Anfrage der Fraktion in der Verwaltungsausschuß-Vorlage vom 11.3.97 berichtet, daß diese Aktenvernichtung "aus Platzgründen" erfolgt sei. Deswegen wurden auch gleich die Mikrofilme, die von diesen Akten angelegt worden waren, zerstört, obwohl bekanntlich Mikrofilme nicht im mindesten so platzraubend sind wie die Originalakten. Poeschel gab ferner zu, daß dieser Aktenbestand zuvor nicht dem Archiv zur Aufbewahrung angeboten und auch nicht vom Gesundheitsamt auf ihre Archivwürdigkeit hin überprüft worden waren. Das ist in der Tat bemerkenswert, schicken doch üblicherweise alle amtlichen Stellen bis hin zu den Wasser- und Schiffahrtsämtern jene Akten, die aufgrund ihres Alters für die laufenden Geschäfte keine Rolle mehr spielen, nach Absprache ins Archiv. Ganze Wagenladungen Papier werden so den Stadt- und Staatsarchiven übergeben. Daß das hiesige Staatsarchiv oder gar das Niedersächsische Hauptstaatsarchiv in Hannover diese Oldenburger Akten abgelehnt hätten, ist äußerst unwahrscheinlich. Schließlich führt ihr Inhalt mitten hinein in die Aufklärung und Diskussion über die Euthanasiegesetzgebung und -praxis während des Dritten Reiches. Das Thema ist noch lange nicht hinreichend ausgelotet und interessiert im übrigen auch keineswegs nur lokale Geschichtsforscher. Der Rückgriff auf Arbeiten mit lokalem und regionalem Hintergrund ist für die in- wie ausländische Geschichtsforschung zu diesem Themenbereich eminent wichtig.

Wie dem auch sei, die Akten sind unwiderruflich "gehimmelt". Interessant ist hingegen, wie es dazu kam. Poeschel erklärte in seiner Verwaltungsausschuß-Vorlage vom März diesen Jahres, die betreffenden Akten seien im Februar 1995 vernichtet worden. Laut eines Aktenvermerkes des hiesigen Staatsarchives vom 19.9.1996 wurden die Akten aus dem Gesundheitsamt, die sich auf vermeintlich geistesgestörte, "rassisch minderwertige Personen", Behinderte und auf Zwangssterilisa tionen bezogen, jedoch erst im Mai und Juni 1995 vernichtet. Diese Diskrepanz wäre nicht weiter auffällig, hätte der Oldenburger Historiker Ingo Harms nicht im April/Mai 1995 beim Gesundheitsamt im Zuge seiner Forschungen über die Euthanasiepraktiken im Landeskrankenhaus Wehnen um eine Akteneinsicht gebeten. Harms, der vor einigen Monaten ausführlich über die Ergebnisse seiner Doktorarbeit und vor allem über die Probleme bei der Beschaffung der Quellengrundlage in der Carl v. Ossietzky-Buchhandlung referierte, war vom Leiter des Gesundheitsamtes, Dr. Friedrichs, zunächst hingehalten worden. Am 12.6.1995 wurde ihm jedoch mitgeteilt, daß die Akten mittlerweile im Stadtarchiv untergebracht seien und dort von ihm eingesehen werden könnten.

Nach der Version Dr. Poeschels gab es die Akten zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr. Das Verschwinden der Akten wirft daher einige unangenehme Fragen auf. Sollten die Akten im Mai/Juni 1995, zu dem Zeitpunkt also, als Harms sich dafür interessierte, vernichtet worden sein, und sollte sich herausstellen, daß damit eine Verdunklungsabsicht verbunden war, was im übrigen nicht verwundert, wenn man Harms gesamte Erfahrungen bei der Quellenbeschaff ung in Rechnung stellt, dann können beziehungsweise müßten gegen den Leiter des Gesundheitsamtes disziplinarrechtliche Schritte unternommen werden. Die OLLI/PDS-Fraktion jedenfalls hat Poeschel in ihrem Fax aufgefordert, ein entsprechendes Vorermittlungsverfahren einzuleiten.


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