Oldenburger STACHEL Ausgabe 7/97      Seite 12
 
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Gutscheine für Flüchtlinge

Diskriminierende Regelung im Ammerland ausgeweitet

Nachdem im letzten Jahr viele Landkreise in Niedersachsen dem Druck der Bezirksregierungen und des Landes nachgegeben haben und für die bei ihnen lebenden Flüchtlinge nur noch Gutscheine statt Bargeld ausgeben (abgesehen von bis zu 80,- DM "Taschengeld"), hat in diesem Punkt der Landkreis Ammerland zum 1.7.1997 noch eins draufgesetzt: Die betroffene Personengruppe wurde massiv ausgeweitet. Die Flüchtlinge bekamen schon Ende Mai dieses Jahres ein Schreiben, in dem sie zum einen auf die Kürzung ihrer monatlichen Unterstützung hingewiesen wurden (seit 1.6.1997 gilt das neue Asylbewerberleistungsgesetz, d.h. 20% Kürzung für fast alle in der BRD lebenden Flüchtlinge bis zum 31.5.2000) und in dem zum anderen die Gutscheinregelung für sie ab 1.7.1997 angekündigt wurde. Der Landkreis Ammerland hat damit nicht nur eine weitere diskriminierende Entscheidung getroffen, sondern verbessert so auch den Boden für Fremdenfeindlichkeit. Nun lehrt die Erfahrung, daß sich die Behörden sowieso kaum für die Schicksale von Flüchtlingen interessieren und die Ausweitung der Gutscheinregelung hier deshalb wohl keine Ausnahme darstellt. Doch ist es in diesem Fall sogar so, daß sich die Kreisverwaltung das ganze auch noch etwas kosten läßt: Die Ausgabe von Gutscheinen statt Bargeld verursacht Mehrkosten in Höhe von etwa 10%, so daß die Gutscheinregelung als Ganzes sogar aus Sicht der sparenden Verwaltungsbeamten unverständlich sein müßte. Nach dem alten Asylbewerberleistungsgesetz war es so, daß Flüchtlingen möglichst sogenannten "Sachleistungen" (u.a. "Freßpakete") erhalten sollten. Falls dies in den Landkreisen nicht möglich sein sollte, sollten es Wertgutscheine sein und falls auch das zu große Probleme verursacht, war als letzte Möglichkeit die Bargeldauszahlung vorgesehen. Das Innenministerium in Hannover hatte in den vergangenen Jahren zusätzlich "darauf hingewirkt", daß viele Landkreise auf Gutscheine umgestellt haben. Nach dem neuen Asylbewerberleistungsgesetz vom 1.6.97 gibt es hier nun eine entscheidende Änderung: Sind Sachleistungen nicht möglich, so können Wertgutscheine oder Bargeld ausgegeben werden, d.h. der Vorrang für Gutscheine entfällt oder mit anderen Worten: Jeder Landkreis, der Gutscheine ausgibt, kann auch Bargeld ausgeben! Nun gibt es in Niedersachsen einen zusätzlichen Erlaß, nachdem die Kreise an der "bewährten" Gutscheinregelung festhalten sollen! Allerdings kann sich jeder Landkreis grundsätzlich auf das Bundesgesetz berufen und trotzdem Bargeld auszahlen, wie es z.B. Hildesheim, Hannover und Osnabrück getan haben, denn Gründe gibt es genug dafür. Um so unverständlicher ist es, daß nun der Landkreis Ammerland zum 1.7.97 die Ausgabe von Wertgutscheinen nicht abgeschafft, sondern auch noch ausgeweitet hat und damit all die bekannten negativen Erfahrungen in den Wind schlägt. Die Folgen solch einer Regelung wurden in Niedersachsen immer wieder diskutiert:

1. Die Ausgabe von Wertgutscheinen statt Bargeld stellt eine klare Diskriminierung der betroffenen Menschen dar. Das Wirtschaften mit Gutscheinen bedeutet für diese Personen eine Bevormundung und Demütigung. Mit den Gutscheinen kann nur in bestimmten Geschäften eingekauft werden (im Ammerland z.B. Aldi, Plus, Famila Westerstede) und man kann nur bestimmte Waren erhalten. Die Möglichkeit, damit eine Zeitung am Kiosk, ein Brot beim Bäcker, Briefmarken bei der Post oder Kopfschmerztabletten in der Apotheke zu bekommen gibt es nicht. Die in den ländlichen Gebieten notwendige Busfahrt zu den möglichen Geschäften kann ebenfalls nicht mit Gutscheinen bezahlt werden, ebenso nicht die Telefonrechnung der Telekom. Der für Menschen, die sich mit dem bundesdeutschen Rechtssystem nicht auskennen, notwendige Rechtsanwalt für das Asylverfahren, wird ebenfalls keine Gutscheine annehmen. All dies muß von den 80.- DM Taschengeld beglichen werden, was natürlich kaum möglich ist. Die Tatsache, daß sich die betroffenen Menschen keinen Rechtsanwalt mehr leisten können, hebelt die Rechtswegegarantie nach Artikel 19 GG aus! Weiter können mit den Gutscheinen nur Waren zu einem festgelegten Betrag gek auft werden, da es Wechselgeld nur bis zu einem bestimmten Betrag gibt (10%), der Rest verfällt zugunsten der Geschäfte und zu Lasten der Menschen. Man muß sich also schon vorher genau überlegen und zusammenrechnen, für welchen Betrag man einkaufen will.

2. Da mit den Gutscheinen nur ein "eingeschränktes" Einkaufen möglich ist, sind Konflikte an den Supermarktkassen vorauszusehen. Jeder von uns kennt den Streß und die Hektik an den Kassen, jede kleine Verzögerung des Vorgangs nervt. Sind es nun Flüchtlinge, die den "ganzen Betrieb aufhalten", weil sie in ihrem Einkaufswagen einige Artikel haben, die sie mit Gutscheinen nicht kaufen dürfen, z.B. Zigaretten, Geschenkartikel oder Schreibwaren, welche entsprechend storniert werden müssen bzw. gibt es eine Diskussion, weil kein Wechselgeld herausgegeben wird, so ist hier der Boden für Fremdenfeindlichkeit vorprogammiert. In der Stadt Emden kam es zu einem Vorfall, wo ein Mädchen aus Bosnien nur deshalb von Erwachsenen in der Schlange beschimpft wurde, weil sie eine Kleinigkeit mit einem Gutschein bezahlen wollte, was aber nicht möglich war! Das Verhältnis der Ammerländer zu den Personen, die hier Zuflucht gefunden haben, wird dadurch zusätzlich belastet, anstatt ein menschliches Miteinander zu fördern.

3. Wie schon erwähnt, entstehen bei der Gutscheinregelung gegenüber der Auszahlung von Bargeld Mehrkosten für den Landkreis in Höhe von etwa 10%. Mehrere Landkreise in Niedersachsen haben dies in der Vergangenheit zum Anlaß genommen, wieder Bargeld auszuzahlen. Für die Gutscheinregelung entstehen dem Landkreis Ammerland zusätzliche Sach-, Verwaltungs-, und Personalkosten, angefangen bei den Verhandlungen mit den Geschäften über die Annahme von Gutscheinen, dann die Druckkosten, die Ausgabe bis hin zu der Abrechnung der Wertgutscheine mit den Supermärkten. Wie die NWZ am 21.6.1996 berichtete, weigerte sich der Landkreis Wesermarsch im letzten Jahr aus Kostengründen die Gutscheinregelung für Flüchtlinge einzuführen. Bei damals 198 Flüchtlingen im Landkreis wurden vom Oberkreisdirektor Mumdey Mehrkosten von 20000 DM erwartet! Nach dem Inkrafttreten des neuen Asylbewerberleistungsgesetzes zum 1.6.97 haben beispielsweise Stadt und Landkreis Hildesheim, sowie die Städte Hannover und Osnabrück wieder auf Bargeldzahlung umgestellt. Auch für den Landkreis Ammerland werden sich durch die Gutscheinregelung Mehrkosten ergeben, und es ist fraglich, wie dies in Zeiten leerer Kassen und Spa rpaketen der Bevölkerung vermittelt werden soll.

Die Deutsch-Ausländische-Gemeinschaft Westerstede und der Arbeitskreis Asyl Oldenburg haben inzwischen erste Schritte unternommen, um den Landkreis zur vollständigen Rücknahme der Gutscheinregelung zu bewegen. In Planung ist zur Zeit auch eine größer angelegte Umtauschaktion, d.h. den betroffenen Flüchtlingen werden Gutscheine abgekauft und mensch selbst geht damit im Ammerland einkaufen (für OldenburgerInnen z.B. in Ofen, Metjendorf ...). Es kann dabei auf die Erfahrung aus anderen Landkreisen zurückgegriffen werden. Zur Vorbereitung dieser Umtauschaktion findet am Dienstag, den 15. Juli 1997 um 20:00 Uhr eine Informationsveranstaltung in der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG), Unter den Linden 23 statt. Alle die mitmachen oder sich einfach informieren wollen sind herzlich eingeladen.

Arbeitskreis Asyl Oldenburg


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