Oldenburger STACHEL Ausgabe 10/97      Seite 16
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Abschiebungen in den Folterstaat halten an

Als die Oldenburger TeilnehmerInnen der Friedensdelegation "Musa Anter" am 21.9.97 im Haus des Kurdisch-deutschen Freundschaftsvereins in der Ziegelhofstraße von ihrer Reise in die Türkei berichteten, war es so voll, daß aus dem einen Raum per Video und Lautsprecher in den anderen Raum übertragen werden mußte. So konnte knapp die Hälfte der Interessierten die von der türkischen Polizei mißhandelte Rosi Potthast aus Oldenburg mit ihrem verbundenem Fuß überwiegend nur im Fernseher sehen. Berichtet wurde zweisprachig, auf kurdisch und deutsch:

Die Friedensdelegation war ursprünglich als Sonderzug geplant, der von Belgien bis in den kurdischen Teil des türkischen Staates fahren sollte. Dies wurde aber schon von den deutschen Behörden unterbunden, die die Durchfahrt des Zuges trotz der mit der Bahn AG geschlossenen Verträge untersagten. Innenminister Kanther und Außenminister Kinkel wußten, was er dem türkischen NATO-Partner schuldig waren: Nur keinen unfreundlichen Akt, damit auch für die Zukunft die Waffengeschäfte florieren.

Die DemonstrantInnen, darunter auch Ratsmitglied Reinhold Kühnrich aus Oldenburg, kamen aber auf anderen Wegen nach Istanbul und fuhren von dort aus mit 7 Reisebussen nach Osten. Die Zusammensetzung war international, darunter auch zahlreiche Abgeordnete und Diplomaten aus Westeuropa. Dieser Vorgang konnte gegenüber der unter Zensur stehende türkische Presse nicht geheim gehalten werden. Presse und Fernsehen waren deshalb trotz der bekannten Repressalien präsent. Begleitet von ständigen Kontrollen und Schikanen gelang es, mit den Bussen bis in die kurdische Stadt Urfa zu kommen. Dort wurden die Busse von Polizeieinheiten auf ein Kasernengelände geleitet und für zwei Stunden festgesetzt. Zunächst konnten die Busse weiterfahren, wurden dann aber bei Siverek 80 km vor Diyabakir durch Panzersperren gewaltsam gestoppt. In Diyabakir stand eine Massendemonstration bevor, die türkischen Sicherheitskräfte waren hochgradig nervös. So soll es allein in Diyabakir 2 000 Verhaftungen gegeben haben, um eine politische Demonstration für Frieden und Selbstbestimmung des kurdischen Volkes zu verhindern.

Auf der polizeilich erzwungenen Rückfahrt wurde den Bussen der Zugang nach Urfa und Ankara versperrt. In Istanbul angekommen wurden den Teilnehmern in den Hotels der Kontakt zur Presse erschwert. Pressekonferenzen wurden einfach verboten. Das ging so weit, daß ein Abschlußgespräch der europäischen TeilnehmerInnen im Hotel Mim gewaltsam beendet wurde. Polizeikräfte stürmten das Hotel, zerbrachen eine Glastür, was zu Verletzungen führte, prügelten und verhafteten wahllos. So wurde neben einem englischen Diplomaten auch die Oldenburger Fraktionssekretärin der Olli-PDS-Fraktion Isgard Lechleitner verhaftet und mehrere Tage eingesperrt. Rosi Potthast aus Oldenburg und eine andere deutscheTeilnehmerin mußten unter Polizeiaufsicht in ein Krankenhaus eingeliefert werden ( u.a. Halswirbelanbruch, doppelter Nasenbeinbruch, zerquetschter Fuß, gebrochene Zehen, Schnittverletzungen).

Den Verhafteten wurde durch die Anklage Verstoß gegen das "Versammlungsgesetz" vorgeworfen und ein Prozeßtermin für den 11.11.97 angekündigt, gleichzeitig aber ihre Ausweisung verfügt.

Der Musa-Anter-Zug und sein Verlauf hatte ein beachtliches Presseecho gefunden, besonders in England, Spanien und anderen europäischen Ländern, aber auch in der BRD hatte immerhin der Spiegel berichtet. Beschämend war dagegen die Presseberichterstattung in der NWZ, die trotz des Oldenburger Bezugs außer einer Kurznotiz im Lokalteil den Vorgang offenbar runterspielen wollte.

Auch die Tatsache, daß sich immerhin Oberbürgermeister Poeschel am 5.9. per Telefax über das Auswärtige Amt eingeschaltet hatte, war der Zeitung keine Meldung wert.

Die Forderung nach Frieden für Kurdistan ist nach wie vor hochaktuell. Die Kriegshandlungen der türkischen Militärs wurde durch neue Offensiven gegen vermeintliche PKK-Lager verstärkt, richten sich im Ergebnis aber vor allem gegen die kurdische Zivilbevölkerung. In Niedersachsen werden in den letzten Monaten wieder mehr abgelehnte AsylbewerberInnen in den türkischen Folterstaat abgeschoben. Die Landtagsabgeordnete Lippmann-Kasten war am 24. September in Istanbul und konnte sich auf Grund ihrer eigenen Recherchen persönlich davon überzeugen, daß der kurdische Flüchtling Habip Demir, der Ende September von niedersächsischer Polizei gewaltsam aus dem Kirchenasyl in Uchte, Landkreis Nienburg, geholt worden war, nach seiner Zuführung in die Türkei sofort verhaftet, verhört und gefoltert worden war. Er wurde an den Füßen aufgehängt und immer wieder mit Knüppeln auf die Fußsohlen geschlagen. Aus der Haft konnte er sich nur mit Bestechungsgeldern seiner Verwandten freikaufen.

Ein Antrag der Abgeordneten Lippmann-Kasten (Bündnis 90-die Grünen, von ihrer Partei aber für die nächste Wahl nicht mehr aufgestellt) im Landtag am 9.10.97, den Abschiebestopp für kurdische Flüchtlinge wieder in Kraft zusetzen, wurde von der Parlamentsmehrheit in die Ausschüsse verwiesen. Das gleiche widerfuhr dem Antrag der grünen Fraktion , beim Bundesinnenminister auf eine Aufhebung des PKK-Verbotes zu drängen.

Hans-Henning Adler


Diese Veröffentlichung unterliegt dem Impressum des Oldenburger Stachel. Differenzen zur gedruckten Fassung sind nicht auszuschließen.
Nachdruck nur mit Quellenangabe, Belegexemplar erbeten.


 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum