Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/97      Seite 14
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Währungsunion

Bedrohung für Arbeitsmarkt und Lebensstandard ?

Parteien und Gewerkschaften, alle relevanten Gruppierungen und Institutionen der Bundesrepublik haben sich inzwischen für die europäische Währungsunion ausgesprochen. Hatte es einzelne Diskussionen in den Gewerkschaften und bei den Grünen um das Für und Wider gegeben, so machten inzwischen auch hier die Vorstände alles klar. Nur noch um das Wie wogt eine heftige Auseinandersetzung: 3 Prozent Verschuldung oder nicht, mit Italien oder ohne, deutscher Zentralbankpräsident oder französicher? Grundsätzlichen Zweifel gibt es scheinbar nur aus der rechten bayerischen oder ganz rechten Ecke. Das ist umso erstaunlicher, als die Währungsunion das soziale Gesicht Europas radikal verändern wird und die große Gefahr besteht, daß parallel zum Verlust der sozialen Basis der Haß auf die Europäische Gemeinschaft und die Hoffnung auf scheinbar einfache nationalistische Lösungen in der Bevölkerung wachsen werden.

Um diese durchaus mögliche Perspektive vorstellbar zu machen und die Diskussion darüber zu befördern, drucken wir auszugsweise eine Stellungnahme Wilhelm Hankels ab, Honorarprofessor für Währungs- und Entwicklungspolitik an der Uni Frankfurt (s. auch Beilage SZ "Europäische Währungsunion" 16.10.97)

Kundenparadies?

"Mit dem Euro wird sich kein Markt so sehr verändern wie der Arbeitsmarkt. Aus einem geregelten und überwachten System gegen soziale Deklassierung und inhumane Arbeitsbedingungen und Einkommensverhältnisse wird wieder ein Markt für "menschliche Ware". (...) Mit dem gemeinsamen Geld verbindet sich die Vorstellung gleicher Preise für vergleichbare Güter und Leistungen, allenfalls geringfügig modifiziert um Zuschläge für Transport und örtliche Gegebenheiten. (...) Nur: Was sich auf den ersten Blick ausnimmt wie ein Kundenparadies, ein europäischer Supermarkt für alle Euro- Besitzer, könnte sich für dieselben Europäer als Arbeitnehmerhölle erweisen. Denn bevor sie das Geld im Supermarkt ausgeben, müssen sie es auch als Euro verdienen können.

Gemeinsames Gehaltsniveau

Mit dem gemeinsamen Geld und dem gemeinsamen Preisniveau entsteht auf Dauer auch ein gemeinsames (und in Europa vergleichbares) Lohn- und Gehaltsniveau. Wo sich dieses allerdings einpendeln wird - bei deutschen Spitzensätzen oder den weitaus niedrigeren von Sizilien, Südfrankreich oder Portugal -, das eben ist eine noch offene Frage.

Nichts ist in den derzeitigen EU-Staaten so national wie ihr Arbeitsmarkt und das ihn abstützende Tarif- und Sozialsystem. Zwar garantieren die vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes allen EU-Inländern den freien Zugang zu allen Arbeitsplätzen der Gemeinschaft, doch stets zu nationalen Bedingungen. Es gilt für alle Zuzügler das an den Arbeitsplatz gebundene nationale Tarif- und Sozialrecht. Denn eines soll es in der EU nicht geben: eine wilde Lohnkonkurrenz.

Das aber könnte sich bald schon ändern. Denn mit der neuen Euro-Lohntransparenz werden in den Billiglohnländern immer mehr Arbeitnehmer und bisherige Arbeitslose Appetit auf deutsche "Mercedes"- oder "BMW-Löhne" bekommen, während in den Planungsstäben der in den Hochlohnländern angesiedelten Großindustrien und Konzerne das Interesse an Standorten in den Billiglohnländern wächst. Man muß in einem gemeinsamen Geldmarkt mit zusätzlichen Mobilitätsschüben für beide Produktionsfaktoren rechnen: Arbeit macht sich auf den Weg zum besser bezahlten Arbeitsplatz und Einkommen, Kapital zum Standort der geringeren Lohn- und Sozialkosten. Gewiß: Beide Tendenzen werden nicht mit der Urgewalt eines Gewitters am Morgen nach der Euro-Einführung ausbrechen. Und der Euro wird auch nicht den Alten Kontinent in ein Nomadenvolk der Berufssucher und Standortansiedler verwandeln. Aber er wird zwei Tendenzen, die sich bereits heute abzeichnen, verstärken: die Arbeitsmärkte der EU-Länder werden sich "amerikanisieren" und die Arbeitsplätze werden sich "europäisieren" .

Globalisierung in Europa

Der amerikanische Arbeitsmarkt, in dem etwa ein Sechstel der berufstätigen Bevölkerung stets auf Achse ist, bereit, das traute Heim zu verkaufen oder auf den Tieflader zu packen und ein weiteres Sechstel auf dem Sprung lebt, dasselbe zu tun, wenn sich irgendwo eine bessere oder stabilere Berufschance abzeichnet, steht allen EU-Staaten ins Haus - allenfalls gemildert durch europäische Heimatgefühle und Sprachgrenzen. Und der einstmals sichere Arbeitsplatz vor der Haustür - maximal 50 Kilometer von der Wohnung entfernt und das schon in der zweiten und dritten Firmengeneration - wird seltener, denn ironischerweise verstärkt der Euro genau jene Gefahr, vor der er doch schützen soll: der Abwanderung von Investitionen ins globale All. Der Euro schützt nicht vor dem Globalismus, er verstärkt ihn im eigenen Binnenmarkt.

Mit der neuen und verstärkten Mobilität von Arbeit und Kapital verändern sich in allen Euro-Ländern die Grundmuster der Arbeitswelt, erodiert ihre soziale Absicherung. In den hochproduktiven Hochlohnländern kommt es aufgrund des Zuzugs aus den Billiglohnländern zu Lohndruck und Entlassungen; der Effekt auf das Tarifsystem kann nur sein, daß es weiter ausfranst, auf den Sozialstaat, daß er vollends unfinanzierbar wird, denn er muß ja die durch die Lohnkonkurrenz verdrängten (inländischen) Arbeitnehmer auffangen.(...)

Ende der Arbeitsmarktregulierung

Wie auch immer man es wendet: Mit der Währungsunion für alle EU-Staaten geht eine in Deutschland über 120jährige Ära und Tradition zu Ende, nämlich den Arbeitsmarkt nicht wie einen normalen Gütermarkt zu behandeln, sondern in ihm das zu sehen, was er in demokratischen und zivilisierten Staaten (aus denen die EU besteht) nun mal ist: nicht nur ein Barometer der sozialen Zustände, sondern auch ein Instrument, diese, wenn es nötig ist, zu verändern. Für die damit verbundene Aufwertung des Faktor Arbeit und seine Gleichbehandlung mit dem Faktor Kapital, die sich in der Marktwirtschaft nicht von selbst versteht, haben Generationen von Sozialphilosophen, -politikern und Gewerkschaftlern gekämpft.

Chance verspielt

Dieses Erbe ist in akuter Gefahr, denn wieviel Sozialschutz es vor den Marktkräften in einem Europa geben kann, das sich voll dem Wettbewerb und damit dem Obsiegen der Stärksten und Raffiniertesten verschrieben hat, bleibt abzuwarten. Viel kann und wird es nicht sein, denn Großkonzerne, Banken und Bosse sind an so etwas nicht interessiert. Und Bundesregierung und Gewerkschaften? Sie haben beide ihre Chance gehabt und verspielt: die Bundesregierung, indem sie auf dem Amsterdamer Gipfel im Sommer eine Europäisierung der Beschäftigungs- und Sozialpolitiken ablehnte - so als ob die Maastricht-Kriterien heute und der Euro morgen den einzelnen EU-Staaten noch genug (Finanz-)Spielraum für solche ließen. Und die Gewerkschaften haben sich mit ihrem verfrühten und unbedingten Ja zur EWU jede Chance genommen, rechtzeitig vor Inkrafttreten des "Euro-Monetarismus" eine europäische Sozialcharta und ein unter europäischen Sozialpartnern abgestimmtes Tarifsystem zu kreiren. (...)

Europas Arbeitnehmer gehen mit dem Euro schweren Zeiten entgegen. Er bedroht die Sicherheit ihrer Arbeitsolätze und Einkommen gleich mehrfach: durch die Verdrängungs- und Lohnkonkurrenz aus den anderen Teilen der EU - von Inländern, die dennoch Fremde sind und bleiben und die Liebe zu Europa nicht steigern; denn wer liebt schon den, der ihm den Job wegnimmt. Hinzu kommt die neue Beweglichkeit der Investitionsstandorte und der mit ihnen verbundenen Arbeitsolätze; denn Europa wird auch intern "global" und damit ein Risiko für viele Arbeitnehmer, die selbst weder global sind noch es (wie viele Familien) werden können und wollen.

Sozialstaat durch Markt ersetzt?

Und den europäischen Arbeitsmärkten fehlt - anders als in England oder den USA - jedweder Flankenschutz durch die "große" Geld- und Finanzpolitik. Denn diese gibt es dann nicht mehr. Eine Euro-Zentralbank kann einem EU- Land mit großen Arbeitsmarktsorgen und - problemen nicht dienen, weder mit Zinserleichterung noch mit Wechselkursanpassu ng, denn die Zinsen gelten europaweit und werden ohnehin viel zu hoch sein, und die Wechselkurse fallen weg. Die EU-Staaten aber sind dank Maastricht- und Euro-Kriterien so knapp bei Kasse, daß sie weder Struktur-, noch Beschäftigungsprogramme finanzieren können - so nötig diese auch sein sollten.

Ein Euro, der Europas soziale Sicherungssyste me abbaut, Sozialstaat durch Markt ersetzt, wird nicht lange leben. Man hat nur die Wahl, ihn sozial nachzubessern oder aufzugeben. Auch deswegen macht die Verschiebung seiner Einführung Sinn - denn Europas demokratische Sozialstaaten können zwar auf ihre eigene Währung verzichten, aber nicht auf den Sozialschutz ihrer Bürger."


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