Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/99      Seite 4
 
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Nicht konsensfähig!

Am 26. Januar beginnen in Bonn die von Kanzler Schröder angestrebten Konsensgespräche zur Atomenergie. Die Konsensidee geht auf Schröder selbst zurück. Schon seit seinem Amtsantritt als Ministerpräsident in Hannover konnte er damit eine weniger informierte Öffentlichkeit beeindrucken und seine grünen Koalitionspartner lähmen. Nun versucht er dasselbe auf Bundesebene. Was die Antiatombewegung davon hält, dürfte bekannt sein. Auch der Arbeitskreis Wesermarsch beschloß auf seiner letzten Sitzung am 8. Januar als Antwort auf die Konsengespräche die Erneuerung und Bekräftigung der Forderung zum Sofortausstieg. Abschalten, dichtmachen, umsteuern - dies ist nach wie vor machbar, und dazu gibt es keine Alternative. Schon darum ist ein Konsens nonsens. Aber hinter der Konsensidee steckt eine neue, subtile Art der Politik, die den politischen Gegner nicht mehr überstimmen, sondern ihn zur Zustimmung bewegen will. Hat Schröder erst ein grünes Logo für einen "begrenzten Auslaufbetrieb" oder ähnliches, dann wird er es gegen die Umweltgruppen und die Antiatombewegung als Hammerargument verwenden. Wer dann noch den Sofortausstieg fordert, wird gesellschaftlich ausgegrenzt.

Aus diesen Gründen soll hier ein schon etwas älterer Text folgen, der die "Konsensgespräche" als das entlarvt, was sie sind: Ein übler Taschenspieler-Trick, der der Umweltschutz- und Antiatombewegung ein Ja zur Atomenergie abzwingen will, hinter das sie dann nie mehr zurück gehen kann.

"Die sogenannte Konsenstheorie ist eine Erfindung von Leuten, die allesamt begabte Polemiker sind. Ihren Wunsch nach allgemeiner Zustimmung verbinden sie mit der Drohung, die Widerwilligen für bösartig oder für schwachsinnig zu erklären. Seitdem muß man doppelt aufpassen, wenn majestätisch nach Konsens gerufen wird. Der Verdacht, daß irgendwelche Überzeugungstäter den nächsten Handstreich vorbereiten, liegt dann nahe. Er wird auch nur ganz selten enttäuscht.

Kanzler Schröders Parole heißt: Konsens in der Atompolitik. Sie... lädt dazu ein, bei einer Aufgabe, die alle Kräfte fordert, mit Widerspruch zu sparen. Was ohnehin geschieht, soll nicht bloß hingenommen, sondern gutgeheißen werden. Was man stillschweigend vorausgesetzt hatte, die sogenannte Akzeptanz, wird nun ausdrücklich erbeten.

Hält man sich an die letzte deutsche Risikostudie zur Atomenergie, dann wäre einmal in etwa 30.000 Jahren mit dem zu rechnen, was die Sicherheitsfachleute einen nicht mehr beherrschbaren Störfall nennen. Jahre bedeuten in diesem Fall natürlich Reaktorbetriebsjahre, was heißt, daß man den Ausgangswert durch die Gesamtzahl aller Reaktoren teilen muß. Da zur Zeit etwa 430 Reaktoren in Betrieb und an die 100 weitere im Bau sind, müssen die 30.000 Jahre durch 500 dividiert werden. Daraus ergibt sich der vielleicht realistische, aber bestimmt nicht beruhigende Wert von 60 Jahren. Mithin kann schon heute jeder Mensch damit rechnen, einmal in seinem Leben zum Zeugen eines Unfalls zu werden, dem die technischen Sicherheitsvorkehrungen nicht mehr gewachsen sind... Nimmt man hinzu, daß bei den aufwendigen Rechenexempeln eine "Fehlerbreite" mit dem Faktor 10 ausdrücklich zugestanden wird, dann ist man vollends im Bereich des Glücksspiels angelangt. Denn aus den sechzig können dann ebenso sechshundert wie auch sechs Jahre werden: was soll da noch der esoterische Streit um hinreichend große oder hinreichend kleine Wahrscheinlichkeiten und die selbstbewußte Behauptung, der Einsatz der Kernenergie lasse sich verantworten? Wie will man denn Verantwortung für etwas tragen, was man gar nicht kennt?

Konsens ist deshalb schwerlich zu erwarten, statt dessen allenfalls ein Kompromiß. Es gibt eben Menschen, die auf dem kategorischen Unterschied zwischen sicher und wahrscheinlich bestehen, die mehr verlangen als "praktische" Plausibilität, die vom Vabanque nichts halten und die rebellisch werden, wenn man sie zum Glücksspiel zwingen will... Wir alle, sagte Michael Gorbatschow nach Tschernobyl, sind Geiseln der Atomindustrie. Man weiß, daß sich zwischen Geiseln und ihren Bewachern erstaunliche Beziehungen ergeben können, Gefühle, die von erzwungener Rücksicht bis hin zum wohlwollenden Verständnis reichen. Nur auf Konsens sollte man nicht rechnen. Einen Geiselnehmer liebt man nicht."

(Dieser Text wurde mit kleinen Änderungen der Zeitschrift atom, Heft 36/91 entnommen, die ihn wiederum aus der Frankfurter Allgemeinen kupferte, Redakteur: Konrad Adam, FAZ, 24.5.91)

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