Oldenburger STACHEL Ausgabe 3/99      Seite 1
 
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Deutsche Bahn AG: Was schert uns euer Schlaf?

Telefon und Strom unter Baggerschaufeln

Seit Anfang Februar zeigen Baufirmen im Auftrag der Deutschen Bahn AG (DB AG) an der Teilstrecke Oldenburg-Osnabrück bis Huntlosen auf ca. 25 km Bahndamm, was gigantische Baumaschinen an Lärm, Vibrationen und Infraschall produzieren können.

Da eine einfache Großbaustelle nicht reicht, um die AnwohnerInnen, die seit Jahren bereits den Bahnlärm aushalten müssen, zu zermürben, wurde zu drastischen Maßnahmen gegriffen. Die Baustelle wird rund um die Uhr, am Wochenende und sogar Sonntags betrieben. Der gesamte Bahndamm wird ausgehoben, teilweise um mehr als 5 m. Der neue Sand wird festgerüttelt. Das Anfahren neuen Schotters schafft weitere Unruhe - laut Aussage der Bauleitung sollen die Ladeklappen nicht so knallen, doch das klappt nur manchmal. Letztlich werden die Gleise wieder in das neue Schotterbett eingearbeitet - eine weitere Quelle höhere Lärmintensität und vor allem von Vibrationen.

Wir müssen da durch, koste es ...

Da die Arbeiten "schnell durchgezogen" werden sollen, hatte niemand mehr Zeit, mal die verschiedenen Pläne durchzusehen. Deshalb war Sandkrug im Februar stundenweise ohne Strom und zum Teil tageweise ohne Telefon. Völlig überraschend kreuzten nämlich zentrale Leitungen den Bahndamm. Eine Gashochdruckleitung wurde wenige Augenblicke, bevor alles zu spät war, entdeckt. Auch die Verkehrssicherung wird vernachläßigt: Die hierfür im Landkreis zuständige Gemeinde Hatten wurde nach Aussage des Bürgermeisters Hinrichs erst eine Woche vor Arbeitsbeginn von dem Vorhaben unterrichtet.

Von den Behörden im Stich gelassen

Das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt bestätigt, dasz es viele AnruferInnen zum Thema gibt - mensch wird jedoch an Stadtverwaltung und Landkreise weiterverwiesen. Das Thema Infraschall, der in den Häusern durch die tieffrequentigen Vibrationen ausgelöst wird, ist ein in allen Ämter unbekannt. Mensch müsse sich informieren, heißt es. Zugesagte Rückrufe erfolgen nicht. Die Gemeinde Hatten sieht sich machtlos. Der Landkreis Oldenburg schreibt lapidar: "Baulärm ist dabei leider nicht zu vermeiden".

Die Kirche und die Sonntagsarbeit

Der evangelische Pastor aus Sandkrug sieht keinen Handlungsbedarf. Er sei mit Arbeit so überhäuft, dasz er sich nicht zum juristischen Spezialisten machen könne, um zu intervenieren. AnwohnerInnen hatten ihn gebeten, ob er nicht Gespräche mit Bahn und Bauleitung führen könne, um dort Verständnis für das Ruhebedürfnis zu wecken.

Der Oberkirchenrat (OKR) hat die Fragestellung ebenfalls jurifiziert. Es sei lediglich die Gottesdienstzeit einklagbar. Das bringe ja nichts. Bemerkenswerterweise wird der OKR als Behörde verstanden, die hier nicht eingreifen dürfe. Der OKR habe sich wesentlicheren Dingen zu widmen. Darauf angesprochen, dasz die Menschen sich im Stich gelassen fühlen und den OKR als gleichgültig wahrnehmen, wenn von dort aus kein Signal gegeben wird: Wenn der OKR sich zu Wort melde, sei das doch von vorneherein chancenlos, man könne den Menschen nicht helfen.

Es geht um Lärm

Für das Ordnungsamt der Stadt Oldenburg ist das prinzipiell eine alltägliche Angelegenheit. Denn in Sachen Lärm müssen die Leute öfter raus. Dann greift der Paragraf 117 des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Wer Lärm ohne berechtigen Anlaß oder in unzuläßiger Weise oder nach den Umständen vermeidbarem Ausmaß Lärm erregt, der geeignet ist, die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft erheblich zu belästigen oder die Gesundheit eines Anderen zu schädigen, kann mit Strafen bis zu 10.000 DM belegt werden. Nun stehen diese Zeilen auf dem Papier. Denn weder Polizei noch Ordnungsamt verfügen über ein geeignetes Phonmeßgerät. Da wird im Alltag auf so altertümliche Einrichtungen wie die eigenen Ohren und auf Zeugenaussagen zurückgegriffen.

Unglückliche Umstände?

Bei der Großbaustelle treffen mehrere Umstände zusammen. Die Bahn hat vor Monaten (4-5 waren im Gespräch) mal kurz telefonisch angekündigt, dasz sich demnächst etwas tun werde auf dem Bahndamm. Vom tatsächlichen Baubeginn hat die Stadt Oldenburg nach Aussage des Ordnungsamtes aus der Zeitung erfahren. Das war zum Zeitpunkt des Baubeginns. Nun ist das Oldenburger Ordnungsamt ohnehin nicht besonders qualifiziert in Sachen Großbaustellen. Denn bislang war dies die Aufgabe der Bezirksregierung - des Staatliche Gewerbeaufsichtsamtes. Da jedoch das Land Niedersachsen die Aktion "Schlanke Verwaltung" probt, wurden Aufgaben an die Kommunen abgegeben. Die Bahnbaustelle ist die erste Großbaustelle der Stadt seit dieser Aufgabenverlagerung. So hat es dort eine Weile gebraucht, bis klar war, dasz hier die Baustellenlärmverordnung zur Bewertung heranzuziehen ist.

Die Stadt Oldenburg versucht nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit der Mittel vorzugehen. Außerdem gilt für sie das Prinzig der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Schließlich sucht sie die geringstmöglichen Eingriffe zu realisieren. Da die DB AG nach meiner Auffassung gezielt kurzfristig die betroffenen Kommunen unterrichtet hat, war die Stadt sicher eine willkommene Gesprächspartnerin für die Bahn - dasz Leib und Gut der Menschen in der Nachbarschaft der Großbaustelle großen Schutz durch ihre Verwaltungen erhalten hätten, kann beileibe niemand ernsthaft behaupten. Es gab zwar im Laufe der Arbeiten gewisse Auflagen, doch zu dem Zeitpunkt, als die Stadtverwaltung ihre Bereitschaft zum Verbot der Nachtarbeit äußerte, war diese nach Mitteilung der DB AG bereits nicht mehr nötig.

Dabei sind die MitarbeiterInnen des Oldenburger Ordnungsamtes selbst nicht sehr gut auf die DB AG zu sprechen. Für einige hat die Großbaustelle nämlich ebenfalls - aus dienstlichen Gründen - schlaflose Nächte mit sich gebracht. Die wäre zu vermeiden gewesen wie auch einiger Ärger, wären die Planungen vorher abgesprochen worden. Auch etliche Beschwerden hätten so vermieden werden können, so die Stadtverwaltung.

Privatfirma mit dem Dünkel des "Bundesadels"

Es wurde die Auffassung geäußert, dasz bei der DB AG es einigen immer noch nicht klar werden will, dasz diese nun eine einfache private Firma sei. Gerade wenn es um derartige Genehmigungsverfahren gehe, sei bei Bahnmitarbeitern immer noch hochherrschaftliches Gehabe spürbar - wie in der Zeit, als die DB AG noch Bundesbahn hieß und war. Nach meiner Auffassung müssen die entsprechenden Gesetze und Verordnungen, durch die "Genehmigungsfreiheit" für die DB AG hergestellt wird, schnellstens an die neueren Gegebenheiten angepaßt werden.

Denn es ist nicht hinzunehmen, dasz für eine wie auch immer verstandene vermeintlich gemeinschaftliche Interessenlage Menschen und die Räder - oder wie hier - unter die Schienen kommen. Von dem Baulärm beeinträchtigt waren und sind alte Menschen ebenso beeinträchtigt wie Kleinkinder. Wer möchte sich gerne von einer Krankenschwester eine Spritze setzen lassen, die vom wochenlangen Baulärm und dem Geschrei ihres unruhigen Kindes völlig übernächtigt ist? Wobei die Bahn zugesagt hatte, rechtzeitig vor der Nachtarbeit in Sandkrug zu informieren, damit die Betroffenen AnwohnerInnen sich hätten umquartieren können. Selbst dies wurde nicht eingehalten.

Infraschall - was ist das?

Infraschall tritt z.B. auf, wenn starke Vibrationen auf Gebäude treffen und durch Gebäudeteile in Schall (zurück-)verwandelt werden. Nun wurden durch die DB AG viele schwere Maschinen gleichzeitig eingesetzt. Die Folgen dieser Arbeiten weiß derzeit niemand einzuschätzen. Den die DB AG hat ebensowenig über diesen Sachverhalt ein Gutachten erstellen lassen wie die Stadt oder die Kreise. Selbst verfügt die Stadt ohnehin weder über das entsprechende Wissen noch über die notwendigen Meßgeräte. Sparen ist angesagt und das heißt hier vor allem: Sparen an der Gesundheit der NachbarInnen.

Ja kann es den ein Trost sein?

Nun wurde als Trostpflasterchen in Aussicht gestellt, dasz die Bahnstrecke zukünftig ja soviel schneller sein wird. Wird das die zukünftig vrestärkt totgefahrenen Tiere trösten? Wird das die Eltern trösten, deren Kinder vielleicht doch einmal auf dem Bahndamm spielen? Soll diese Aussage tatsächlich die AnwohnerInnen trösten, die wissen, dasz schnellere Züge auch deutlich lauter sind? Und was hat das ein überhaupt mit dem anderen zu tun? Selbst wer für den Ausbau der Strecke ist, muß noch nicht gutheißen, dasz die Bauarbeiten auf gräsliche Weise durchgeführt wurden. Dies letztlich nur für die Verkürzung der Bauzeit um 14 Tage und das Einsparen von einigen Millionen. Für die Gesundheit ist schließlich die Krankenkasse da...

Was ist daraus zu lernen

Der schnelle Griff zum Telefon, um bei der Behörde Bedenken anzumelden, ist sehr sinnvoll. Denn diese wird bei solcher Taktik möglicherweise nicht informiert sein. Je mehr Menschen anrufen, desto besser - das steigert die Pflicht der Behörde zur Tätigkeit und macht das abwimmeln schwerer. Mir versuchte die Verwaltung in Hatten weiszumachen, ich sei der einzige Mensch, der sich beschweren würde. Schade nur, dasz ich bereits mehr wußte. Während die Verwaltungen Hatten und Wildeshausen abwimmelten, hat sich nach vielen Anrufen in Oldenburg wenigstens etwas bewegt - nur weiter so!

Gerold Korbus

 

 
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