Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/99      Seite 16
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Streitfall Todesstrafe

Darf der Mensch über Recht und Leben anderer urteilen?

Todesstrafe ist ein emotionales Thema und häufig wird sie damit legitimiert, sie befriedige vitale Bedürfnisse der Gesellschaft, die mit anderen Mitteln nicht erfüllt werden können. Ob Hinrichtungen in der Öffentlichkeit vollzogen werden oder hinter Gefängnismauern stattfinden, das Argument ihrer Verfechter ist, die Todesstrafe sei- zumindest zeitweilig- aus Gründen des Gemeinwohls erforderlich.

Bei Verbrechen wie die Vollstreckung der Todesstrafe an dem gegen Rassismus rebellierenden Radioreporters Mumia Abu- Jamal, ist die Ungerechtigkeit offensichtlich, Proteste lassen sich weltweit finden.

Schwieriger wird es wie etwa in T. Robbins, S. Sarandom uns S. Penns Film "Dead man walking", bei dem Eltern gefragt werden, dessen Tochter vergewaltigt und getötet wurde, ob sie für die Todesstrafe des Mörders ihrer Töchter sind oder nicht. Ähnlich verhält es sich mit Umfragen, etwa der Hinrichtung des ehemaligen rumänischen Diktators Ceaucescos. Würden Proteste laut werden, würde über S. Hussein oder S. Milosevic die Todesstrafe verhängt werden? Das Thema Todesstrafe spricht irrationale =C4ngste an, gerade deshalb ist es wichtig sich argumentativ und nicht emotional mit dem Thema auseinander zusetzen. In Ländern in denen Todesstrafe noch nicht abgeschafft wurde, wird oft damit argumentiert, die "öffentliche Meinung" würde die Todesstrafe befürworten, die Zeit sei noch nicht reif für ihre Abschaffung und eine solche Maßnahme sei angesichts der großen Zahl ihrer Befürworter undemokratisch. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Achtung der Menschenrechte niemals von der öffentlichen Meinung abhängen darf. Folter darf niemals zulässig sein, auch wenn die Öffentlichkeit ihre Anwendung in bestimmten Fällen befürworten würde. Außerdem ist anzunehmen, daß vielmehr Menschen die Abschaffung der Todesstrafe unterstützen würden, wären sie ausreichend über die Tatsachen und die Gründe, die für ihre Abschaffung sprechen, informiert.

Im folgenden möchte ich auf die häufigsten Argumente von Todesstrafen- Befürwortern eingehen und aufzeigen, warum die Abschaffung der Todesstrafe eigentlich das Selbstverständlichste auf der Welt sein müßte.

1. Die Todesstrafe ist abschreckender als jede andere Strafe

Keine Statistik kann dokumentieren, daß es einen Zusammenhang zwischen der Todesstrafe und einem Rückgang der Kriminalität gibt.

Der Gegenteil ist der Fall: Kriminologen beklagen, daß Hinrichtungen die Schwerstkriminalität sogar fördern: Wenn der Staat tötet, zeigt er, daß er das Töten billigt.

Vergleicht man US- Bundesstaaten mit und ohne Todesstrafe ist die Zahl der Tötungsdelikte nicht niedriger als denen ohne- in vielen ist sie sogar höher. Das benachbarte Kanada, das 1976 die Todesstrafe abschaffte, hat eine viel niedrigere Mordrate als die USA und diese ist seit 1976 stark gesunken.

Außerdem geschehen die meisten Morde im Affekt, Streit oder aufgrund psychischer Erkrankung. Die Mörder denken während der Tat nicht über mögliche Folgen nach, so daß ihre Verbrechen nicht zu verhindern sind. Bei gezielten Verbrechen rechnen Mörder in den seltensten Fällen damit gefaßt zu werden.

2. Die Todesstrafe beugt vor weiteren Straftaten vor

Daß ein toter Mörder nicht noch einmal morden kann, ist ein Argument was nicht von der Hand zu weisen ist.

Ob die psychische Notsituation, in der viele Morde geschehen, sich wiederholen ist fraglich. Die Rückfallquote bei Tötungsdelikten beträgt nach Beendigung einer Haftstrafe ein bis drei Prozent. Viele Mörder haben die Möglichkeit zur Rehabilitierung.

Außer Frage steht, daß Mörder eine Strafe verdienen, die eine Gefährdung der Allgemeinheit darstellen. Dafür bedarf es aber nicht der Hinrichtung.

3. Zum Tode Verurteilte "verdienen" die Todesstrafe

Ein von Angehörigen der Opfer geäußerter Wunsch nach Vergeltung ist zwar menschlich verständlich, doch Richter müssen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen urteilen, die bewußt dem Einfluß des "gesunden Volksempfinden" entzogen worden sind.

Außerdem besteht die Gefahr des Fehlurteils. Kein Rechtssystem ist unfehlbar.

Es gibt zahlreiche Beispiele für Justizirrtümer. Bei Todesurteilen ist das besonders schlimm, weil Hinrichtung nicht rückgängig gemacht werden kann. Nicht nur in den USA werden gelegentlich Menschen aus dem Todestrakt entlassen, weil ihre Unschuld nachgewiesen konnte. Andere werden hingerichtet, obwohl erhebliche Zweifel an ihrer Schuld bestehen. Die Wahrheit kommt nach der Hinrichtung nur selten an die Öffentlichkeit.

4. Die Todesstrafe ist gerecht

Töten ist nie gerecht, auch nicht wenn es staatlich angeordnet wird. Und auch die Anwendung der Todesstrafe ist nicht gerecht. In den USA beispielsweise wird die Todesstrafe je nach Hautfarbe unterschiedlich angewendet. Ein Mord an einem Weißen zieht fast immer die Todesstrafe nach sich, bei einem Mord an einem Schwarzen ist die Wahrscheinlichkeit zehnmal seltener. Wer arm, schwarz und unterprivilegiert ist, den trifft die Todesstrafe. Wer reich und gesellschaftlich anerkannt ist, muß kein Todesurteil befürchten. In einigen Ländern wird die Todesstrafe zudem politisch mißbraucht, um Andersdenkende auszuschalten.

Der Nigerianer Ken Saro- Wiwa ist nur ein Beispiel. Um eine weitere politische Arbeit gegen den Shell -Konzern zu verhindern, wurde er des Mordes bezichtigt, in einem unfairen Prozeß hingerichtet und zu Tode verurteilt und hingerichtet.

5. Eine lebenslange Haftstrafe ist grausamer als eine Hinrichtung

Eine Hinrichtung verletzt das Recht auf Leben, eine lebenslange Haftstrafe nicht. Das Leben im Todestrakt mit der Möglichkeit, am kommenden Tag eventuell hingerichtet zu werden, ist viel grausamer als eine lebenslange Haftstrafe. Und wenn ein rechtsstaatliches Berufungsverfahren garantiert ist, dann leben die Todeskandidaten im Todestrakt.

6. Terroristen hinzurichten ist legitim.

Attentäter und Terroristen kalkulieren bei ihrem Handeln den Tod mit ein. Oft wird der Märtyrertod bewußt in kauf genommen, so daß eine abschreckende Wirkung gerade bei politisch motivierten Tätern höchst unwahrscheinlich ist.

Mona Motakef

Literatur:

- amnesty international: Wenn der Staat tötet. Todesstrafe contra Menschenrechte, Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag, 1989

- Müller, Frank: Streitfall Todesstrafe: Düsseldorf: Patmos- Verlag, 1998.

 

 
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