Oldenburger STACHEL Ausgabe 6/99      Seite 13
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Über Krieg führt kein Weg zum Frieden

Im Jugoslawien-Krieg ist (möglicherweise) ein Waffenstillstand erreicht worden; doch über die Frage, ob Krieg und Bomben die richtigen Mittel gegen Vertreibung und Elend sind, hat die Diskussion erst begonnen. Angesichts der neuen NATO-Strategie und des Aufbaus einer westeuropäischen WEU-Streitmacht, die in Fällen wie dem Kosovo-Krieg zukünftig unabhängig von den USA eingreifen soll, sind wir gezwungen, zum Kriegseinsatz aus "humanitären Gründen" grundsätzlich Stellung zu beziehen. Wir drucken deshalb die folgende grundsätzliche Stellungnahme Eugen Drewermanns zum Jugoslawien-Krieg ab, die uns anläßlich des Drewermann-Besuchs in Oldenburg zugesandt wurde. Redaktion

Während ich diese Zeilen schreibe, höre ich von einer dritten Welle. die geflogen wurde. Zum Mißbrauch des Völkerrechts gesellt sich der Mißbrauch der Sprache. Wellen branden gegen Ufer, das Licht, Erdbeben und Schmerz breiten sich wellenartig aus, doch wovon hier die Rede ist, ist kein Naturphänomen. sondern ein von Menschen gemachter Krieg, für den es kein UNO-Mandat gibt und der durch kein Völkerrecht gedeckt ist.

Kosovo ist völkerrechtlich ein Teil Jugoslawiens, was die NATO mit deutscher Beteiligung tut, ist eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Nicht-NATO- Staates. Es ist das Prinzip eben der Nicht-Einmischung, das uns, den Erklärungen nach, daran hindert, zum Beispiel dem NATO-Staat Türkei bei der brutalen Unterdrückung der Kurden in Ostanatolien in den Arm zu fallen, selbst wenn der Krieg dort auf irakisches Gebiet vorgetragen wird. Wieso muß die NATO jetzt, außerhalb des Verteidigungsfalls, für den sie geschaffen wurde, unter Bruch des Völkerrechts und ohne UNO-Mandat für »Ruhe und Ordnung« auf dem Balkan sorgen, während die Deutschen gleichzeitig für viel Geld U- Boote an die Türkei verkaufen? Die NATO muß so handeln. erklären Clinton und Schröder, »aus humanitären Gründen«. Wäre das wahr so hätte die NATO weltweit viel zu tun: in Ruanda, in Eritrea, in Palästina, in Indonesien, auf Sri Lanka, in Tibet - überall auf Erden müßte sie »Frieden schaffen mit besseren Waffen«.

Darf sie das? Kann sie das? Kann und darf sie das im Kosovo? Wieviele serbische Soldaten und albanische Zivilisten wird sie töten müssen, um das Töten zwischen serbischen Soldaten und UCK-Rebellen zu beenden? Von welch einer Grenze des Grauens an soll das »Einlenken« des »Diktators« Milosevic beginnen, das man mit demonstrativer Gewalt herbei-bomben will. Und was, wenn Belgrad seine Truppen eines Tages aus dem Kosovo zurückzieht und die serbische Minderheitenbevölkerung der zu erwartenden Rache der albanischen Bevölkerung ebenso an heim fällt. wie man es jetzt mit militärischen Mitteln auf seiten der 5er-ben zu verhindern sucht? Nur zur Erinnerung: Wer von den westlichen Politikern hat den über 200.000 serbischen Flüchtlingen ein .Augenmerk geschenkt, die in den Wirren des Bosnien-Krieges von den (unter anderem mit deutscher Militärhilfe) siegreichen Kroaten aus der Krajina vertrieben wurden? Die Wahrheit ist, daß es dort, wo soviel Haß und Feindschaft im Spiel sind, keine Patentlösung von außen gibt und militärischen Optionen reines Wunschdenken sind. Wirtschaftlich lukrative und attraktive Köder an beide Seiten, an die Albaner wie an die Serben, hätten vermutlich die Pariser »Friedens«gespräche weit günstiger zu begleiten vermocht als martialische Drohungen.

In der Kriegsvorbereitung jedenfalls begehen wir psychologisch immer wieder die gleiche stets nur der Propaganda dienende Lüge: Ein schweres politisches. historisches und menschliches Problem wird als erstes ganz simpel nach Gut und Böse polarisiert, dann wird die Schuld - wider besseres Wissen, so als sei die UCK eine Bewegung für Freiheit in Frieden! - einseitig einer Partei ange- lastet, dann wird diese eine Seite personalisiert in einem Einzigen, der, als die Inkarnation des Bösen an sich, fortan die »Verantwortung« für all, das zu tragen hat, was man seinen »Untertanen« anzutun gedenkt, und schließlich erklärt man, daß, wie bei der Verhängung der Todesstrafe, man auf einen »kurzen Prozeß« (das heißt auf die gründliche Vernichtungsgewalt der eigenen Waffensysteme) hoffe. Am womöglich schlimmsten in dieser Lage ist, daß man unter dem Stichwort der Normalität uns Deutschen indirekt beibringt, die Weltpolizei-Rolle der USA mit den Mitteln der NATO mitzutragen und machtpolitisch zu nutzen - heute zur Zerschlagung »kommunistischer« Restgebilde, morgen gewiß gegenüber all den Ländern, die den Industrienationen den ungehinderten Zugang zu den nötigen Rohstoffen, Kapitalrückflüssen und Ar- beitsmärkten versperren. Es soll, ein halbes Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg, nun endlich für uns Deutsche wieder gute, gerechte, heldische, gewinnbare, also verantwortlich planbare, also trainierbare, also auch exekutierbare Kriege geben.

Es scheint jetzt die Stunde, da man glaubt., den »blauäugigen Pazifisten« endlich die Augen öffnen zu müssen für das, was »Realität« heißt. Doch wenn sich als »Realität« bei Lichte besehen wesentlich die Machtdurchsetzung des westlichen Militärbündnisses unter humanitären Vorwänden definiert? Wo das Kosovo liegt und wo die Menschen leben, die man jetzt zu beschützen vorgibt, wis- sen in den USA nicht 50 Prozent der Bevölkerung. Nicht einmal die vielleicht verstehbare Sorge vor neuen albanischen Flüchtlingsströmen nach Italien, Österreich und Deutschland reicht »realpolitisch« aus, um das zu begründen, was die NATO jetzt unter Mithilfe der Deutschen tut. Wieviele Hunderte von Milliarden Dollar und DM müssen (und wollen?) wir weiter in noch »bessere« Bomber und Bomben, Raketen und Radargeräte stecken, statt daß wir endlich die Gründe bekämpfen, aus denen weltweit immer neue Kriege erwachsen?

Immer noch stehen wir, zugegeben, hilflos vor dem Wahnsinn menschlicher Geschichte, doch Krieg gegen den Krieg zu setzen, bedeutet nichts weiter als eine Eskalation des Wahnsinns. Solange wir immer noch glauben, mit gutem Gewissen Menschen töten und Kriege gewinnen zu können, sind wir nicht auf dem Wege des Friedens, sondern stets nur dabei, den nächsten Krieg zu provozieren und uns dafür stets noch »besser« zu rüsten. Auf diese Art wird das staatlich organisierte Morden niemals beendet, sondern stets von Stufe zu Stufe noch schlimmer weitergehen. Mahatma Gandhi hat recht: Der Friede ist kein Ergebnis, er ist das einzige Mittel, ihn zu erreichen: und wer nicht mit ihm beginnt, wird niemals mit ihm enden. Der Krieg - ist die ewige Täuschung, dem Guten durch Böses, dem Leben durch Töten und der Gerechtigkeit durch Gewalt dienen zu können; er ist die Anmaßung, daß just wir es wären, die immer schon wüßten, wie andere ihre Konflikte zu lösen hätten: und er ist die Illusion, die Besserung der, Welt gehe hervor aus der Detonation der »richtigen« Bomben zur »richtigen« Zeit. Grausamkeit überwindet man nicht mit Grausamkeit, und gerade auf dem Balkan haben die politischen Fehler von Österreich ern. Deutschen. Italienern und Russen in diesem Jahrhundert zuzüglich zu dem uralten Haß aller Akteure eine nur langsam zu beseitigende Hypothek an Gewaltbereitschaft und Revanchege- jühl aufgehäuft. In einer Welt. in der alle Schuldige sind. kann es keine Lösung sein. die sicheren Sieger von morgen schon heute für gut und die sicheren Verlierer für schlecht zu erklären.

Eugen Drewermann

 

 
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