Oldenburger STACHEL Ausgabe 7/99      Seite 12
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Glaube und Theologie - Verkettung oder Inkettenlegung

Mit diesem Wortspiel lud die Fachschaft Religion der Carl-von-Ossietski-Universität zu einer Podiumsdiskussion ein, die am 4. Mai 1999 stattfand. Eingeladen waren Prof. Dr. Ulrike Link-Wieczorek, Prof. Dr. Jürgen Heumann und Prof. Dr. Wolfgang Weiß - alle Lehrende an dem Institut für evangelische Religion in Oldenburg - dann die Pastorin der Landeskirche Dietgard Demetriades, die sich aber durch die Pastorin Beate Bühler-Eckford vertreten ließ, und Pastor Lothar Krauß von der oldenburgischen Pfingstgemeinde. Hinzu traten die Laien Doris Steinhauer, Leiterin der ev, Famienbildungsstätte in Wilhelmshaven, Kirsten Hudemann, eine Grundschullehrerin , und schließlich Katrin Pferdmenges, eine Studentin, wie ich vermute als Vertreterin der veranstaltenden Fachschaft. Das ist eine lange Liste, die deshalb hierher gehört, weil sie kennzeichnend sind, denn so gut wie alle Teilnehmer waren beruflich mit einer christlichen Kirche verbunden und von Amts wegen verpflichtet, eine bestimmte Meinung zu vertreten. Materiell ungebunden waren lediglich die Grundschullehrerin und die Studentin, also zwei von acht Personen, aber auch bei ihnen konnte man eine emotionale Bindung an den Veranstalter vermuten. Die Frage, die sich damit stellte, lautete, wie eine Diskussion zustande kommen kann, wenn alle Beteiligten der Ansicht sein mußten, daß der christliche Glaube eben keine "Inkettenlegung" bedeutet, sondern im Gegenteil, eine Befreiung. Das deutete übrigens ja auch das Plakat an: Verkettung und Inkettenlegung bilden ja keine Gegensätze, vielmehr kann ich jemanden durchaus in Ketten lege, indem ich ihn verkette. Offenkundig war deshalb eine Diskussion auch gar nicht beabsichtigt - und so war es denn auch: In der Tat wurden die acht Teilnehmer zunächst abgefragt, ob sie im rechten Glauben stünden, worauf dann als zweiter Punkt folgte, wie dieser subjektive Glaube mit der Wissenschaft, die das Institut ja zu betreiben hat, zu vereinbaren sei. Die Möglichkeit, daß jemand die christliche Religion ablehnt, sich aber gleichwohl mit ihr beschäftigt, etwa so wie der Pathologe mit der Leiche, der ja den Menschen nicht mehr heilen möchte, wohl aber herausfinden will, woran er gestorben ist, kommt in dem Weltbild der Christen offensichtlich nicht vor, weshalb ein solcher auch nicht eingeladen wurde - dann hätte ja wirklich eine Diskussion stattgefunden, die die Professoren der Runde brillant bestanden hätten, insbesondere Wolfgang Weiß, nicht aber die anderen. Und da die Fachschaft die Veranstaltung verantwortete und nicht das Institut, siegte hier die Ideologie, während die Wissenschaft auf der Strecke blieb. Gelernt habe ich daraus, daß an dem Institut offenbar ein heftiger Streit darüber herrscht, was dessen Aufgabe ist: ob es indoktrinieren - das verlangen offenbar die Studenten, so weit sie hier als Veranstalter auftraten - oder aber wissenschaftlich ausbilden soll, was die Professoren als ihre Aufgabe bezeichneten.

Die Veranstaltung war eigentlich ganz typisch für die Situation, in der wir uns befinden. Bezeichnend ist der Anspruch der Christen, daß die Diskussion über die von ihnen vertreten Religion nach ihren Vorstellungen zu verlaufen habe. Funktionäre der ideologischen Verbände, die sich als Kirchen definieren, sind ja nur dann bereit, in eine Erörterung ihrer Dogmen einzutreten, wenn sie

- die Fragen, die gestellt werden, vorher genehmigt haben;

- allein die Antworten geben;

- die Claque auf ihrer Seite haben

- und das Hausrecht besitzen, also mißliebige Kritiker nach Belieben ruhig stellen können.

Falls eine dieser Bedingungen nicht gegeben ist, verweigern sich die Christen. Und sie können so verfahren, weil die Kirchen ja eine enorme Machtstellung haben, die vor allem so begründet ist:

- Die Kirchen sind noch heute als wichtigste sinnstiftende Instanz zumindest im öffentlichen Diskurs weitgehend anerkannt;

- sie verfügen über eine immense Kapitalmacht, die sie natürlich auch einsetzen, was vor allem auf dem Arbeitsmarkt deutlich wird: wer beispielsweise als Kindergärtnerin, aber auch als Pofessor für Theologie angestellt werden will, tut gut daran, sich nicht mit den zustädigen Seelenwärtern zu überwerfen;

- sie beherrschen schließlich vor allem auf indirektem Wege zu 99.99 Prozent (den Rest von 0,01 Prozent rechne ich auf das Konto des Stachels) die Medien, wo es sich niemand leisten kann, das Christentum als Christentum zu kritisieren.

Andererseits ereichen die sog. Volkskirchen (die in der Tat Cliquenkirchen sind) nur noch 5-10 Prozent ihrer Mitglieder - alle übrigen nutzen den Pastoren bei Familienfesten als Tafelaufsatz, der ungemein putzt, aber sonst keine Bedeutung mehr hat. Die Kirche hat, wenn ich von der Ausnahme der Beerdigungen absehe (aber hier bietet ja Minister Funke seine Dienste an), keine soziale Funktion mehr, so daß die öffentliche Macht, die sie ausübt, und die tatsächliche Bedeutung so weit auseinanderklaffen wie noch nie in der Kirchengeschichte, was auch die Christen wohl so sehen und mit Unbehagen erfüllt, weswegen sie solche Veranstaltungen ins Werk setzen wie diejenige, über die ich hier schreibe.

Wenn das aber so ist, so fragt es sich, warum es dann keine wirklich in sich stringente Kirchenkritik gibt - warum knicken Drewermann, Küng und wie sie alle heißen, im entscheidenden Punkt ein und betonen am Ende irer Kritik immer, daß es da ja noch einen eigentlichen Jesus oder ein wirkliches Christentum gebe, das sie nun vertreten und dem die Kirchen nur entsprechen müßten, um aus der Krise herauszutreten, warum also findet sich heute kein Nietzsche, der den Berufschristen aller Konfessionen entgegenschleudert: Gott ist tot und Jesus schweigt seit 2000 Jahren und wird das auch weiter tun!?

Nun, ich habe schon einige Gründe gesagt: Jeder, der in diesem Staat noch etwas werden will, sollte es sich überlegen, sich mit dieser Institution anzulegen - und andererseits lohnt es sich, auf der richtigen Seite zu stehen: Ein Pfarrer erhält heutzutage immerhin das Salär eines Oberregierungsrates, denn er kann sich, wie jeder Beamte, einer Beförderung nur durch Selbstmord entziehen, und genießt alle Vorteile, die das deutsche öffentliche Recht bietet und dazu noch einige weitere, die es nur in der Kirche gibt (beipielsweise wurde er zumindest dafür bezahlt, daß er sein "Amtszimmer" benutzt; ob das heute noch der Fall ist, mögen mir die Experten sagen). Jesus wurde schlechter besoldet und die mittelalterlichen Rabbiner, z. B. Maimonides, erhielten überhaupt keinen Lohn, sondern lebten von ihrem Handwerk, oft kümmerlich genug, aber das ist lange her.

Aber wichtiger noch als solche Überlegungen ist etwas anderes. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich in der Nachfolge Feuerbachs ("Der Mensch schuf sich Gott nach seinem Bilde, nach seinem Bilde schuf er ihn") eine lebhafte wissenschaftliche Literatur, die mit dem christlichen Glauben gründlich aufräumte, so daß sich die Dogmatik bis heute von den damaligen Schlägen nicht erholt hat. Diese Diskussion rutschte, nicht zuletzt durch das Verdienst Adolf Stoeckers, auf das Niveau der Bierhallen herab und wurde dann von den Völkischen auf der einen Seite und den Kommunisten auf der anderen weitergetragen. Ihren Höhepunkt fand sie dann in der Sowjetunion und im Dritten Reich. Auf Grund dieser Tatsache konnten die christlichen Kirchen die Legende aufbauen, daß sie gegen diese beiden Totatilarismen unserer Zeit Widerstand geleistet hätten, was deshalb gelang, weil sich die mehr als 20.000 Berufschristen der damaligen Zeit, die entweder geschwiegen oder mit den Wölfen geheult hatten, sich hinter den breiten Rücken Bonhoeffers und des Grafen Galen verstecken konnten, und Entsprechendes gilt im großen und ganzen für die DDR. Diese sorgsam gepflegte Legende hatte zur Folge, daß vor allem nach der Befreiung im Jahre 1945 als das Christentum die einzige ideologische Alternative gegen den Kommunismus zu bieten schien, jeder, der an dieser Religion Kritik übte, ohne am Ende zum "eigentlichen Jesus" oder "wirklichen Christentum" zu kommen, sofort entweder als Nazi oder als Kommunist abgestempelt wurde - und beides war tödlich. Also vermied man solches - und das ist der Stand bis heute.

Aber warum kann man dabei nicht stehen bleiben?

Aus zwei Gründen:

1. Das Christentum funktioniert nur dann, wenn man bereits den Kindern suggeriert, sie seien "sündhaft", und daß sie dem nur entgegen könnten, indem sie sich dem Heiland anvertrauen, will sagen: dem Pfarrer unterwerfen. Die Kirchen erzeugen also bei ihren Gläubigen Neurosen, die sie dann zu heilen versprechen, wenn der Sünder sich der Fremdbestimmung durch die Kirche unterwirft, was sie aber nicht tun. Das Versagen wird aber nicht den Pfarrern zugeschrieben sondern den Gläubigen, die so immer tiefer in die ekklesiogenen Neurosen hineingeraten - im Extremfall bis zur Selbstvernichtung. Solche Menschen werden in der katholischen Kirche heilig gsprochen, in der evangelischen vergißt man sie.

2. Der zentrale Satz der christlichen Religion lautet: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich." Immer wenn jemand so etwas behauptet - heiße er nun Jesus, Dstalin, Hitler Mao oder sonst wie, ebnet damit den Weg zum Terrorismus, der ja die Kirchengeschichte seit 2000 Jahren begleitet. Nur ein Beispiel: Von den Indianern Kubas oder Haitis hat keiner die christliche Mission überlebt. Mehr noch: Sowohl der Stalinismus als auch der Nazismus lassen sich durchaus als Derivate der christlichen Soteriologie beschreiben. Anders ausgedrückt: Das Christentum verbreitete sich, so weit es denn allgemeinverbindliche Dogmen vertrat, also die Wahrheit verkündete, durch Terror und Korruption. Dort, wo dieser Anspruch aufgegeben wird, degeniert diese Religion zum Sektenwesen, das nur die Betroffenen etwas angeht, aber kein öffentliches Interesse mehr beanspruchen kann, dann aber auch auf staatliche Förderung verzichten müßte (und wer zahlt dann die Professoren?). Das Christentum ist also, sofern es mit dem Anspruch der Allgemeinverbindlichkeit auftritt, das zentrale Übel, an dem Europa leidet.

Was ich hier schreibe, ist seit etwa 100 Jahren Stand der Wissenschaft. Eine der wichtigsten Aufgaben der kirchlichen Arbeit besteht nun darin, diesen Sachstand zu verschleiern, was bekanntlich mit großen Aufwand geschieht, beispielsweise mit einer solchen Veranstaltung, wie sie am 4. Mai in Oldenburg stattfand. Und nun, denke ich, versteht man auch, weswegen sich bei dieser "Diskussion" die Christen ins eigene Ohr tönten. Sie können nicht anders.

Klaus Dede

 

 
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