Oldenburger STACHEL Ausgabe 7/99      Seite 4
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Kriegsanalyse kompakt

Ellen Diederich vom Internationalen Frauen-Friedens-Archiv "Fasia Jansen" sprach in der ALSO-Halle zu der neuen NATO-Strategie

Den gutgemeinten Störungen seitens des Spontan-Moderators der anschließenden lebhaften Diskussion zum Trotz war der für das trockene Thema ausgesprochen gut besuchte Vortrag von Ellen Diederich ein voller Erfolg.

Ellen Diederich ist seit vielen Jahren in der Frauenfriedensarbeit aktiv. So konnte sie das Kriegsgeschehen kompetent von vielen Aspekten her beleuchten. Frauen betreiben seit langer Zeit Friedensarbeit, doch dies wird kaum dokumentiert. Deshalb kam es vor 11 Jahren zur Gründung des Frauen-Friedensarchives. Dort ist auch eine Ausstellung auszuleihen, in der Frauenfriedensarbeit seit über 100 Jahren vorgestellt wird.

Friedensarbeit statt Anti-Kriegsarbeit

Seit Kriegsbeginn betreibt Ellen Diederich "nur noch" Anti-Kriegs-Arbeit - wie auch viele andere. Sie möchte wieder zur eigentlichen Friedensarbeit zurückzukommen. Friedensarbeit bedeutet die Bekämpfung von Kriegsursachen, also die Verhinderung von Kriegen vor deren Entstehung.

Dazu bedarf es einer genauen Analyse der bestehenden Strukturen, die Kriege ermöglichen oder vielleicht sogar für sich erforderlich machen. Eine wichtige Erkenntnis des Abends war, daß es nicht DIE eine Generalbegründung für den Krieg gegen Jugoslawien gibt. Es kommen mehrere Interessen zusammen, von denen jedoch einige bedeutende Gründe sich in wenigen Händen konzentrieren. Nach der Auffassung von Ellen Diederich hat es seit dem "Humanitären Einsatz" ein Erstarken des Militarismus gegeben. "Lösungen" werden auf militaristischem Gebiet gesucht. So äußerte die indische Regierung, hätte Jugoslawien über Atomwaffen verfügt, hätte der Krieg einen anderen Verlauf genommen.

Die NATO-Strategie

Ellen Diederich sprach das GURUAM Abkommen an, in dem die umliegenden Länder Moldavien, Ukraine, Aserbeidschan, Kasachstan und Usbekistan (Aufzählung ohne Gewähr) sich stark der NATO annähern. Diese haben durch das Beispiel Jugoslawien erfahren, wie mit unbotmäßigen Staaten verfahren wird. Doch bereits vor dem Krieg wurde das Abkommen unterzeichnet, mit dem die USA den Zugriff auf die Rohstoffe im Bereich des Kaspischen Meeres haben. Die Zielsetzung von GURUAM ist, Russland zu isolieren und außerdem vom Öl im Gebiet des Kaspischen Meeres zu trennen. Die dort gefundenen und vermuteten Erdölvorräte werden von verschiedenen Quellen auf ca. fünfundsiebzig Prozent der Welterdölvorräte geschätzt. Außerdem gibt es dort erhebliche Uranvorkommen. Neben Russland ist Jugoslawien das einzige Land, das einer Verwertung dieser Rohstoffe seitens des Westens nicht zugestimmt hat. Ein Teilnehmer meinte zudem, daß mit dem Krieg gegen Jugoslawien ein weiterer Schritt in Richtung der Chinesischen Mauer getan wurde.

Diese Überlegungen wurden von einem Veranstaltungsteilnehmer aus Aserbeidschan bestätigt, der die Auffassung vertrat, daß solche Gedanken bereits seit über 50 Jahren in bestimmten Kreisen (an-)gedacht wurden. In unglücklicher Form wurde hier von der Rede-Unkoordination vor Verschwörungstheorien gewarnt. Doch wird wohl niemand das Zusammenfließen verschiedener Interessen in eine "konzertierte Aktion" in Abrede stellen. So sind die verschiedenen Linien des Abends als reale Facetten eines gesamten Mosaiks zu verstehen. Oder eher noch als Teile eines Spinnennetzes. Wenn da an einer Stelle eine Veränderung auftritt, tut sich auch an anderer Stelle etwas.

Die Militarisierung der Gesellschaft

Auch die subtile Ideologie treibt militaristische Stilblüten. Ellen Diederich verweist darauf, daß mittlerweile Barbie-Puppen mit Militär-Uniformen zu erwerben sind. Barbie-Puppen wurden übrigens in den Flüchtlingslagern an die Kinder geschenkt. Bei den Frauen in der Versammlung gab es Einigkeit, daß hier den Kriegsopfern nochmal Gewalt angetan wird. Denn mit der idealisierten Gestalt der "Barbie" werden für die meisten unerreichbare Ideale in die Phantasie gepflanzt, was bei vielen Minderwertigkeitsgefühle zur Folge hat. Wie das bei der Bewältigung von Kriegstraumata helfen soll, bleibt schleierhaft. Bei der genannten Barbie handelt es sich übrigens um eine dunkel"häutige" Abbildung mit der US-amerikanischen Marineuniform. Rambo und Rassismus lassen grüßen!

Hinsichtlich der Militarisierung der BRD sind verstärkt Tiefflüge zu beobachten. Häufiger als früher sind Uniformträger der Bundeswehr z.B. beim Einkaufen zu beobachten. Ob das befohlen wird? Selbst bei der CSD-Parade waren Uniformträger zu beobachten. Diesbezüglich ist ein Teil des berechtigten Anliegens - konkret die Beendigung der Diskriminierung von Schwulen bei der Bundeswehr - unterstützenswert. Doch muß hierzu der Weg gewählt werden, daß das Tragen von militaristischer Kluft in der Öffentlichkeit selbst "in der Szene" salonfähig wird?

Wirtschaft und Börse

Zentrale Bedeutung bei dem Geschehen haben Börse und die wirtschaftlichen Hintergründe. Der Krieg tut einigen wenigen in der Wirtschaft ausgesprochen gut. Andererseits ist im vergangenen Herbst die Verabschiedung des MAI- Abkommens (Multilateral Agreement of Investigation) zwar gescheitert. Doch die treibenden Kräfte versuchen die Weltstrukturen weiterhin in ihrem diesem Sinne zu verändern. Ellen Diederich nannte ihre Freundin Maria Mies. Diese war vor einigen Wochen in Oldenburg zur Vorstellung ihres Buches über das MAI: "Lizenz zum Plündern" (Hrsg. zusammen mit Claudia von Werlhof). Laut Maria Mies wird derzeit versucht, die Neuregelungen des MAI u.a. durch Zusatzabkommen bei der Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organisation) durchzusetzen. Ellen Diederich sieht "Die Lizenz zum Plündern" abgesichert durch "die Lizenz zum Töten" seitens der NATO.

Sie berichtete von der "Millenium-Runde". Im nächsten Jahr planen die siebenundzwanzig reichsten Länder der Welt in Ottawa, den "Millenium-Plan" zu installieren. Das bedeutet unter anderem, daß zukünftig z.B. Menschen aus Pakistan gezwungen sein sollen, unter den in Pakistan herrschenden Produktions- und Arbeitsbedingungen sowie den dort gültigen Mitweltstandards z.B. in der BRD zu arbeiten. Die Überlegungen, was dies für die hiesige Arbeits- und Mit- bzw. Umwelt bedeuten kann oder wird, möchte ich an dieser Stelle der geneigten LeserIn überlassen.

Es war doch ein Wirtschaftskrieg

Ein Teilnehmer wies darauf hin, daß in Jugoslawien keine deutsche Fabrik bombardiert wurde. (Hier hatte der ADAC ausnmahmsweise moderneres Kartenmaterial gesandt? China läßt grüßen. d.Tipperlein) Er berichtete von einem VW-Werk in Bosnien. Dort müssen die Arbeiter mit einem Lohn von 100 DM im Monat auskommen. Er vertrat die Auffassung, daß es sich nicht um ein kriegstaktisches Ziel gehandelt habe, daß die Autoindustrie Jugoslawiens dem Erdboden gleich gebombt worden sei. (Warum auch sollte die Maschinenproduktion beseitigt werden, wenn kaum ein Panzer abgeschossen wurde? Oder werden die existierenden Panzer noch benötigt in dem "Spiel"?) Ein wirtschaftliches Ziel ist gleichwohl zu entdecken: Entweder kauft Jugoslawien die Autos zukünftig in der BRD oder der sonstigen EU, oder VW ... wird noch eine Fabrik bauen.

Unermessliche Mitweltschäden

Die Mitwelt ist in Jugoslawien und den umliegenden Ländern in selbst heute noch unermesslichem Grad geschädigt worden. Dies kann auch nur annähernd durch die Katastrophen von Bophal und Seveso vergleichend nachvollzogen werden. Denn hier handelt es sich nicht um Unfälle, sondern es wurden Chemie- und Kunststofffabriken gezielt völlig zerbombt. Wie soll es da möglich sein, daß die Flüchtlinge wieder in "Frieden und Sicherheit" in ihre Heimat zurückkehren können, wie die NATO dies als "humanitäres" Kriegsziel propagierte. Hier wird ersichtlich, wie wenig der NATO die Flüchtlinge am Herzen lagen und liegen.

Serbien hat ist ein bedeutendes europäisches Grundwasserreservoir. Oder sollten wir besser sagen, daß es das war? Die Untersuchungen hinsichtlich der Mitweltschäden laufen. Jeden Tag gibt es neue Schreckenserkenntnisse, die jedoch nur teilweise in Meldungen der Medien umgesetzt werden. Dabei wurde bereits oft darüber berichtet, daß die zukünftigen Kriege der Welt Kriege um Wasser sein werden.

Ellen Diederich berichtete von spanischen NATO-Piloten, die in einem Brief mehrere Schweinereien benannt haben, was in Jugoslawien an verschiedenen schrecklichen Dingen und Substanzen abgeworfen wurde. Die Folgen werden vielleicht in einigen Jahren klar werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß auch die PilotInnen nicht immer wissen, was sie zu transportieren haben.

"Grüner" Widerstand?

Ein bekannter Vertreter der "Grünen" vertrat die Auffassung, in der Opposition hätte es für eine konservative kriegführende Regierung deutlichere Kritik gegeben. Dem wurde entgegengehalten, daß die "Grünen" bereits in der Opposition im März 1998 in Magdeburg mit nur einer Stimme Mehrheit den Beschluß für Auslandseinsätze der Bundeswehr noch verhindert hätten. Die niedersächsische Landtagsabgeordnete Heidi Lippmann ist deshalb aus der "Grünen" Partei ausgetreten und wurde für die PDS in den Bundestag gewählt, wo sie im Kriegsausschuß offensichtlich die einzige Person ist, die gelegentlich Fragen stellt. Wäre der im grünen Grundkonsens festgelegte Pazifismus der "Grünen" ehrlich gemeint gewesen, hätte es den "Grünen" gut gestanden, ohne den Blick auf das Brötchenkörble konsequent in diesem Sinne NEIN zu sagen. Oder besteht ein wesentlicher Unterschied dazwischen, in der Opposition zu sein oder andererseits aus gutem Grunde in die Opposition zu gehen? Die in der Veranstaltung in diesem Zusammenhang nicht genannte SPD ist nicht weniger heuchlerisch: "Krieg ist kein Mittel der Politik" steht noch immer in deren Grundsatzprogramm.

Die Rolle des Staates

Doch mit der vermeintlichen Macht ist das so ein Ding. Ein Mitglied der WRI (war resisters international) warnte davor, zivile Konfliktlösungsstrategien in ihrer Wirkung und Bedeutung überzubewerten. Besonders wenn diese von staatlicher Seite getragen werden, sind sie auch von bestimmten Intentionen und Interessenlagen geleitet, die für die betroffenen Menschen und zu lösende Konflikte nicht förderlich sein müssen. Wichtig ist es, den Militarismus zu kritisieren und diesem die Grundlage zu entziehen.

Von dem eben zitierten "grünen" Mitglied kam die Gegenfrage: "Was spricht gegen staatliche Förderung ziviler Konfliktlösungen?" Doch statt diese wichtige Frage intensiver erörtern zu können, entfachte die selbsternannte und trotz der Wirren nicht entmachtete Redeleitung einen unglücklichen Disput über ein Randthema. Dabei hatte die Referentin bereits vorher keine Redeleitung gewollt und auch während der Veranstaltung den Wunsch geäußert, es möge nicht auf sie zentriert gesprochen werden, sondern es sollten möglichst alle miteinander sprechen.

Wie weiter, was können wir tun?

So kam leider der wichtigste Gesprächspunkt zu kurz: Wie können wir gemeinsam die zukünftige Friedensarbeit gestalten, ausbauen und verstärken? Glücklicherweise hatte die Referentin bereits von Frauenfriedensaktivitäten über jegliche Grenzen hinweg berichtet. Diese Form wirklicher humanitärer Arbeit ist beispielgebend. Es wird jedoch in den Massenmedien viel zu selten darüber berichtet. Die Gruppe der "Frauen in Schwarz" sei hier nur als ein Beispiel genannt.

Leider wurde nicht mehr der Auffassung eines Teilnehmers widersprochen, daß es sich bei zivilen Aktivitäten um eine "Alternative" zum Bomben handeln könne, und diese genügend propagiert werden müßten. Denn diese Betrachtung beinhaltet nach meiner Auffassung bereits verdeckt eine Begründung für die Bombardierung. Für mich wie nach meinem Eindruck auch für die Mehrheit der TeilnehmerInnen ist diese grundsätzlich ausgeschlossen! Ellen Diederich schloß die Veranstaltung mit den Worten: "Kriege werden von Menschen gemacht, Frieden auch."

Gerold Korbus

Herzlichen Dank an Eva Sassen für die wertvollen Anregungen zu den obigen Zeilen. (Die Verantwortung für etwaige Fehler liegt bei mir.)

Vielleicht gibt es ja Menschen, die gerne die Ausstellung des Internationalen Frauenfriedensarchivs über die sonst wenig dokumentierte Frauenfriedensarbeit nach Oldenburg holen möchten:

Internationales Frauenfriedensarchiv Fasia Jansen e.V.

Lothringer Straße 64

46045 Oberhausen

Tel. 0208 853607 Fax. 0208 853716

ePost: friedensa@aol.com

Wer Interesse an dem Vortragsmanusskript hat:

Helmut Hoffmann

Tel. 0441 37691

Von dem Vortrag gibt es einen Tonband-Mitschnitt:

Gerold Korbus

Tel/Fax: 04407 424

 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum