Oldenburger STACHEL Ausgabe 10/99      Seite 13
 
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Amalgam: Heilmittel oder giftiger Sondermüll

Bundessozialgericht: Quecksilber bleibt Heilmittel

Die zwei Gesichter des Amalgams: Wenn in der Zahnarztpraxis Quecksilber im Mund plaziert wird, handelt es sich nach offizieller Lesart um ein "Heilmittel", das von der Krankenkasse voll finanziert werden muß.

Sollte bei der Zahnfüllung etwas übrig bleiben oder wird an einer Amalgamfüllung gebohrt, wandern diese Quecksilber-haltigen Materialien - hoffentlich - in den Amalgamabscheider. Das ist Sondermüll, für dessen Beseitigung alle bezahlen "dürfen". (Ein Teil dieser Substanzen verdampft und wird eingeatmet, von PatientIn und Praxis-Personal.)

Noch liegt das entgültige Urteil des Bundessozialgerichtes nicht vor, doch der Pressemitteilung von dort zu Folge hat der Kläger "keinen Anspruch auf die Ersetzung seiner intakten Amalgamfüllungen durch Glasionomerzement auf Kosten der Beklagten (Krankenkasse, d.Red.)". (1) Das Bundessozialgericht hat zu mehreren laufenden Verfahren dieses Themas eine grundsätzliche Entscheidung getroffen. Im oben beschriebenen Sinne bleibt damit der bisherige Status Quo erhalten.

Eines der zu Grunde liegenden Urteile kommt aus Oldenburg. Hier wurde die Klage abgelehnt, vom Landessozialgericht in Celle jedoch bestätigt.

"Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens gibt es keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege dafür, daß das aus Amalgamfüllungen unbestritten freigesetzte (!, d.Verf.) Quecksilber geeignet ist, im konkreten Fall gesundheitliche Beeinträchtigungen herbeizuführen." (1) Es gibt also zugegebenermaßen vorhandene Belastungen, doch bei vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind diese konkreten Belastungen seitens der Betrachtung des Gerichtes offensichtlich nur mehr theoretischer Art, der "konkrete" Zusammenhang sei keinesfalls nachgewiesen.

Rückschritt und Fortschritt in einem Urteil

Das Gericht weiter: "Bei der Bewertung der möglichen Gesundheitsfolgen muß aber nach Form und Umfang der Aufnahme durch den Körper differenziert werden." (1) Immerhin erlaubt es sich das Bundessozialgericht nicht mehr, einen "Zusammenhang zwischen den Amalgamfüllungen und den Krankheitsbeschwerden des Klägers auszuschließen". (1)

Doch das Gericht macht es sich einfach: "Daß Amalgam Beschwerden von der Art verursachen könnte, wie sie vom Kläger berichtet werden, ist danach nicht mehr als eine ungesicherte Annahme." (1) Sage mir, wie Du auf welche Gutachter hörst, und ich sage Dir, welcher Kasse Du zugetan bist. Denn einerseits sagt das Gericht, der Zusammenhang könne nicht mehr ausgeschlossen werden, und andererseits wird dieser Zusammenhang so zerredet, daß keine finanziellen Möglichkeiten auf weniger schädlichen Ersatz für die GiftträgerInnen entstehen.

(Mindestens) Zwei-Klassen-Gesundheitssystem

Das Gericht erteilt zudem Ohrfeigen: "Die bloß auf Erwägungen gestützte hypothetische Möglichkeit eines Heilerfolgs kann jedoch die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht begründen." (1) Viele Menschen sind nach der Entfernung des Amalgams und einer Entgiftung symptomfrei. Doch das ist für das Gericht nur die Basis für eine "bloße Annahme" (1). Da das Gericht dies weiterhin so sieht, müssen die Kassen weiterhin Kosten finanzieren, um die Schadwirkungen solcher auf der Hand liegenden Vergiftungsfolgen zu mildern. Eine Heilung durch die Beseitigung von Ursachen wie der Quelle des ständig in den Körper sickernden Quecksilbers bleibt jedoch zukünftig weiterhin verwehrt, wenn mensch nicht zu den Begüterten dieser Welt gehört, die eine Grundsanierung selbst bezahlen können.

Institutionalisierte Kurzsichtigkeit

Nach den mir vorliegenden Informationen darf bei schwangeren Frauen und Kleinkindern kein Amalgam verwendet werden. (2) Daß Quecksilber nicht gerade zu den gesundheitsförderlichen Substanzen gehört, ist also gemeinhin unbestritten. Doch wenn wir gezwungen sind, dieses ständig weiter aufzunehmen, werden wir chronisch vergiftet. Das schwächt unser Immunsystem, wie manches Weitere. Über die Mischwirkungen von Amalgam mit anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist wenig bekannt. Vorhanden sind diese zweifelsohne. Unter dem Strich betrachtet: Beziehen wir die Langzeitschäden und die dadurch notwendigen Heilmaßnahmen mit ein, ist die momentan kostengünstigere Behandlung mit Amalgam auf Dauer sicher die teurere. Menschenverachtend ist sie ohnehin. Denn auch ohne das Auftreten von schweren Krankheiten beeinträchtigt Amalgam die Lebensqualität.

(Keine) Urteilkraft von GoldfüllungsträgerInnen

Als besonders zynisch betrachte ich den Nachsatz des Bundesverfassungsgerichtes: "Im übrigen ist die Entfernung von Amalgamfüllungen nur unter Freisetzung eines Teils des darin enthaltenen Quecksilbers ... möglich." (1) Natürlich ist das so! Doch eben deshalb fordern wir die vollständige Finanzierung brauchbarer und unschädlicher Alternativmaterialien. Denn das beim Bohren verdampfende hochgiftige elementare Quecksilber wird freigesetzt, ob es jetzt rausgebohrt wird, oder in einigen Jahren, wenn die Füllung wackelt. Nur wurde beim Legen der Füllung sowie jeden Tag die TrägerIn der chronischen Quecksilbervergiftung ausgesetzt. Oder sind die ehrenwerten RichterInnen der Meinung, daß wir einen so großen Zahnschaden abwarten sollten, bis aus einer Füllungsrandkaries eine so wackelige Angelegenheit geworden ist, das die Füllung von selbst das Zeitliche segnet?

Auch wenn das Urteil nicht gerade hitverdächtig ist: Es bleibt beim Status Quo. Bei einer Sanierung werden die Kosten für eine Amalgamfüllung übernommen, auch wenn andere Materialien verwendet werden. Es sind Ausnahmen möglich. Da Genaueres den Rahmen sprengen würde, einige Kontaktmöglichkeiten: Beratungs- und Koordinationsstelle für Selbsthilfegruppen BeKoS, Tel. 0441,884848, Gesundheitsberatung Frau Sabine Jablonski, Tel. 0441,591289 sowie der Verfasser: Tel. 04407,424 (Q). Da die offiziellen Beratungsstellen in der Regel unwissend sind oder sich unwissend zeigen, halte ich es für wichtig, daß die Betroffenen sich treffen und ihre Erfahrungen austauschen.

Gerold Korbus

(1) Pressemitteilung des Bundessozialgerichtes 70/99 vom 6.10.99

(2) Bereits 1992 schrieb das Bundesgesundheitsamt vergleichsweise vorsichtig: "Obgleich es nach derzeitigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand keine Hinweise für fruchtschädigende Risiken durch Amalgamfüllungen gibt, ist das Bundesgesundheitsamt der Ansicht, daß jede umfangreiche Amalgamtherapie in der Schwangerschaft vermieden werden soll."

BGA, Zahnärztliche Mitteilungen 82 (19), 38-41 (1992)

 

 
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