Oldenburger STACHEL Ausgabe 10/99      Seite 4
 
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Nach der Abschiebung spurlos verschwunden

Am 30. Juni 1999 wurden 13 Asylbewerber aus Guinea vom Düsseldorfer Flughafen aus in ihr Heimatland abgeschoben. Das niedersächsische Medienbüro für Menschrechte (mfm) verfolgte zwei Monate später die Spur der Flüchtlinge, nachdem sie sich bei ihren Familien nicht mehr gemeldet hatten. Ergebnis der Recherchen in dem westafrikanischen Land, das von einer Militärdiktatur regiert wird: Drei der Flüchtlinge wurden gefunden, ein Asylbewerber ist inzwischen tot, der Rest bleibt verschwunden. Ein Protokoll der Folgen deutscher Abschiebepraxis in ein Land, über das "amnesty international" in seinem Jahresbericht 1999 urteilt: "Folter und Mißhandlungen waren nach wie vor weit verbreitet".

Conakry - Der guineische Sicherheitsminister Koureichy Condé war sichtlich um das Wohl seiner deutschen Gäste besorgt. "Wir werden Ihnen für die Dauer Ihres Aufenthaltes einen Mitarbeiter unseres Ministeriums zur Seite stellen," sagte Condé nach einem feudalen Abendessen mit der Delegation in seiner Villa mit Meeresblick. Doch die Deutschen lehnten dankend ab, wohl wissend, daß die guineischen Behörden kein Interesse daran haben konnten, daß die Hintergründe der Abschiebung bekannt werden. Condé verärgert: "Wie können Sie nur annehmen, daß wir unsere jungen Leute ausgerechnet nach der Abschiebung aus Deutsch- land in Haft nehmen oder gar foltern?"

Die Begleitumstände der skandalträchtigen Abschiebung ließen von Anfang an Schlimmeres befürchten: Bereits am 17. März 1999 war eine Rückführung eben der gleichen Flüchtlinge mit einer Chartermaschine vom Düsseldorfer Flughafen aus gescheitert. Die Behörden in der guineischen Hauptstadt Conakry hatten sich damals geweigert, die "Abschüblinge" - so das einfallslose Behördendeutsch - einreisen zu lassen. Begründung: Die Papiere der guineischen Staatsbürger seien nicht in Ordnung. Auf dem Flughafen von Conakry kam es zu Handgreiflichkeiten gegenüber Vertreterinnen der deutschen Botschaft. Eine deutsche Botschafts- angestellte: "Die Situation drohte zu eskalieren". Angeblich soll der alleinherrschende General und Präsident von Guinea, Lansana Conté, persönlich den Befehl gegeben haben, den Deutschen die "rote Karte" zu zeigen, Quittung für die schleppende Behandlung von Ausreiseanträgen guineeischer Staatsbürger durch die deutsche Botschaft. Die Maschine flog unverrichteter Dinge wieder nach Düsseldorf zurück. Geschätzte Kosten des zweitägigen Ausflugs: Über 100.000 Mark. Sowohl auf dem Hinflug als auch auf dem Rückflug soll es zu massiven Übergriffen der über 30 Begleiter des Bundesgrenzschutzes auf die Asylbewerber gekommen sein - inzwischen Gegenstand von staatsanwaltlichen Ermittlungen. Die Flüchtlinge mußten mehr als 12 Stunden mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf ihren Sitzen ausharren, zur Toilette wurden sie von BGS-Beamten getragen, die ihnen die Hose öffneten. Einer der 13 Flüchtlinge gab später zu Protokoll: "Während ich im Beisein der Polizisten meine Notdurft verrichtete, machten sie sich über mich lustig und ich wurde beleidigt.". Die Beamten sollen Schläge ausgeteilt und den Flüchtlingen empfohlen haben: "Ihr Nigger, haut ab aus Deutschland".

Um weitere Pannen bei der für den 30. Juni geplanten zweiten Abschiebung zu verhindern, reiste Mamadou Camara, wortkarger Polizeikommissar von Conakry, nach Deutschland. Er verhörte die Asylbewerber einzeln und zeichnete die Gespräche auf. Vorher schickte er deutsches Begleitpersonal aus dem Raum und sah alle belastenden Papiere ein. Frank Gockel, Sprecher der Bürener Initiative "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft", die sich wochenlang um die Asylbewerber gekümmert hatte: "Die Verhöre liefen darauf hinaus, die Asylbewerber zu verdächtigen, Anhänger der guineischen Oppositionsbewegung RPG zu sein". Hintergrund: Oppositionsführer und RPG-Chef Alpha Condé sitzt seit Dezember 1998 in Conakry im Gefängnis, in Kürze soll ihm der Prozeß gemacht werden. Angeblich soll Condé einen Putsch geplant und auch die 13 Asylbewerber rekrutiert haben. Gockel: "Die guineischen Behörden suchen offenbar fieberhaft nach Kronzeugen, um Condé verurteilen zu können". So erst mache der Besuch eines guineischen Polizeikommissars in Deutschland Sinn, sagt Gockel. Durch die Verhöre der 13 Asylbewerber hätten die guineischen Sicherheitsbehörden erfahren, daß die Flüchtlinge wegen politischer Verfolgung in Deutschland Asyl beantragt hatten. Sie hatten an Studentendemonstrationen und an Demonstrationen gegen die von der guineischen Regierung angeordnete Zerstörung des Stadtteiles "Kaporo Rails" in Conakry teilgenommen. Damals wurden 120.000 Menschen über Nacht obdachlos, 11 Menschen kamen bei Straßenkämpfen ums Leben.

Mehrfach verweigerten die guineischen Behörden der deutschen Delegation die Herausgabe der Adressen der Abgeschobenen. Nach drei Tagen wurde jedoch eine Namensliste nachgereicht, und drei der Flüchtlinge tauchten wie auf Bestellung aus der Versenkung auf. Doch Amando Diallo, Seko Touré und Kaba Camara - so die Namen der Flüchtlinge - äußerten sich nur spärlich über ihr Schicksal. Die zunächst gegebenen Zusagen, gegenüber der deutschen Delegation auszupacken, wurden über Nacht plötzlich zurückgezogen. Dr. Thierno Sow, Präsident der von ihm selbst gegründeten guineischen Menschenrechtsorganisation "Organisation Guineenne pour des Droit de Homme et du Citoyen" (OGDH), hat dafür eine plausible Erklärung: "Sie wurden offenbar kurzfristig auf freien Fuß gesetzt und haben Angst". Auch die OGDH hatte wochenlang vergeblich nach den Flüchtlingen geforscht. Dr. Sow: "Es ist bei uns üblich, daß sich die jungen Leute bei ihren Familien melden. Das ist nicht geschehen, also wurden sie daran gehindert, sich zu melden".

Diese Einschätzung deckt sich auch mit den Informationen, die Ibrahim Sory Barry, Redakteur der regierungskritischen Wochenzeitung "Lynx" (zu deutsch: Luchs) gesammelt hat. Er hatte am Nachmittag des 30. Juni auf dem Flughafen von Conakry beobachtet, wie alle 13 Asylbewerber noch auf dem Rollfeld festgenommen wurden. Barry: "Ich habe gesehen, wie sie zu Polizeifahrzeugen geleitet und dann weggebracht wurden. Dann habe ich ihre Spur verloren".

Daß die 13 Asylbewerber nach ihrer Ankunft von der guineischen Polizei abgeführt wurden, findet der deutsche Botschafter in Guinea, Pius A. Fischer, völlig in Ordnung. Fischer: "Es ist ganz normal, daß die Leute verhört werden, bevor man sie entläßt". In Guinea, so der deutsche Botschafter, gebe es zwar noch immer die Züchtigung mit dem Stock,"aber," so Fischer, "das muß man nicht so dramatisch sehen". Tags darauf erfuhr die Delegation von solchen "Züchtigungen" und sah auch Fotos von Opfern, von denen einige die Folter nicht überlebt haben. Fischers große Sorge galt denn auch mehr innerdeutschen Befindlichkeiten: "Wenn es das Ziel Ihrer Recherchen sein sollte, in Deutschland einen Abschiebestopp für Guinea zu erreichen, dann wäre das ganz und gar nicht in Ordnung". Im Übrigen, so der langgediente Diplomat im kleinen Kreis, vertraue man den Aussagen des guineischen Sicherheitsministers Condé, der den Deutschen "glaubhaft versichert hat", die "Abschüblinge" seien allesamt in Freiheit und wohlauf. Fischer: "Und wir haben keine Veranlassung, an den Worten des Ministers zu zweifeln".

So ganz zuverlässig sind die Informationen, die der Sicherheitsminister dem deutschen Botschafter offerierte, offenbar doch nicht. Denn mindestens einer der Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl beantragt haben, ist nicht mehr am Leben - doch Botschafter Fischer war uninformiert. Kein Wunder: Erst die Recherchen der Delegation im Krankenhaus "Ignace Deen" in Conakry haben ergeben, daß Asylbewerber Ousmane Sow bereits am 19. Juli mit einer akuten Lebervergiftung eingeliefert wurde und im Koma lag. Eine halbe Stunde später war er tot, der Leichnam wurde nicht obduziert. So kann auch nicht mehr geklärt werden, ob der Tod von Ousmane Sow in Zusammenhang steht mit einer Beruhigungsspritze, die der Asylbewerber bereits am Tag seiner Abschiebung noch in Deutschland erhalten hat, um ihn "ruhigzustellen". Und noch weniger kann nachgewiesen werden, daß Ousmane Sow möglicherweise an den Folgen der Folter in einem guineischen Gefängnis gestorben ist.

Peter Vogel

 

 
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