Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/99      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Der Jahrhundertfehler

und der "2000-Bug"

Wer jetzt die Computer-, in zwei Wochen die normale Zeitung liest könnte glauben, der Jahrhundert-Computerfehler sei der einzige Fehler, mit dem wir beim kommenden Jahreswechsel zu tun hätten. Wie die Überschrift bereits andeutet, haben wir es mit zwei Fehlern zu tun: einem Fehler im menschlichen Gehirn, dem anderen im elektronischen Gehirn - beide treten zum Jahreswechsel auf:

Fehler in den Köpfen

Widmen wir uns zunächst dem menschlichen Gehirn. Wir feiern (hoffentlich) am 31.12.1999 den Beginn des neuen Jahres 2000. Viele Zeitgenossen werden noch mehr feiern: nämlich den Beginn des 21. Jahrhunderts oder gar des dritten Jahrtausends und ignorieren damit die historische Zeitrechnung.

Diese hat nämlich Tücken, die Verwirrung stiften können. Unsere Jahreszählung "vor/nach Christi Geburt" geht auf den aus Syrien stammenden und in Rom wirkenden Abt Dionysius Exiguus zurück, der etwa um 545 n. Chr. gestorben ist. Bis dahin hatte man die Jahre nach der Märtyrer-Ära gezählt, die mit dem Amtsantritt des römischen Kaisers Diokletian 284 n.Chr. begann. Bei der Festlegung der Geburt Christi unterlief Dionysius Exiguus ein kleiner Irrtum: Die Geburt fand bereits sieben Jahre vorher statt. Nach über 500 Jahren ist dieser Fehler verzeihlich - auf eine neue Jahreszählung verzichtete man. (Konsequenterweise müßte man daher vom Jahr 1999 "nach unserer Zeitrechnung", bzw. "vor unserer Zeitrechnung" sprechen.)

Für die Diskussion um den Zeitpunkt des Jahrhundertwechsels ist ein ganz anderer Umstand maßgeblich: Im 6. Jahrhundert fand die Zahl Null keine Anwendung, was zur Folge hatte, daß kein Jahr Null eingeführt wurde. Auf das Jahr 1 vor Christus folgte zu Sylvester sofort das Jahr 1 nach Christus.

Da Jahrzehnte - wie jeder einsehen wird - stets zehn, Jahrhunderte stets 100 und Jahrtausende stets 1000 Jahre umfassen, begann das erste Jahrzehnt am 1.1.1 und endete am 31.12.10 (und dauerte damit volle 10 Jahre). Das zweite Jahrzehnt begann am 1.1.11 und endete am 31.12.20 etc., so daß unser jetziges Jahrzehnt am 1.1.1991 begann und am 31.12.2000 enden wird. Ebenso verhält es sich mit den Jahrhunderten, die vom 1.1.1 bis 31.12.100, bzw. vom 1.1.1901 bis 31.12.2000 dauern. Damit ist klar, daß das erste Jahrtausend vom 1.1.1 bis 31.12.1000 und das zweite Jahrtausend vom 1.1.1001 bis 31.12.2000 dauern.

"Wir wollen unseren Kaiser Wilhelm wieder haben!"

Dagegen hilft auch nicht das Argument, daß Kaiser Wilhelm per Erlaß das 20. Jahrhundert am 1.1.1900 beginnen ließ, oder wie kaisertreu sind wir heute noch?

Fehler in den Computern

Feiern können wir trotzdem, denn die 90er-Jahre sind vorbei, die 2000er werden anbrechen - hoffentlich. Denn am 1.1.2000 um 0 Uhr wird sich zeigen, welche Jahrhundertfehler im elektronischen Gehirn übersehen wurden und welche Auswirkungen daraus erwachsen.

Der technische 2000er-Bug hat seine Ursache darin, daß bei der Einführung der Computer Speicher teuer war und daher die beiden ersten Stellen der Jahresnummer eingespart wurden. Das Datum wird jedoch zur zeitlichen Einsortierung von Ereignissen benötigt, was zur Verwirrung führen kann, wenn auf den 31.12.99 der 1.1.0 folgt. Man dachte, die eingesetzten Programme würden das Jahr 2000 nicht mehr erleben. Doch weit gefehlt. Was in den 70ern und Anfang der 80er Sparsamkeit war wurde später zur Kurzsichtigkeit. Auch in manchen neueren Programmen wurden die ersten beiden Stellen fortgelassen.

Zur Zeit wird das Thema lediglich in Computerzeitschriften diskutiert. In wenigen Wochen wird es eines der zentralen Themen der "normalen" Presse sein, da die Auswirkungen des Fehlers einschneidende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben können. Das Problem an der Situation ist, daß man den zwar Fehler kennt, jedoch nicht weiß, wo er zu Tage treten wird und welche Auswirkungen er konkret haben wird. Für die Bevölkerung gibt es noch ein weiteres Problem: Sie kann nur abwarten und nicht dagegen aktiv werden. Anders als bei politischen Entscheidungen nützt jetzt ein Widerstand nichts mehr - der Technikeinsatz ist von der Bevölkerung akzeptiert worden und wird in vielen Bereichen weiterhin akzeptiert. (Damit ist nicht der Kauf eines Computers gemeint, sondern die Verwendung von Chip- und Scheckkarten aller Art, Akzeptanz von sicherheitskritischen Einrichtungen (Kraftwerke, Militär) und anderen Dingen, wo der Mensch seine Verbraucher- oder politischen Interessen zu vertreten versäumte.)

Möglicherweise werden in den Schulen und anderen Wahllokalen vorsorglich Lebensmittelkarten bereitsgelegt und Krisenstäbe gebildet, um schnell auf mögliche Auswirkungen reagieren zu können. Ob die Bevölkerung das allerdings vorher erfährt, ist zu bezweifeln. Sie wird sich (hoffentlich nicht) im hamstern üben.

Bleibt zu hoffen, daß sich die Auswirkungen im Rahmen halten und der Fehler der Menschheit und damit jedem einzelnen eine Lehre sein wird.

muh

 

 
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