Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/99      Seite 4
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Niedersachsen kein Land für arme Kinder!

Läßt SPD Sozialhilfe-Kinder im Stich?

Der folgende Offene Brief wurde von der ALSO an die Sozialdemokraten in Oldenburg geschrieben.

Der hiesigen Presse (NWZ vom 23.11.99) war zu entnehmen, daß das Kultusministerium eine Aktion "Niedersachsen - ein Land für Kinder" ins Leben gerufen hat. Mit Verwunderung nahmen wir dies zur Kenntnis. In der Woche zuvor (NWZ vom 19.11.99) war gerade öffentlich durch den niedersächsischen Regierungssprecher Volker Benke verkündet worden, daß Niedersachsen im Bundesrat gegen die Pläne der Bundesregierung stimmen will, auch sozialhilfebeziehenden KIndern die Kindergelderhöhung zum 1.1.2000 zukommen zu lassen.

Zur Erinnerung: SozialhilfebezieherInnen wird bisher das Kindergeld IN VOLLER HÖHE (bitte kursiv) von der Sozialhilfe abgezogen. Seit Anfang 1996 bis Anfang 2000 ist das Kindergeld für das 1. Kind von 70 DM auf 270 DM gestiegen. Da aber immer das gesamte Kindergeld von der Sozialhilfe abgezogen wird, hat das sozialhilfebeziehende Kind KEINERLEI (bitte kursiv) Nutzen von den Erhöhungen gehabt, denn für den Lebensunterhalt des Kindes steht nicht eine DM mehr zur Verfügung!

Falls der Einwand kommt, daß doch dafür den Kindern Sozialhilfe zustünde, so ist das gar kein Trost. Auch hier sei in Erinnerung gebracht, wovon der Lebensalltag des sozialhilfebeziehenden Kindes geprägt ist. Sie haben in Niedersachsen Anspruch auf

* einen Tagessatz für Ernährung von 4,50DM für ein sechsjähriges Kind, wobei schon das Mittagessen im Kindergarten teilweise bereits 4,50 DM kostet,

* ein Weihnachtsgeschenk in Höhe von 19 DM,

* eine minimale Erhöhung des Sozialhilferegel satzes (das ist der Geldbetrag, der für Ernährung und alle weiteren Dinge des Alltags außer Miete und Kleidung reichen muß) innerhalb von vier Jahren, d.h. von 1996 bis 2000,

- von 263 DM auf 274 DM - somit ganze 11 DM mehr - für ein sechsjähriges Kind,

- von 342 auf 356 DM - somit ganze 16 DM mehr - für ein dreizehnjähriges Kind.

Während für das erste Kind von gut verdienenden Eltern durch die Kindergelderhöh ungen der letzten Jahre mindestens 200,- DM zugute kommen, beläuft sich das Plus für das sozialhilfebeziehende Kind in Niedersachsen auf einen kläglichen Betrag von 11 DM bis 19 DM (abhängig vom Alter) durch die Regelsatzerhöhungen im Zeitraum 1996 bis 2000.

Niedersachsen gegen Bundesbeschluß

Auch der Bundesregierung erschien das angesichts massiver öffentlicher Kritik sozial ungerecht zu sein. Daher beschloß die rot-grüne Koalition in diesem Herbst, die Kindergelderhöhung zum 1.1.2000 von 20 DM für das erste und zweite Kind den sozialhilfebezi ehenden Kindern zugute kommen zu lassen, indem die Erhöhung nicht auf die Sozialhilfe angerechnet wird. Aber das muß der Bundesrat mitbeschließen. Niedersachsens sozialdemokrat ische Landesregierung hat ihren Widerstand dagegen angekündigt, weil die notleidenden Kommunen dadurch mehrbelastet wären. Sie will dem Entwurf der Bundesregierung nicht zustimmen. Dabei waren bereits in den letzten Jahren auch die niedersächsischen Kommunen Nutznießer der Kindergelderhöhungen: Sie konnten ihre Sozialhaushalte in großem Ausmaß auf Kosten von Kindern sanieren, da sich durch die Anrechnung des Kindergeldes und all seiner Erhöhungen die Sozialhilfeausgaben verringert haben.

So errechnet das niedersächsische Finanzministerium, daß aufgrund der Anrechnung der Kindergelderhöhung auf die Sozialhilfe allein im Jahr 2000 in Niedersachsen 55 Millionen DM eingespart werden können. Na prima! Sozialhilfebeziehend e Kinder lassen sich gut zu Zahlenspielen mißbrauchen, haben doch gerade sie keine einflußreiche Lobby, die sich für sie einsetzt oder ihren Lebensalltag sponsort.

40 DM für ein Schuljahr

Wen wundert es da noch, daß in Niedersachsen sozialhilfebeziehende Schulkinder mit einer nicht ausreichenden Schulmaterialienpauschale von 40 DM für ein gesamtes Schuljahr abgespeist werden? Diese Pauschale ist nicht ausreichend und garantiert noch nicht einmal eine Mindestgrundausstattung: In vielen Schulen wird bereits zu Anfang des Schuljahres eine Kopier- und Bastelpauschale von 30,- DM von den Eltern abkassiert. (Zum Vergleich: Baden-Württemberg gewährt insgesamt eine Beihilfe für Materialien von 120,- DM pro Schuljahr ohne Antrag!) Noch nicht einmal hier werden Kindern in Niedersachsen annähernd gleiche Chancen eingeräumt! Eine ausreichende Ausstattung mit Schulmaterialien ist aber eine Grundvorausset zung für eine erfolgreiche Schullaufbahn.

"Fairneß, soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Chancengleichheit, Solidarität und Verantwortung für andere: diese Werte sind zeitlos. Die Sozialdemokratie wird sie nie preisgeben." (Schröder- und Blair-Papier) Nicht preisgeben zu wollen ist nicht ausreichend in dieser Zeit, für diese Werte zu kämpfen, wäre auch für Sozialdemokraten eine sinnvolle Aufgabe! Ansonsten wird Niedersachsen traurige Berühmtheit erlangen: Ein Land für reiche Kinder - nicht aber für sozialhilfebeziehende Kinder.

Wenigstens 20 DM Kindergeld!#q

20 DM mehr Kindergeld auch für sozialhilfebez iehende Kinder ist unseres Erachtens ein Tropfen auf den heißen Stein - wenigstens diese geringfügige Verbesserung sollte aber nicht durch Niedersachsens Sozialdemokraten zu Fall gebracht werden! Deshalb der Appell: Setzt Euch für die Verbesserung der Lebenssituation sozialhilfebeziehender Kinder ein - auf ihrem Rücken dürfen nicht die Probleme der kommunalen Haushalte ausgefochten werden!

Wir stehen für Gespräche zur Verfügung, um die Situation von sozialhilfebeziehenden Kindern vor Ort in Oldenburg zu erörtern und gemeinsam Verbesserungsvorschläge zu diskutieren.

Beate Pyde für die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg.

 

 
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