Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/99      Seite 5
 
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Ermittlung wegen "Aufrufs zur Fahnenflucht"

Auch die Staatsanwaltschaft Oldenburg ermittelt wegen des "Aufrufs an alle Soldaten der Bundeswehr, die am Jugoslawien-Krieg beteiligt sind", der während des Krieges in verschiedenen Städten der Bundesrepublik verteilt wurde und u.a. am 21. April als Anzeige in der tageszeitung erschien. In dem Aufruf heißt es u.a.: "Eine Beteiligung an diesem Krieg ist nicht zu rechtfertigen. Verweigern Sie deshalb Ihre Einsatzbefehle! Entfernen Sie sich von der Truppe! Lehnen Sie Sich auf gegen diesen Krieg!" Und: "Es gilt: Aktive Soldaten sind potentielle Mörder. Und Opfer eines mörderischen Krieges. Deserteure und Kriegsdienstverweigerer jedoch sind Friedensboten."

Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen mehr als 30 UnterzeichnerInnen des Aufrufs und gegen einige sind auch schon Strafbefehle zwischen 2500 und 7000 DM ergangen. In einem ersten Prozeß gegen einen der Erstunterzeichner in Berlin am letzten Donnerstag wurde Wilfried Kerntke aus Offenbach jedoch freigesprochen, da der Aufruf zur Befehlsverweigerung und Fahnenflucht während des völkerrechtlich umstrittenen Krieges vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt gewesen sei. Gegen diesen Freispruch hat die Staatsanwaltschaft bereits Berufung angekündigt.

Der Oldenburger Andreas Speck, selbst totaler Kriegsdienstverweigerer und Vorstandsmitglied der War Resisters=92 International, eines internationalen Netzwerks von gewaltfreien und antimilitaristischen Organisationen mit 80 Mitgliedsorganisationen aus 40 Ländern =96 darunter Jugoslawien und Kroatien =96 gehörte ebenfalls zu den UnterzeichnerInnen des Aufrufs, der in Oldenburg während des Ostermarsches und während einer Demonstration vor der Kaserne in Bümmerstede verteilt wurde. Das jetzige Ermittlungsverfahren ist jedoch in Gang gekommen, weil einer der anderen Erstunterzeichner den Aufruf am 1. April vor dem Verteidigungsministerium in Bonn verteilte und per Post u.a. dem Verteidigungsministerium und der Staatsanwaltschaft Bonn übersandte.

Andreas Speck, gerade zurück von einem zweieinhalbwöchigen Aufenthalt bei serbischen antimilitaristischen Gruppen, erklärte zu den Verfahren, daß diese "die Gelegenheit bieten, die Völkerrechtswidrigkeit des Krieges und das heuchlerische Handeln der NATO vor Gericht zu thematisieren". Dabei ginge es gerade nicht darum "in die Falle der einseitigen Anti-NATO-Reflexe zu verfallen, sondern deutlich zu machen, daß der Angriff der NATO weder im Kosov@ Verbrechen verhindern konnte, noch in Serbien selbst zur Schwächung des Milosevic-Regimes geführt hat. Ganz im Gegenteil: bei meinem Besuch in Serbien wurde mir wieder und wieder versichert, daß dieser Krieg die Spielräume der demokratischen Opposition eingeschränkt hat. Trotz der Proteste nach dem Krieg ist die dominierende Stimmung Apathie und Hoffnungslosigkeit."

Es bleibt abzuwarten, ob die Staatsanwaltschaft Oldenburg dem Beispiel der Staatsanwaltschaft Berlin folgt und Anklage erhebt, oder ob das Verfahren eingestellt wird.

Andreas Speck

 

 
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