Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/99      Seite 14
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Linke dürfen nicht trauern

Was ist ein Volk?

Seit 1984 nahm ich an den Veranstaltungen des Volksbundes Kriegsgräberfürsorge am Volkstrauertag im Staatstheater teil. Ich denke, mein fehlgeschlagener Versuch in diesem denkwürdigen Jahr 1999 wird mein letzter gewesen sein. Nicht, daß ich befürchte, mich zwischen Stühle zu setzen. Doch so beeindruckend waren die Veranstaltungen der vergangenen Jahre nicht.

Denunziation 1985

Am damaligen Volkstrauertag stand neben dem damaligen Geschäftsführer ein stadtbekannter Querulant und brüstete sich mit seiner privaten selbsterstellten Fotosammlung von Menschen aus Oldenburg. Er versorge Kommunalpolitiker und Landtagsabgeordnete einer vorgeblich christlichen Partei mit seinen Ablichtungen. Doch steht nicht geschrieben: "Du sollst dir kein Bildnis machen"?

Dieser "Fotograf" deutete auf mich mit den Worten: "Der nicht!" Nach einem persönlichen Gespräch mit dem Geschäftsführer besuchte ich zusammen mit diesem die Veranstaltung. Über die Jahre hinweg hatte ich den Eindruck, daß sich bei den Veranstaltungen im Staatstheater durchaus kritisch mit dem Thema Krieg und dem damit verbundenen Mord und Totschlag auseinandergesetzt wurde. Leider jedoch mit abnehmender Tendenz.

Kann ein Abstraktum fühlen?

Doch blieb für mich die Frage offen, warum es "Volks"trauertag heißt. Trauer benennt eine tiefgehende, ergreifende Emotion. Menschen können trauern - grundsätzlich jedenfalls. Alexander Mitscherlich beschrieb verbreitete diesbezügliche Blockaden. Doch ein "Volk" ist kein Individuum, sondern eine willkürliche Beschreibung von etwas, über das die Meinungen auseinander gehen und dessen Existenz von Einigen sogar widerlegt wird. Wenn das "Volk" von sich aus nicht trauern kann, wird dem "Volk" - wer oder was das immer sein mag - also die "Trauer" verordnet?

Die Bombardierung Jugoslawiens stimmte mich traurig

Nur zu gut kann ich mich erinnern, als im ARD-Weltspiegel der Bericht über die Bombardierung des Senders in Belgrad kam. Die Schilderung über das Leben und Sterben der JournalistInnen hat mich ergriffen und zum Weinen gebracht wie die Schilderungen über die Folgen der Vertreibungen. Verbunden war das für mich mit der Wut über die Taktierei der NATO und deren Hintermännern, die diesen Krieg erst eingefädelt und ermöglicht haben. Mit der Erhebung von PressemitarbeiterInnen in den Kombattantenstatus haben die Staaten der NATO neben der Eigenermächtigung sowie der Verwendung völkerrechtlich geächteter Kriegsmethoden ein weiteres Mal "... gegen eindeutige, von ihnen selbst verabschiedete Gesetze nach Gutsherrenart ... verstoßen." (NWZ, 2.12.99) JournalistInnen waren bisher BeobachterInnen, keine KriegsteilnehmerInnen.

Diese Selbstverständlichkeit, mit der damals vorgegangen wurde, stimmte mich hilflos. Ich versuche zu informieren über die offiziellen Tendenzen, die Geschichte umzuschreiben. Sie behaupten, zuerst hätten die Vertreibungen begonnen. Tatsächlich schrieb z.B. die ARD im Videotext am 25.3.99 auf Seite 122: "Die Lage der Menschen in der umkämpften serbischen Provinz Kosovo hat sich NACH dem Abzug der internationalen Beobachter dramatisch verschlechtert." (Hervorhebung v. Verfasser) Doch warum sollen diese tiefen Emotionen ausgerechnet an einem Sonntag im grauen November lebendig werden?

1998: Wut und Trauer

Im vergangenen Jahr wurde ich auf dem Weg in das Staatstheater von zwei uniformierten AufpasserInnen aufgehalten. Sollte ich auf diese einen potentiell gefährlichen Eindruck gemacht haben? Nach Beobachtungen von Außenstehenden war ich der einzige Besucher, der eine Leibesvisitation über sich ergehen lassen mußte. Zeichen dafür, daß mensch unter seinesgleichen bleiben möchte und soll?

Doch - für mich nicht überraschend - wurde der männliche Beamte fündig: Er entdeckte ein großes Loch in meiner Innentasche. Und er griff hart durch, bis die Hand unten wieder herauskam und für andere BesucherInnen sichtbar wurde. Wer das geringe Einkommen eines Erwerblosen mit der entsprechenden Kleidung hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Denn mit Sprüchen informierte er die Umgebung und seine Kollegin von seiner "wichtigen" Entdeckung: dem Zustand meiner Kleidung. Dabei hatte ich gehofft, das Loch in meiner Tasche unentdeckt und gut getarnt in die Veranstaltung schmuggeln zu können.

Nun kann ich versuchen, diesen Vorfall mit Fassung zu tragen. Vielleicht war es nicht anders zu erwarten. Doch es muß einmal geschrieben sein: Dieses Verhalten am Volkstrauertag war widerwärtig, Herr Polizist! Zum Glück sind nicht alle Beamten zu solch bescheuertem und verachtendem Verhalten fähig.

1998: Unbegründeter Platzverweis

Auf meinem Weg vom Staatstheater zur Gedenkstätte höre ich den Polizeifunk. "Da kommt der (Nachname). Laß den mal nicht durch." Aus Selbstschutz muß ich hier betonen, daß ich unfreiwillig zuhöre. Denn in dem Polizei-Fahrzeug neben mir ist das Fenster offen und der Funk so laut gestellt, daß alle Umstehenden meinen Namen genannt bekommen. Sieht so die Umsetzung von Datenschutzbestimmungen durch niedersächsische Polizeibeamte aus? Bei meinem Versuch, die Gedenkstätte zu betreten, wird mir erklärt, daß für mich ein Platzverweis erlassen wurde. Dieser wird mir rechtswidrig nicht begründet. Erst nach einem Gespräch mit dem Einsatzleiter kann ich an der Veranstaltung teilnehmen.

Kritische Begleitung nicht erwünscht?

Nun habe ich nicht lediglich persönlich trauern wollen. Ich war auch etwas dienstlich da. Um bei meiner Berichterstattung authentisch sein zu können, fragte ich den Oberbürgermeister, der im vergangenen Jahr die Rede hielt, nach seinem Manuskript. Im März diesen Jahres wurde mir das auch tatsächlich zugesandt. Nur gut, daß hier gezeigt wurde, welches Interesse an einer aktuellen Berichterstattung besteht. Vielleicht verläßt man(n) sich auf die Hofberichterstattung. Oder darf die STACHEL-Redaktion aus diesem Verhalten lesen, daß die Stadtverwaltung immer noch Angst vor kritischen Zeilen hat?

1999: Amtliche Denunziation

Zur Rede von Bischoff Krug wurde ein Freund von mir persönlich eingeladen. Ausdrücklich wurde er schriftlich aufgefordert, auch seine Freunde mitzubringen. Doch auf dem Weg im Theater zur Veranstaltung fragt mich ein Polizist ohne Uniform: "Herr (Nachname), wollen Sie tatsächlich an der Veranstaltung teilnehmen?" Er denunziert mich beim "Hausherrn": "Das ist der (Nachname)!" Im Abgleich mit dem Amtsvertreter bekomme ich Hausverbot.

1999: Zum Teufel mit der Pressefreiheit

Mein Hinweis auf meine journalistische Tätigkeit sowie mein Presseausweis bewirken keine Meinungsänderung. Nicht "nur" mein persönliches Recht wird willkürlich beschnitten - auch an den Grundfesten der offiziellen Ideologie, hier der leider mehr sogenannten Pressefreiheit - wird gerüttelt.

Ich frage den Beamten nach dem Grund, den es nicht gibt oder der mir verschwiegen wird. Einzig: Ich sei "links". Für mich ist bis heute nicht nachzuvollziehen, worin sich diese Auffassung gründet. Noch weniger verstehe ich, warum - einmal angenommen, das "links" stimmt - hierin ein Grund für einen Veranstaltungsausschluß begründet wäre.

Doch auch sein Chef weigert sich, sein Wort in die Waagschale zu legen, um das von seinem Mitarbeiter begangene Unrecht rückgängig zu machen. Überraschenderweise werde ich jedoch später nicht daran gehindert, die offiziellen Kranzniederlegungen vor dem Landtagsgebäude zu beobachten. Mehr schlecht als recht gibt es Live-Musik: "Ich hatt einen Kameraden...". Das stimmt zwar nicht, aber ich versuche, darüber hinweg zu sehen, denn ich weiß ja, daß die Jungs doch nix anderes spielen können.

Doch nachdenklich stimmt mich, wie offen hier versucht wird, Ideologie zu verbreiten. Sinngemäß: "Unsere" Jungs müssen helfen. Deutlich wird, daß der Jugoslawien-Krieg besonders deshalb "nötig" war, um die "Verteidigungsbereitschaft" zu fördern, die Kriegsmüdigkeit zu beenden. Denn das war ja ein Krieg in Europa, lange Zeit undenkbar. Bürgers und Kleinbürgers dürfen sich also wieder so richtig schön bedroht fühlen, fast wie zu Zeiten des kalten Krieges. Ich kann meine Übelkeit zurückhalten. Immerhin wird dieser Kranz von Oberbürgermeister und Regierungspräsident nicht bei dem Denkmal an der Hauptstraße niedergelegt, das die Inschrift trägt:

"Ihr Sterben war ihres Lebens größte Tat."

Nun war mir schon früher klar, daß Kriegstreiber und Befehlshaber nicht viel von den Menschen halten, die sie als Soldaten in den Tod schicken. Die vielen nichtuniformiert Menschen, denen das Leben genommen wurde, werden oftmals gar nicht erwähnt. Die Stadt Oldenburg ließ Anfang der achtziger Jahre das Denkmal renovieren. Auch diesen entsetzlichen Spruch! Unbekannte FriedensfreundInnen sprühten darüber den Satz von Hiroshima:

"Die Überlebenden werden die Toten beneiden"

Zu den schrecklichen Aussagen von Kriegerdenkmälern existiert übrigens eine Diaserie, die von FriedensfreundInnen aus Oldenburg gerne gezeigt wird. (Kontakt über STACHEL) Diesen Umgang mit der berechtigten Trauer um die Opfer von kriegerischem Mord und Totschlag halte ich für angemessener als die heuchlerischen bekranzten Krokodilstränen an den Gedenkstätten für diejenigen, die sich mindestens haben zu Tätern machen lassen.

1999: Abgesang

Mehr zufällig kam ich 1999 dazu, als einige Menschen überlegten, wie sie deutlich machen können, was da offiziell so geheuchelt wird. Ich sprach mich für eine störungsfreie Theaterveranstalung aus. Wie berichtet: Das wird mir vermutlich nicht wieder passieren.

Sicher gibt es im "Volks"bund verschiedene Strömungen. Manche bedauern ernsthaft das damalige Geschehen. Doch mit der Wahl dieses Oberstleutnants d.R. zum Geschäftsführer wird ein Indiz dafür sichtbar, daß sich die Hardliner durchgesetzt haben, die eine enge Zusammenarbeit mit Bundeswehr und Trachtenverbänden pflegen.

Was mag bezahlt worden sein für die Theatermiete? Wurde dafür etwas bezahlt? Steht das Staatstheater anderen Gruppierungen zu gleichen Konditionen zur Verfügung?

Der oberste Vorgesetzte des Staatstheaters in Oldenburg ist der Regierungspräsident der Bezirksregierung Weser-Ems. Zugleich ist er der Vorsitzende des "Volks"bundes. Sein "persönlicher Referent" versuchte im Telefongespräch "die Dramatik aus der Sache zu nehmen". Ausdrücklich bestätigte er, daß es sich um eine öffentliche Versammlung gehandelt habe, es also nicht einmal meiner persönlichen Einladung bedurft habe. Doch selbst als Pressemitarbeiter war ich ausgeschlossen.

Darf ich fragen, warum der "persönliche Referent" des Regierungspräsidenten dessen Privatangelegenheiten - nämlich im Rahmen des Vorsitzes vom "Volks"bund - während der Dienstzeit zu regeln versucht? Leider stammt das Zitat bezüglich der Gutsherrenart lediglich aus einem Lesebrief zu den diversen Finanzskandalen in der Politik. Wenn Menschen zerbombt werden, sind so deutliche Worte in dem regionalen Monopol-Blättle nicht zu erwarten.

Vielleicht klingt es wie ein Selbstfreispruch, wenn ich betone, daß Platzverweis und Hausverbot grundlos eingeleitet wurden. Deshalb habe ich schriftlich beim zuständigen Mitarbeiter der Polizei-Inspektion Oldenburg nachgefragt, ob dort etwas gegen mich vorliegt. Mir wurde ausdrücklich bestätigt, daß in den entsprechenden Dateien dort nichts geführt wird, was ein solches Handeln begründen könnte.

Kann es also sein, daß bei der Polizei in Oldenburg üble Nachrede zum Leitfaden des Handelns Einiger gehört? Leider wird mir nicht mitgeteilt, wann ich das nächste Mal willkürlichem Verhalten von Polizeibeamten ausgesetzt sein werde. Doch das wird wohl nicht solange auf sich warten lassen, angesichts der Veröffentlichung dieser Zeilen. Oder sollte dieser Vorfall für die Polizei-Leitung doch endlich Grund genug sein, um an Strukturen zu arbeiten, die so etwas verhindern könnten?

Karl am Arsch

(Das wirkt nicht nur wie ein Pseudonym, das ist auch eines. Letztlich ist mensch tatsächlich am Arsch, wenn solche Vorgehensweisen um sich greifen. Hinweise darauf gibt es genug. Vergleiche mit namentlich benannten Polizeistaaten möchte ich mir sparen. Unter solchen Bedingungen ist nach meiner Auffassung Gerede von Pressefreiheit und Schutz der Demokratie durch Polizisten Makulatur. "Pseudo" eben.)

 

 
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