Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/00      Seite 5
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Der amerikanische Albtraum

John Trudell · Blue Indians · 12 Titel · Ulftone Music · Gesamtzeit: 55 m 54 s

"Es ist immer gut, heimzukommen", sagte John Trudell, als er kürzlich die Santee Sioux Reservation im US-Staat Nebraska besuchte. Er wurde dort geboren. "Es ist ein Gefühl der Sicherheit, wenn man seine Vergangenheit sieht und weiß, es gibt einen Platz, wo du hingehen kannst, weil du ein Teil eines größeren Ganzen bist." Trotzdem ist für den Indianer John Trudell die USA höchstens zum Teil Heimat. Zu viel Schreckliches wurde ihm angetan, zu albtraumhaft ist seine Geschichte.

John Trudell wurde am 15.2.1946 in Omaha, Nebraska, geboren. Sein Vater war Santee Sioux, die Vorfahren seiner Mutter kamen aus Mexiko. Er wuchs in sehr armen Verhältnissen auf und seine Kindheit war hart. Seine Mutter starb, als er sechs war und hinterließ eine große Familie, für die der Vater versuchte zu sorgen. Schon früh lernte er die Diskriminierung der Rassen und der ärmeren Bevölkerungsschichten am eigenen Leibe kennen und seine Verachtung für den "American Way of Life" wuchs immer mehr mit den Jahren.

Nach seiner Zeit bei der Army besann er sich mehr und mehr seiner Wurzeln. 1969 gehörte er zu den Organisatoren der Aktion "Indians of All Tribes Occupation of Alcatraz", dem Ursprung der indianischen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Die Medien wurden aufmerksam, "und die Regierung bezeichnete uns als militante Revolutionäre, um uns in der Öffentlichkeit in Mißkredit zu bringen". Als er Vorsitzender der Bewegung wurde, hatte das FBI bereits 17000 Seiten Akten gegen ihn zusammengetragen. Trudell dazu heute: "Sie erklärten uns den Krieg. Sie jagten uns. Sie töteten, verhafteten und zerstörten uns mit allen Mitteln, die sie für nötig erachteten."

1979 traf ihn die Rache direkt. Während er in Untersuchungshaft saß wurde ihm nahegelegt, sich öffentlich nicht mehr zu äußern. Er ignorierte dies. Am 11. Februar führte er den Marsch gegen das FBI-Hauptquartier in Washington an und hielt eine Rede über den Krieg des FBI gegen die Indianer. Anschließend verbrannte er die US-Flagge. Zwölf Stunden später brannte sein Haus. Seine Frau, seine drei Kinder und die Mutter seiner Frau starben in den Flammen. Die Brandursache wurde nie erforscht. Das FBI weigerte sich zu ermitteln. John Trudell: "Es war Mord."

Um zu überleben, begann er zu schreiben. "Ich hatte davor nie geschrieben. Höchstens Reden. Etwa ein halbes Jahr nach dem Feuer kamen die ersten Zeilen aus mir heraus. Die Zeilen waren meine Bomben, meine Tränen, mein Alles." Was als Überlebenshilfe begann, wurde zur Kunst. 1981 erschien sein erster Gedichtsband. Im April 1979 traf er das erste Mal Jackson Browne in New Mexico. Jackson Brownes Frau hatte wenige Jahre zuvor Suizid begangen, er selbst hatte heftige Drogenerfahrungen hinter sich aber sich auch gegen Atomkraftwerke engagiert. John Trudell: "Ich liebte immer schon die Musik und er gab mir die Chance, die Musik zu erleben."

Bob Dylan nannte das erste Album "AKA Graffiti Man" "das beste Album, das 1986 erschienen ist." Zwei weitere Alben folgten, die Jesse Ed Davis produzierte, bevor er nun seine aktuelle CD "Blue Indians" wieder von Jackson Browne produzieren ließ. Kritiker beschreiben die neue CD als Mischung aus Jim Morrisons "An American Prayer" und den besten Stücken von Bob Dylan. Beides wird John Trudell's neuester CD nicht gerecht, aber von beidem steckt ein Stück Wahrheit darin. Und doch ist sie anders. Indianisch, dirty, mystisch ... Eben John Trudell, der da sagt: "Ich bin nur ein Mensch, der versucht, in einer Welt zu überleben, die immer mehr das Verständnis verliert, menschlich zu sein."

Jörg Ueberall

 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum