Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/01      Seite 4
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

CASTOR-Transport

Eine Reise ans Ende der Demokratie

Da war doch noch was... Achja, einer dieser Transporte von radioaktiv strahlendem Müll quer durch die Bundesrepublik, der am 14. November mit erheblicher Verspätung das Zwischenlager Gorleben erreichte. Zeitweise mehr als 1000 Menschen schafften es trotz starker Behinderungen durch die Polizei, ihren Protest vor Ort zu artikulieren und begaben sich im Rahmen der gewaltfreien Sitzblockade "Widersetzen" auf die Transportstrecke. Leider stand den friedlichen DemonstrantInnenn ein massives Polizeiaufgebot gegenüber und dies nicht nur in Form von Uniformierten, sondern wurden jene diesmal unterstützt von scharfen Hunden, Pferden, Räumpanzern und Wasserwerfern. Der Einsatz von Tieren hatte eine enorm einschüchternde Wirkung auf viele AtomkraftgegnerInnen.

Jagdszenen im Wald

Zum Vorgehen der Polizei sagte Jochen Stay, Pressesprecher der Kampagne X-tausendmal quer: "Alle Gewaltprognosen waren falsch, einzig gewalttätig war die Polizei. Auf gewaltfreie DemonstrantInnen wurden beißende Hunde losgelassen; eine Pferdestaffel ritt ohne Ankündigung in eine gewaltfreie Sitzblockade, in den Wäldern rings um Laase waren Greiftrupps im Einsatz, die mit Kriegsgeschrei hinter Menschen herjagten und sie brutal mißhandelten." In der Nacht vor dem Straßentransport wimmelte es im Wald um Laase nur so von Menschen, die versuchten, durch das Dickicht zur Straßenblockade zu gelangen. Dabei galt es, nicht schon vorher erwischt zu werden, deswegen: Taschenlampen aus, Handys aus, leise sein, sich sofort auf den Boden schmeißen, wenn Mensch in den Lichtkegel der Polizeischeinwerfer (Autos, Helikopter Taschenlampen) gerät, oder der Himmel taghell von den von der Polizei abgefeuerten Leuchtraketen erstrahlt. Dies begann schon in einer Entfernung von mehreren Kilometern zur Transportstrecke.

Die Sanizentrale meldete nach dem Transport insgesamt 144 (davon 9 schwer) durch Polizei und BGS-Beamte verletzte DemonstrantInnen, darunter 24 mit Hundebissen. Schade, daß das brutale Vorgehen der Polizei sich in der öffentlichen Berichterstattung kaum widerspiegelte. Vor laufenden Kameras verhielt sich die Polizei umsichtig.

Eine typische Situation:

Bei Splietau sitzen ca. 50 Menschen am frühen Morgen auf der Straße, von Polizei eingekesselt. Geräumt wird noch nicht. Kameras sind anwesend. Plötzlich erscheint ein bunter Zug von mehreren hundert Menschen mit einer großen Wendlandfahne hinter einem Damm, der sich in den ersten Sonnenstrahlen über das Feld in Richtung Straße bewegt. Der Polizei scheint klar, daß die anwesenden Kamerateams zu diesem Zeitpunkt damit beschäftigt sind, dieses eindrucksvolle Bild festzuhalten, so gibt der Einsatzleiter den Befehl an die Pferdestaffel, jetzt in die Menge der sitzenden DemonstrantInnen zu reiten. Innerhalb kürzester Zeit war der Straßenabschnitt geräumt und wahrscheinlich hat keine Kamera die Bilder der von den Pferden herunterknüppelnden PolizistInnen eingefangen.

Besuch bei Muttern

"Die Formen des Widerstands waren vielfältig.", so Melanie aus Oldenburg. "Unser Widerstand begann sehr zaghaft. Am Sonntag besuchten wir mehrer angemeldete Mahnwachen im Umkreis von Dahlenburg. Den Montag verbrachten wir im Wald und legten ein paar große Äste auf Waldwege. Kurz nach dem Abendessen in Köhlingen wurde durchgesagt, daß der Castor jetzt in Frankreich losgefahren sei. Signal für die Planung einer ungeheuer konspirativen Aktion, die für Dienstag in den frühen Morgenstunden geplant war: "Besuch bei Muttern - Man muß sich ja auch mal lösen können." Leider werde ich nie erfahren, ob diese Aktion erfolgreicher hätte sein können, als alles, was wir bis dahin unternommen hatten. Das kam so: Wir fuhren in einer Autokolonne Richtung eines geheimnisvollen Zielorts, die Kolonne riß ab, kam zum stehen und bevor wir bis drei zählen konnten, waren wir eingekesselt. Der Rückweg wurde uns u.a. von einem Zivilpolizisten versperrt, der seinen Bulli quer(!) stellte. Den Rest des Tages verbrachten wir in Gefangenenbussen und in einer Zelle in Neutramm. Es war ein unangenehmes Gefühl für mich vor dem Verladen fotografiert und gefilmt zu werden. Nach etwa vier Stunden in einer Einzelzelle (ca. 50x70cm!) im Gefangenenbus mußte ich, bevor ich in die nächste Zelle geführt wurde, noch einmal polizeiliche Erfassungsmaßnahmen über mich ergehen lassen, und der Anblick von soviel stumpfer Bürokratie und mechanisch-ausführenden PolizistInnen auf einmal bereitete mir Unbehagen. Nachdem meine Bezugsgruppe dann gegen 22 Uhr wieder komplett entlassen worden war, machten wir uns sofort auf den Weg zur Straßenblockade nach Laase. Hier hatten wir von zwei bis vier Uhr am Mittwoch Morgen noch das Erfolgserlebnis einer friedlichen Blockade und sind danach auf dem Wohnzimmerteppich eines Hauses eingeschlafen."

Utopie schnuppern

"Der Aufenthalt im Wendland bietet doch immer wieder sehr hoffnungsvolle und mutmachende Momente.", so sieht es auch Thorsten aus Oldenburg. "Mensch geht durch eine Kleinstadt wie Dannenberg und an nahezu jedem zweiten Haus hängt ein Plakat: "Wir lassen unsere Gäste nicht im Regen stehen" welches uns dazu einladen möchte, in diesem Haus zu schlafen. Außerdem waren in der Region die Kirchen offen -für viele wahrscheinlich ein völlig neuer Zugang zur Kirche- unter dem Kreuz lag eine rote Fahne und rundherum schliefen ca. 200 Menschen. Irgendwo etwas zu essen zu bekommen, war kein Problem. Wenn mensch gewollt hätte, hätte er/sie sich den ganzen Tag mit leckeren Sachen durchfressen können. Allein die Lunchpakete, die es in Dannenberg auf dem Marktplatz gab, sahen aus, wie von Oma mit Liebe gemacht. Mit selbstgebackenem Kuchen, Joghurt... "Na, min Jong, Du solls ja nu auch nich hungern..." - "Die Utopie leben" ein wenig von dieser Utopie wird im Wendland immer wieder Realität."

Neue Gruppe in Oldenburg

Die Erlebnisse im Wendland werden so manchen noch eine Weile beschäftigen. Wenn der nächste Castor rollt, werden sich wieder viele Menschen quer stellen. Und nicht nur im Wendland heißt es "Nach dem Castor ist vor dem Castor!", sondern auch in Oldenburg, wo sich ausgehend von den Aktionen im Wendland eine neue Anti-Atom-Gruppe gründet, denn auch durch Oldenburg rollen Castortransporte. Nähere Informationen hierzu bei der Öko-AG im AStA und in der nächsten STACHEL-Ausgabe.

JE

 

 
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