Oldenburger STACHEL Nr. 243 / Ausgabe 6/03      Seite 1
 
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Die Plünderung der irakischen Museen

Die USA führen Krieg gegen Kultur und Geschichte

Durch die Plünderung der irakischen Museen und der Nationalbibliothek wird ein großer Teil des kulturellen Erbes des Irak zerstört. Das ist ein historisches Verbrechen, für das die Bush-Regierung verantwortlich ist.

Die US-Behörden waren wiederholt über die möglichen Schäden an unersetzbaren Kunstwerken durch amerikanische Bomben und Raketen oder durch die unsicheren Verhältnisse nach dem Krieg und der Absetzung der irakischen Regierung gewarnt worden. Aber sie haben nichts unternommen, um dies zu verhindern. Ihre Untätigkeit stellt eine grobe Verletzung des Haager Abkommens zum Schutz von Kunstschätzen im Krieg von 1954 dar, das angesichts der Plünderungen der Nazis im besetzten Europa während des Zweiten Weltkriegs verabschiedet worden war.

Mindestens 80 Prozent der 170.000 verschiedenen Objekte des Nationalmuseums des Altertums in Bagdad wurden während der Plünderungen nach der militärischen Besetzung der Stadt gestohlen oder zerstört. Das Museum besaß die größte einzelne Sammlung von Materialien aus den antiken Zivilisationen Mesopotamiens, einschließlich derer von Sumer, Akkadia, Babylonien, Assyrien und Chaldäa. Es enthielt außerdem Kunstwerke aus Persien, dem antiken Griechenland, dem Römischen Reich und verschiedenen arabischen Dynastien.

Das Museum besaß die Tafeln mit den Gesetzen Hammurabis, dem wahrscheinlich ältesten Gesetzeswerk der Welt, und Texten in Keilschrift, die ältesten bekannten schriftlichen Dokumente - Epen, mathematische Abhandlungen, historische Berichte. Eine ganze Bibliothek von Tontafeln war noch nicht entziffert oder erforscht. Es scheiterte teilweise daran, daß die von den USA durchgesetzten Sanktionen Reisen in den Irak beschränkten.

Die 5000 Jahre alte Alabastervase von Uruk enthält die älteste bekannte Beschreibung eines religiösen Rituals. Das aus Stein gemeißelte Gesicht ist eines der ältesten überlieferten Beispiele für eine figürliche Darstellung. Der älteste Kupferabguß der Welt, die Büste eines akkadischen Königs, datiert von 2300 vor Christus.

Ein anderer unersetzlicher Verlust ist durch den Brand der nahegelegenen Nationalbibliothek entstanden, die Zehntausende alter Manuskripte und Bücher enthielt, dazu Zeitungen vom Osmanischen Reich bis zur Gegenwart. Die Leseräume und Magazine sind nur noch rauchende Ruinen.

Ironischerweise besteht die einzige Hoffnung, daß einige der archäologischen Schätze überlebt haben könnten, darin, daß sie möglicherweise vor dem Krieg aus dem Museum entfernt worden sind, um in der einen oder anderen Residenz Saddam Husseins und seiner Familie ausgestellt zu werden. Eine große Sammlung von Kunstgegenständen aus Gold war aus Sicherheitsgründen in der irakischen Zentralbank untergebracht worden, aber auch dieser Ort wurde geplündert und gebrandschatzt.

US Vertreter ignorierten Warnungen

Die Behauptungen der USA, von den Plünderungen der kulturellen Einrichtungen in Bagdad, Mosul und anderen irakischen Städten überrascht worden zu sein, sind alles andere als glaubwürdig. Eine derartige Tragödie war nicht nur voraussehbar, es gab auch einschlägige Warnungen davor. Im Januar dieses Jahres besuchte eine Delegation von Wissenschaftlern, Museumsdirektoren und Kunstsammlern das Pentagon und erklärte die Bedeutung des irakischen Nationalmuseums und anderer kultureller Orte. Einer der Teilnehmer berichtete der Washington Post : "Wir warnten sie, daß die größte Gefahr die der Plünderungen sei, und ich hatte den Eindruck, daß sie verstanden hatten, daß das Nationalmuseum die wichtigste archäologische Stätte im ganzen Land sei. Dort befinden sich Exponate aus allen Teilen des Landes."

Das Archäologische Institut von Amerika rief "alle Regierungen" auf, Kulturstätten zu schützen, und es scheint so, als ob die irakische Regierung diesen Aufruf viel ernster genommen hat als die amerikanische oder die britische Regierung. Nach den Plünderungen infolge des Golfkriegs von 1991 hatte die irakische Regierung Gesetze verabschiedet, nach denen der Export historischer Kunstgegenstände beschränkt wurde.

Im Irak haben die Bemühungen um die Geschichte und das kulturelle Erbe eine lange Tradition. Schon in den 20er Jahren, bald nachdem die nationale Unabhängigkeit erreicht war, verlangte die irakische Regierung, daß im Museum Akten über alle "Ausgrabungen" angelegt werden. In jüngerer Zeit musste das gesamte ausgegrabene Material dem Museum zur Katalogisierung vorgelegt werden. Es wurde dadurch zum zentralen Ort für alle derartigen Forschungsarbeiten im ganzen Land.

Als der amerikanische Angriff auf Bagdad drohte, trafen Vertreter des Nationalmuseums Vorbereitungen, um ihre unschätzbaren Sammlungen zu sichern. Einige Objekte brachten sie an geheime Orte und den größten Teil der Sammlung in sichere Gewölbe unterhalb des Gebäudes, die durch dicke Schichten von Mauerwerk und Zement vor Bomben geschützt waren. Die Teile, die zu groß waren, um sie aus den Ausstellungsräumen wegzutransportieren, wurden sorgfältig eingewickelt.

Aber die Plünderer stahlen oder zerstörten alles in diesen Räumen und brachen dann in die unterirdischen Gewölbe ein und raubten sie aus. Sie zerstörten auch den Kartenkatalog und das Computersystem des Museums.

Das Pentagon war nicht nur im Voraus über die mögliche Bedrohung für das kulturelle Erbe des Irak informiert, das US-Militär erhielt auch unmittelbare Hilferufe, als die Plünderungen des Nationalmuseums begannen. Ein irakischer Archäologe, Ra'id Abdul Ridhar Mohammed, berichtete der New York Times, er sei auf dem Museumsplatz direkt auf eine Gruppe von Marines auf einem Abrams Panzer zugegangen, der sich nur ein paar hundert Meter vom Museum entfernt befand, und habe sie gebeten, das Plündern zu stoppen.

Die Marines gingen in das Museum und vertrieben die erste Gruppe von Plünderern, verließen den Ort aber nach 30 Minuten. "Ich bat sie, ihren Panzer auf dem Museumsgrundstück zu platzieren", erklärte Mohammed der Times, "aber sie weigerten sich und zogen ab." Weiter sagte er: " Ungefähr eine halbe Stunde später kamen die Plünderer zurück und drohten mich zu töten oder den Amerikanern zu sagen, ich sei ein Spion von Saddam Husseins Geheimdienst, so daß sie mich töten würden. Da bekam ich Angst und ging nach Hause."

Der Archäologe fügte hinzu: "Die Identität eines Landes, sein Wert und seine Zivilisation liegen in seiner Geschichte. Wenn die Zivilisation eines Landes geplündert wird wie jetzt unsere, dann endet seine Geschichte. Bitte, teilen Sie dies Präsident Bush mit. Bitte, erinnern Sie ihn, daß er versprochen hat, das irakische Volk zu befreien, aber dies ist keine Befreiung, dies ist eine Erniedrigung:"

Die Politik der kulturellen Zerstörung

Es gibt unmittelbar kommerzielle Gründe für die Bush-Regierung, die Plünderung der Kulturschätze Iraks zuzulassen. Nach einem Bericht vom 6. April im Sunday Herald, einer schottischen Zeitung, befanden sich unter denjenigen, die sich im Pentagon im Vorfeld des Krieges trafen, auch Vertreter des Council for Cultural Policy (ACCP), einer Lobbygruppe reicher Kunstsammler und -händler, die versucht hat, eine Lockerung des strikten Ausfuhrverbots des Irak für Kunstgegenstände durchzusetzen.

Der Kassenwart der Gruppe, William Perlstein, hat die "Zurückhaltepolitik" des Irak kritisiert und erklärt, daß er die Nachkriegsregierung drängen wolle, die Ausfuhr von Kunstgegenständen in die Vereinigten Staaten zu erleichtern. Die Gruppe hat auch versucht, das US-Gesetz (Cultural Property Implementation Act) zu revidieren, nach dem der internationale Handel mit kulturellen Gütern und Antiquitäten geregelt ist. Nach einem Pressebericht hat die "Nachricht von dem Treffen der Gruppe mit der Regierung Wissenschaftler und Archäologen alarmiert, die fürchten, daß die ACCP einen geheimen Plan ausheckt, der die US-Behörden dazu bringt, die Beschränkungen für die Ausfuhr irakischer Kunstschätze nach einem Sieg der Koalition zu erleichtern."

Die Los Angeles Times berichtete am 15. April, daß ein Sammler aus Nordkalifornien "vor dem Krieg heimlich kontaktiert worden war und den Tipp erhielt, daß bald irakische Antiquitäten auf den Markt kommen würden. Er vermutete, daß die Diebe nach einem Plan handelten, aber ein derartiges Vorhaben sei noch nicht aufgedeckt worden."

Eine Gruppe von Millionären mit einer Vorliebe für orientalische Kostbarkeiten zu befriedigen, würde dem Charakter der Bush-Regierung durchaus entsprechen. Viel wichtiger für die herrschende Elite Amerikas ist jedoch der politische Wert der Zerstörung der Sammlungen der irakischen Geschichte und Kultur.

Das Ziel der militärischen Besetzung des Irak durch die USA ist die Errichtung einer Art Kolonialherrschaft über das Land und die Kontrolle seiner großen Ölreserven. Es dient den Interessen des amerikanischen Imperialismus, den Irak zu demütigen, seine Bevölkerung den Vereinigten Staaten zu unterwerfen und ein Marionettenregime in Bagdad zu errichten. Das kulturelle Erbe anzugreifen, das das irakische Volk mit 7000 Jahren seiner Geschichte verbindet, ist Bestandteil des systematischen Zerstörungsprozesses seiner Identität.

Das tragische Ergebnis ist, daß Kunstschätze, die sogar den Raubzug der Mongolen im 13. Jahrhundert in Bagdad überdauert haben, der Zerstörungstechnologie des 20. Jahrhunderts und der imperialistischen Barbarei nicht standhalten konnten. Bush, Rumsfeld und Co. sind die Personifikation der neuen Barbaren: ein "Führer", der selbst ein halber Analphabet ist und sich in religiöser Rückständigkeit ergeht, und eine Regierung, die großenteils aus ehemaligen Firmenbossen besteht, für die ein Kunstwerk aus dem antiken Sumer nur als Mittel zur Steuerersparnis zählt und nicht als Schlüssel zur Geschichte und kulturellen Entwicklung der Menschheit.

Von Patrick Martin, 22. April 2003

aus dem Englischen (16. April 2003)

Siehe auch:

Wie und warum die Vereinigten Staaten Plünderungen im Irak förderten (18. April 2003) http://wsws.org/de/2003/apr2003/irak-a18.shtml

Anm. d. Red: Es mehren sich die Stimmen, daß die ersten Plünderungen durch US-amerikanische Soldaten vorgenommen wurden.

 

 
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