Oldenburger STACHEL Ausgabe 2/96      Seite 7
 
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Brandkatastrophe in Lübeck

In der Nacht vom 17. auf den 18. Januar brannte in Lübeck ein Wohnheim für ImmigrantInnen. Es gab 10 Tote und 38 Verletzte.

Wer die TäterInnen waren ist bis heute (30.1) nicht geklärt, für die öffentliche Reaktion und für die Reaktion der PolitikerInnen scheint es von sehr großer Bedeutung zu sein.

Zuerst waren 3 (oder 4) Männer in der Nähe des Brandortes aufgefallen, und wurden später festgenommen. Nachdem sie ein Alibi vorgewiesen konnten, wurde sehr schnell ein neuer Verdächtiger gefunden: ein Libanese, der selber mit seiner Familie in diesem Haus wohnte.

Dieser soll zu einem Feuerwehrmann gesagt haben " wir waren es". Er selber bestreitet die Tat, und sein Anwalt erklärte, daß er gesagt habe, "die waren es". Warum der Verdächtigte sich selber und seine ganze Familie in Lebensgefahr gebracht haben soll, bleibt Spekulationen überlassen. Die Motive, die von den ErmittlerInnen an die Öffentlichkeit gebracht wurden, scheinen es an den Haaren herbeigezogen zu sein: ein Konflikt mit einem weiteren Hausbewohner hätte stattgefunden. Der "Hausbewohner" sagte dann allerdings vor laufenden Kameras aus, es habe keinen Streit gegeben, und außerdem habe er gar nicht in dem Haus gewohnt. Danach hieß es Eifersucht sei das Tatmotiv gewesen. Schließlich folgte die Nachrichtensperre, angeblich um die ErmittlerInnen vor dem Druck von Presse und Medien zu schützen. Allerdings war bei Bränden in ImmigrantInnenwohnhäusern schon zu oft von technischen Ursachen ohne fremdenfeindlichen Hintergrund die Rede, um nicht mißtrauisch zu sein, und sich zu fragen, ob Nachrichtensperren nicht auch zum Totschweigen dienen.

Lichterketten gegen Hausanzünder?

Am ersten Tag nach dem Brand verkündete Bundespräsident Roman Herzog, daß, wenn der Brand durch einen Anschlag entstanden sei, ihm langsam die Geduld zu Ende gehe, daß er zu Lichterketten aufrufen werde, und daß er sich fragen werde, ob genug für die öffentliche Sicherheit getan werde. Als dann der Verdacht verkündet wurde, daß der Brand aus dem Innern des Hauses gelegt wurde, hatte man sich mit der Vermutung eines rechtsextremen Anschlages plötzlich zu weit aus dem Fenster gelehnt und "Hysterie" geschürt. Besonders traf dieser Vorwurf Lübecks Bürgermeister Boutellier. Es wurde viel berichtet vom weinenden Bürgermeister der "angesichts der Opfer aus der Amtsrolle gefallen" (Die Zeit, 25.1.96) sei, emotional auf die Katastrophe reagiert hatte, und sich so zu nicht amtsgemäßen Aussagen hinreißen ließ. Boutellier forderte die Schließung der zentralen Zwangslager zugunsten von dezentralen Wohnmöglichkeiten, und daß ImmigrantInnen, die vor 1993 (also vor der faktischen Abschaffung des Asylrechts) ins Land gekommen sind, generell das Recht bekommen sollen, im Land zu bleiben. Das Ungeheuerlichste war wohl der Aufruf mit zivilem Ungehorsam Abschiebungen zu verhindern. Nur schade, daß Boutellier ihn relativierte, indem er sagte, er wolle so nur die von der Brandkatastrophe betroffenen Menschen schützen. Trotzdem droht ihm nun ein Diziplinarverfahren. Emotionen und Betroffenheit passen nicht zur deutschen Asylpolitik, wo Menschenrechte, Menschenwürde und sogar Menschenleben wenig zählen. Wer hier mitspielt darf kein Gefühl zeigen, darf nicht die Schicksale einzelner Menschen an sich heranlassen.

Und warum sind 10 tote und 38 verletzte Menschen besser zu ertragen, wenn die MörderInnen keine Deutschen sind?

Es geht also gar nicht so sehr um die Opfer der Katastrophe, sondern eher um das Ansehen von Deutschland im Ausland, und um den Erhalt des guten Gewissens?!

Es gilt den Schein zu wahren, Deutschland sei ein "ausländerInnenfreundliches" Land. Gewalttätige Rechtsradikale sind nur wenige "verwirrte" Jugendliche, und wenn es Anschläge gibt, muß eben verstärkt Polizei vor den Wohnheimen aufpassen (auf wen hier besser aufgepaßt werden soll, auf rechtsradikale BürgerInnen oder auf ImmmigrantInnen, ist allerdings die Frage). Dies und Lichterketten sind die Vorschläge Roman Herzogs zur Verhinderung von rassistischen Übergriffen?! Im Schein der Lichterketten kann Deutschland seine Betroffenheit und "AusländerInnenfreundlichkeit" beweisen, ohne daß rassistische Asylpolitik und "Ausländer"gesetzgebung hinterfragt werden muß. Verdeckt werden soll dabei einiges: Die sichtbare rassistische Gewalt kann nicht so gut vertuscht werden, wie die rassistische strukturelle Gewalt in Bürokratie und Gesetzen, die tagtäglich ImmigrantInnen trifft, ohne daß ihre Schicksale von öffentlichem Interesse sind. 10 tote Menschen auf dem Bildschirm lassen uns aufschrecken, den Blick tiefer in die wirkliche Situation von ImmigrantInnen ersparen wir uns. Wie viele Menschen werden von Deutschland aus per Abschiebung in den Tod geschickt oder bringen sich vorher im Abschiebeknast selber um? Ausgehend von den Sondergesetzen ist die Situation unerträglich geworden. Angefangen bei der Isolierung und Ghettoisierung in Zwangslagern über unzureichende Versorgung bei Krankheiten, Sachleistungen statt Bargeld bis hin zu chancenlosen Asylverfahren, zu Illegalisierung und Kriminalisierung, rassistischen Übergriffen der Polizei/Medien und NormalbürgerInnen, zu Abschiebeknästen, Trennungen der Familien, Abschiebung in Klebeband verpackter Menschen gehen die legalen Grausamkeiten. - Das ist Deutschlands wahres "ausländerInnenfreundliches" Gesicht.

Rassismus nur am Handeln der Rechtsradikalen festzumachen, bedeutet die Verdrängung der tatsächlichen Situation von ImmigrantInnen, und eine Reduzierung auf ein "gut-böse Schema", was die wirklichen Ursachen des Rassismus unhinterfragt läßt.

Zu hoffen bleibt, daß all die Menschen , die erschrocken aufgestanden sind, jetzt, da es scheinbar kein rechtsradikaler Anschlag war, nicht wieder in ihre Sessel zurückfallen, und sich ihre Solidarität nicht von den Medien als Hysterie vertreiben lassen.

Imke und Julia


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