Oldenburger STACHEL Ausgabe 6/96      Seite 1
 
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Der "Baron" darf nie wieder Hühner regieren

Zu Anfang des Jahres wurde in Oldenburg gewitzelt über Pohlmann-Eier, die neuerdings in der Rauchertherapie an Stelle von Nikotinpflastern eingesetzt würden.

Die Rede war von Anton Pohlmann (57), seinerzeit Eigentümer von Hühner- und Eierfabriken, eines Imperiums vorwiegend in Nordwestdeutschland (das größte Europas) und den USA. Nach Weihnachten logierte er gemeinsam mit seinem Sohn Stefan (26) im "Hotel an der Hunte". (Für Neuoldenburger: Das Gerichtsgefängnis, in denen beide in Untersuchungshaft saßen)

Zwischenzeitlich hatte der "Hühnerbaron" sein deutsches Imperium versilbert - die Rede war von 300 Millionen DM - bzw auf Familienangehörige übertragen. Unter anderem deshalb sah die Justiz eine erhebliche Fluchtgefahr und ließ die zwei erst, nachdem sie eine Kaution über insgesamt sieben Millionen DM hinterlegt hatten, aus dem Gefängnis. In diesen Käfig sperrte man sie wegen des Verdachtes, daß sie in ihren Hühnerställen auf allzu rabiate Art für Reinlichkeit gesorgt hatten.

Vom Hühnerbaron zum wirklichen Grafen?

Hinter schwedischen Gardinen lernte Anton Pohlmann einen - verarmten - Grafen von echtem alten Adel (41) kennen. Wie es sich gehört bedachte der "Baron" den höherrangigen Adligen mit Aufmerksamkeiten wie Tageszeitung, Pizza und Schokolade. Der Graf berichtete, Anton Pohlmann habe ihn ersucht, daß er - der Graf - den Hühnerbaron gegen einen gewissen Betrag adoptiert, damit beide ein neues Leben beginnen können, der eine mit frischem Geld, der andere unter neuem edlen Namen. Heute wolle Anton davon jedoch nichts mehr wissen.

Die Anklage

Es liegt auf der Hand, daß bei den "Haftbedingungen", unter denen das liebe Federvieh in den modernen Hühnerfarmen leidet, es mit dem Einsatz eines Besens nicht getan ist. Hilfreich sind in diesem Fall chemische Keulen, z.B. Nikotinsulfat, erlaubt zur Desinfektion leerer Ställe. Wohl im Bestreben die "Hühnernebenhaltungskosten" energisch zu senken, hatte der Senior laut Anklage die Hühner selbst in den Genuß des Tabakgiftes kommen lassen, indem er die Vögel mit einer Nikotinlösung duschen ließ, um schließlich die Verbraucher mit nahezu sieben Millionen Goldhuhnnikotinfrischeiern zu versorgen. Weiterhin durfte sich das Federvieh an Futter gütlich tun, das mit dem ätzenden Desinfektionsmittel "Virkon S" (eine Kombination von Wein- und Apfelsäure) versetzt war. Also Verstoß gegen das Tierschutz-, Arzneimittel und das Lebensmittelgesetz. Außerdem, vier Personen sei die Arbeit in den Ställen durch unfreiwilligen Nikotingenuß - der Einsatz des Sulfats war geheime Chefsache - nicht gut bekommen. Der Jurist nennt das "gefährliche Körperverletzung mit bedingtem Vorsatz".

Erste Runde : Punktsieg für die Pohlmanns Am ersten Verhandlungstag wurde der spektakulärste von den insgesamt einunddreißig Anklagepunkten verhandelt: Ein Arbeiter (28) war im März 1995, nachdem er Legebatterien mit Nikotinsulfat besprüht hatte, zusammengebrochen. Die herbeigerufenen Stefan und Anton Pohlmann - so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft - hätten wenig Eile gehabt den unwissenden Mitarbeiter ins Krankenhaus zu bringen und die Ärzte über die Art des Giftes aufzuklären: "Gefährliche Körperverletzung" und "Unterlassene Hilfeleistung".

In der Verhandlung räumten beide Angeklagte nach einigem Zögern ein, daß sie zu lange gewartet hatten, bis Stefan P. den Mitarbeiter ins Krankenhaus fuhr. - Ein Gutachten ließ keinen Zweifel daran, daß das für den Verletzten offensichtlich lebensbedrohlich war.

Der Thronfolger wußte von nix

Hinsichtlich der Körperverletzung jedoch trug Stefan, - damals Praktikant in dem Unternehmen und heute in der Geschäftsführung der bayerischen Hühnerfarmen - vor, sein Vater habe ihn erst angesichts des sich ständig erbrechenden Mitarbeiters über das Nikotinsulfat aufgeklärt. Dem Krankenhaus hätte er nichts genaues sagen sollen, erst einige Stunden später nach einem Anruf des Krankenhauses habe er sich entschlossen, mit der giftigen Wahrheit herauszurücken.

Der Hühnerbaron bestätigte die Angaben seines Thronfolgers. Das Abkratzen der Warnhinweise von den Behältern habe er selbst in dem Wissen veranlaßt, daß das Besprühen der Hühner ungesetzlich sei. Stefan habe nichts gewußt, obwohl dieser die Nikotinbehälter gesehen habe. Stefan sei ein "Eierverkäufer", ein "Sonnyboy", an der Eierproduktion völlig desinteressiert, man habe sich abends darüber unterhalten, in welche Disko es ginge, in Sachen Nikotinbesprühung sei sein Sohn also die Unschuld in Person, ehrlich....

Ein Zeuge, der sich zu wichtig machen wollte

Das Gericht mochte dem nicht ohne weiteres Glauben schenken. Um eine überraschend schnelle Wende zugunsten insbesondere des Juniors machte sich der vergiftete Mitarbeiter, Hauptbelastungszeuge und Nebenkläger, verdient. Die Kommunikation zwischen ihm, dessen Muttersprache nicht deutsch ist, und dem Gericht hakte ein wenig. Schließlich hielt ihm das Gericht vor, daß seine Aussagen hinsichtlich dessen, ob und wann er über das Nikotinsulfat Bescheid gewußt und inwiefern er Schutzkleidung und Gasmaske getragen habe, widersprüchlich zu vorherigen eigenen und fremden Auskünften erscheine.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ließ das Gericht daher die Anklage in Sachen Körperverletzung dieses Zeugen fallen. Ob sie diesen "als Lügner entlarvt" (so eine Überschrift in der Presse) sah, mag dahinstehen. Vielmehr erweckte er in der Vernehmung den Eindruck, er wisse selbst nicht mehr recht, was er redete, wohl weil er vorher in jedes Mikrofon, das ihm vor die Nase gehalten wurde, bereitwilligst gesprochen hatte. Die beiden Starverteidiger mußten sich von daher nicht groß ins Zeug legen. Nach allem hellten sich die anfangs doch sehr nachdenklichen Mienen der Angeklagten merklich auf.

Zweite Runde: Hoher Punktsieg für die Anklage

In den beiden anderen Verhandlungstagen stand zum einen der Einsatz von "Virkon S" und Nikotinsulfat zur Debatte. Anton Pohlmann machte die Zwänge der Großhühnerhaltung und des Tierschutzes geltend. Tierschutz? Nun, er habe seine geliebten Hühner von dem entsetzlichen Leiden unter Milben und Salmonellen schnell befreien wollen. Die legalen Mittel seien weniger effektiv, ein erfolgsträchtiger Impfversuch habe wegen Entziehung der Genehmigung abgebrochen werden müssen.

Goldhuhnnikotinfrischei

Soweit die Eier mit Nikotin angereichert wären, sei dies kein Grund zur Aufregung, in gleicher Dosierung könne der Verbraucher es auch mit handelsüblichem Brot und Gemüse einnehmen. Schließlich sei heutigen Tages "natürliche" Schädlingsbekämpfung angesagt, alle Mittel seien ausgesprochen "natürlich". (Sind nicht auch der Knollenblätterpilz und Blausäure ein Geschenk der Natur?)

Der Staatsanwalt erlaubte sich den Hinweis, daß in Deutschland jedenfalls die Mittel in der besagten Weise ebensowenig zugelassen seien wie Nikotin als Eierzusatzstoff. Da sie weniger oft als die legalen eingesetzt werden müßten, habe der Angeklagte Arbeitskraft eingespart und die Legeleistung höher gehalten. - Dem konnte selbst ein exzellenter Verteidiger wie Gerhard Strate (er vertritt auch Monika Weimar) nichts entgegensetzen.

Es stinkt nach Körperverletzung

Ein anderer Verhandlungspunkt war die Vergiftung zweier Tierärzte und einer Reinigungsfachkraft, die in Pohlmannställen zu tun hatten. Dem Tierarzt, der mit den Händen Stalleinrichtungen geprüft hatte, war einige Stunden später "schwarz vor Augen" geworden, so daß er kaum stehen konnte. Ein rechter Reim darauf sei ihm erst möglich gewesen, als er von dem Nikotinsulfalt gehört und sich fachkundig gemacht habe. Auf das Tage zuvor zulässig verspritzte Formalin seien seine Beschwerden - entgegen einer Idee der Verteidigung - mit Sicherheit nicht zurückzuführen. Die Reinigungsfachkraft, erfahren im Umgang mit Nikotinsulfat, bezeugte ebenfalls Vergiftungserscheinungen, die der Mann auf das Tabakgift zurückführte. Schließlich die Aussage eines ehemaligen Farmleiters: Er habe eine braune, nach Nikotin stinkende Flüssigkeit im Stall verspritzt.

Das Gericht meinte jedoch, ohne wissenschaftliche Bestätigung seien letzte Zweifel an der Ursächlichkeit des Nikotins für die gesundheitlichen Beschwerden nicht auszuschließen. Die Staatsanwaltschaft ließ zur Vermeidung einer Verfahrenverzögerung und weil die restlichen Punkte für eine ausreichende Strafe reichten, auch hier den Vorwurf einer gefährlichen Körperverletzung fallen. Verfahrensökonomisch verständlich, in der Wirkung für die Öffentlichkeit aber problematisch, wenn wie hier ein so gravierender Verdacht einer erheblichen Köperverletzung ungeklärt im Raum bleibt.

Das Urteil

Das Verfahren gegen Stefan P stellte das Gericht gegen die Zahlung einer Geldbuße von DM 100.000 ein.

Das Urteil gegen Anton Pohlmann: Zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung, die Zahlung eines Betrages von insgesamt DM 3.100.000 (1.100.000 weniger als die Anklage beantragt hatte) und - ein lebenslängliches Verbot gewerblicher Tierhaltung.

Das Urteil besagt allerdings nicht, daß Anton Pohlmann nunmehr sein bescheidenes Restvermögen in Ruhe genießen kann. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg ermittelt gegen ihn noch wegen Lohnsteuerhinterziehung, Beitragsvorenthaltung und illegaler Beschäftigung von Arbeitnehmern. Die bayrischen Behörden hegen den Verdacht des Einsatzes von Nikotinsulfat und übermäßiger Hühnerverdichtung auch in dortigen Farmen des Clans.

Nachbetrachtung, wer nun hat Schuld an den Bedingungen, unter denen unsere Eierleger heutigen Tages vegetieren? Ist es der Verbraucher, also "wir alle", die wir nicht mehr als 18 Pfennig für ein Ei hinlegen wollen? Mit dem Gestus einer bedeutsam kritischen Einsicht ist diese Meinung weit verbreitet , was natürlich die Verteidigung nutzen wollte. Sicherlich, es schmeichelt dem Verbraucher, wenn ihm so indirekt eine gewisse Macht attestiert, und er nicht als das dargestellt wird, was er ist: Ein zu rupfendes Huhn, das sauer erschwitztes Geld für oft minderwertige, auf problematische Art hergestellte Ware ausgeben muß.

Verbraucher als Beruf

Im allgemeinen wird dem Verbraucher vorgerechnet, wie gut es ihm geht, wie wenig er heutzutage für ein Brot, ein Paar Schuhe, für zehn Eier arbeiten muß. Dabei werden natürlich keine Öko-Produkte zugrunde gelegt. Auch die Art und Weise der Herstellung wird ihm nicht gerade aufs Auge gedrückt, Pohlmann hätte sonst nicht unter "Goldhuhn", sondern unter "Knasthuhn" firmieren müssen. Und wenn ich nur freilaufende Eier beziehe, was ist mit denen in Kuchen, Spaghetti und Eis? Kurz: Ökologisch-moralisch korrekter, gesundheitsbewußter Verbraucher ist ein Hauptberuf, den sich nur Wohlhabende leisten können.

Quäle nie ein Tier zum Scherz, aber wie steht`s mit dem Erwerb? Ist die Roheit eines Anton Pohlmann, der persönlich nicht unsympathisch wirkt, schuld? Bei der Frage, ob P aus "roher Gesinnung" die Tiere gequält habe, eierten Anklage und Gericht. Verständlicherweise, denn Massentierhaltung - ob erlaubt oder nicht - ist vom Schlüpfen bis zum Tod Tier- und Menschenquälerei. "Gesundes Käfighuhn", das nicht wie ein freilaufendes den Milbenbefall durch Sandbäder in Grenzen halten kann (so die Auskunft des Instituts für Vogelforschung Wilhelmshaven), das ist ein Widerspruch in sich.

Auch quält ein Unternehmer Mensch und Tier nicht zum Spaß, sondern weil er aus Geld mehr Geld machen will; gerade unter dem Gesichtspunkt "Standort Deutschland" das ehrenwerteste Motiv, das ein Mensch nur haben kann. Der Agrarindustrielle konnte selbstgefällig darauf verweisen, daß ohne seine Art der Hühnerhaltung ausländische Eierfabriken den Markt erobert hätten. Das sonst ein anderer die üble Tat vollbracht hätte, zählt üblicherweise als billige Ausrede, aber von wegen "Wettbewerbsfähigkeit" wird sie zum kaum schlagbaren Argument. Das spricht weniger gegen P, als gegen den geistigen Zustand der Nation. Ebenso, daß er, der durch seine Wirtschaftsweise hunderte von Arbeitsplätzen in der traditionellen Landwirtschaft planiert hat, sich als Arbeitsplatzschöpfer feiern kann. Eine unmoderne Meinung: Solange Art.1 des geistigen Grundgesetzes der Nation lautet, das Prinzip "Marktwirtschaft ist ein tolles System" (Birgit Breuel), wird es Mensch und Tier "im Prinzip" nicht anders als unter der Regentschaft des Hühnerbarons ergehen. Den Pohl- zum Buhmann zu machen, ist hingegen wenig hilfreich, sondern befestigt nur die "Lebenslügen unserer Gesellschaft" (Rechtsanwalt Strate).

Klaus


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