Oldenburger STACHEL Ausgabe 9/96      Seite 6
 
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"Auge um Auge"

Zum "Tag des Flüchtlings" zeigt die Interkulturelle Arbeitsstelle IBIS e.V. den Film "Auge um Auge" von Mansour Ghadarkhah. Wir hatten bereits vor drei Jahren Gelegenheit uns diesen sehr eindrucksvollen Film im Muwi anzusehen.

"Auge um Auge" erzählt die Geschichte einer vierköpfigen Familie, die in ihrer Heimat politisch verfolgt, inhaftiert und gefoltert wurde, und jetzt in Deutschland in einem Heim für Asylbewerber lebt. Bei alltäglichen Gelegenheiten erinnern sie sich den Grausamkeiten, die sie erlebt haben. Der Vater hat Tabletten verschrieben bekommen, die älteste Tochter hat die erste Zeit jede Nacht vor Alpträumen nicht schlafen können. Zwar sind sie dem Grauen entkommen, jedoch werden sie immer wieder von ihren schlimmen Erlebnissen geplagt. Die verübten Gewaltanschläge von Skins und die Ablehnung seitens der Bevölkerung machen ihnen Angst. Schlagartig bekommt die Vergangenheit Aktualität, als der Vater den Folterer seiner Familie eine Straße in Deutschland überqueren sieht.

Eindrucksvoll beschreibt der Film die Entwicklung der Gefühle der einzelnen Familienmitglieder und ist durch die Einarbeitung der Gewaltanschläge hochaktuell, obwohl das Drehbuch schon kurz nach dem ersten großen Gewaltanschlag in Hoyerswerda vor vier Jahren fertig war.

Wegen Zensur erst jetzt im Kino

Ursprünglich war geplant, den Film auf der damaligen Berlinale zu zeigen, zu der Zeit, als die Brandanschlagsserie begann. Das wurde aber mit aller Kraft verhindert. Der Film gehöre ins Archiv, nicht auf die Leinwand, sei besonders von linken Leuten in der Filmbranche zu hören gewesen, erzählte der Regisseur Mansour Ghadarkhah in der Gesprächsrunde nach der Oldenburger Erstaufführung am 1. Oktober 1993. Er habe die Erfahrung gemacht, daß es viele Leute gebe, die sich links gäben, doch in ihren Köpfen rassistische Gedanken hätten und sich als erstes hinter die Scharfmacher stellten, wenn es soziale und politische Spannungen gibt.

Alles ist politisch - alles ist menschlich

"Auge um Auge" zeigt weniger das politische und soziale Spannungsgefüge, mit denen Asylbewerber zu täglich konfrontiert sind, sondern schwerpunktmäßig die Emotionen der Menschen. "Alles ist zugleich menschlich und politisch", argumentiert der Regisseur, der vor neun Jahren einen Dokumentarfilm zum Thema Folter und Flucht drehte und dabei von vielen Betroffenen ihre Erlebnisse geschildert bekam. Das Schicksal der Charaktäre in "Auge um Auge" stelle eine Mischung dieser Erlebnisse dar.

Der Film solle ein Unterhaltungsfilm sein, mit Emotionen und Spannung und zugleich mit dem Anspruch, Vorurteile abzubauen. Mit einer Lebensgeschichte könne sich ein Publikum leichter identifizieren, als in einem Dokumentarfilm, der nur Fakten darstelle, meinte M. Ghadarkhah. Es sollen mit dem Film alle Leute erreicht werden und nicht nur solche, die sich sowieso schon mit dem Thema befassen. Die Tür vor rechten Leuten zuzuschlagen wäre hier der falsche Weg. Um Gefühle besser näherzubringen und keine Sprachbarrieren aufzubauen, wählte der Regisseur akzentfreies Deutsch als Kommunikationssprache. Untertitel könnten das nicht leisten, zumal deutsches Publikum diese nicht gewohnt sei, anders als z.B. Niederländer.

Die Gewalt real werden lassen

Der Film soll unter die Haut gehen - und das macht er. Alle, die das Drehbuch lasen, seien der Meinung gewesen, daß er zu hart sei, obwohl er nur einen kleinen Teil der realen Grausamkeit von Verfolgung, Folter und Erinnerungen daran wiederspiegelt. M. Ghadarkhah will, daß das Publikum die Gewalt spürt in der Hoffnung, daß das die Menschen aufrüttelt und aktiver werden läßt. Er beschrieb seine Intention so: "Ich habe in Euer Herz eingegriffen. Ich halte das nur begrenzt für erlaubt. Ich wollte schneiden wie ein Chirurg - Euch den Tumor entfernen, den Tumor, Menschen zu töten und Anschläge zu verüben" und appellierte, nicht zu schweigen, denn Schweigen ist Verbrechen.

Wer die Gelegenheit hat, sich diesen Film anzusehen, sollte sie nicht verpassen. Wie aus Gesprächen mit anderen Kinobesuchern hervorging, wird dieser Film sehr unterschiedlich erlebt, was ihn, wie ich finde, noch interessanter macht. Aufgeführt wird er am Freitag, dem 4. Oktober, um 18 Uhr im PFL in der Peterstraße 3.

muh


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