Oldenburger STACHEL Ausgabe 9/97      Seite 17
 
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Verwirrendes

Die neue Freiheit der Gene

Es muß schon lange her sein, daß - wenn überhaupt - die Kommission der Europäischen Union, vertreten durch ihren deutschen Kommissar (und Ex-Wirtschaftsminister) Martin Bangemann(FDP) und die Umweltorganisation GREENPEACE einmal einer Meinung gewesen sind. Dies ist jetzt beim Thema Verbraucherschutz der Fall. Es ging um das Thema "Kennzeichnung spflicht für genmanipulierte Lebensmittel. Bangemann vertritt die These, daß "zu viele Informationen die Verbraucher verwirren"und begründet damit seine Ablehnung einer generellen Kennzeichnungspflicht für alle genmanipulierten Lebensmittel.Die "Verwirrungsthese" wurde von Greenpeace aufgegriffen - allerdings, um die Ablehnung der sog. Novel Food Verordnung der EU zu begründen, die seit Mai diese Jahres gilt. Sie trage "mehr zur Verbraucherverwirrung als zur Verbraucheraufklärung" bei und sei deshalb "völlig unzureichend". In der Tat - nicht einmal die Verbraucher-Zentrale blickt momentan noch durch, welche Produkte nun unter die neue EU-Kennzeichnungspflicht fallen und welche nicht. Entsprechende Handlungsanweisungen in Form von Durchführungsvorschriften, was genau gekennzeichnet werden muß und wie das zu geschehen hat, stehen noch aus. Es ist im übrigen gar nicht so unwahrscheinlich, daß diese, wenn sie denn vorliegen, in Punkto Klarheit und Übersichtlichkeit den Vergleich mit dem deutschen Steuerrecht nicht zu scheuen brauchen. Das liegt dann an der Vielzahl der "Spezialfälle" und Ausnahmeregelungen, welche das finanzielle Risiko für die großen Herstellerfirmen von vornherein auf dem niedrigsten Niveau halten sollen. Greenpeace und die Verbraucherverbänd e bevorzugen deshalb den umgekehrten Weg: Nur wer garantieren könne, daß sein Produkt GENTECHNIKFREI sei, solle dies mit einem entsprechenden Gütesiegel kennzeichnen dürfen.

Was heißt "Gentechnik-frei"?

In der laufenden Diskussion um den Einsatz der Gentechnik im Lebensmittelbereich meinen unterschiedliche Gruppen mit dem Begriff "Gentechnik-frei" verschiedene Dinge:

1.Nach der EU-Novel-Food-Verordnung gelten nur solche Produkte als gentechnisch verändert, bei denen sich "wissenschaftlich nachweisbare", also mit den gängigen Analyse- Verfahren auffindbare Unterschiede zu konventionellen Produkten feststellen lassen. Nach Expertenschätzungen sind nur rund 10 Prozent der gentechnisch veränderten Rohstoffe in Lebensmittel nach dieser Definition aufzufinden und fallen damit unter die Kennzeichnungspflicht. Bei fortschreitend em Weiterverarbeitungsgrad der Rohstoffe, z.B. durch Erhitzen, Filtrieren, usw. wird der Nachweis immer schwieriger.

2. Für den Verbraucherschutz brauchbarer ist die Garantie, daß das Produkt weder - gentechnisch hergestellte Pflanzen oder Tiere bzw. daraus gewonnene Produkte enthält, noch - mit Hilfe gentechnisch manipulierter Futtermittel produziert, noch - unter Einsatz gentechnisch manipulierter Mikroorganismen hergestellt wurde. Danach müssen z.B. auch Soja-Produkte wie Soja-Lecithin in Schokolade oder Soja-Öl oder in der Tierproduktion eingesetzte Futtermittel wie Soja-SChrot gentech-frei sein, wenn das Produkt als Gentechnik-frei gelten soll. Auch bei Mikroorganismen, z.B Bakterien- und Hefekulturen bei der Bier-, Joghurt oder Backwarenherstellung, muß Gentechnik-Freiheit zugesichert werden.

3. Umfassend ist nur eine Garantie, die den Einsatz von Gentechnik auch bei allen Lebensmittelhilfs- und -zusatzstoffen ausschließt. Darunter ist die gesamte Palette der Enzyme (z.B. Lab-Ferment für die Käseherstellung), Vitamine, Aromastoffe usw. zu verstehen, die heute bereits mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen hergestellt werden.

Infos vom Ökomarkt

Der diesjährige Ökomarkt bietet eine Fülle von Informationen zum Thema Gentechnik an. Darunter ist zum Beispiel eine Wanderausstell ung von Greenpeace (Vom Labor auf den Tisch) mit Begleitinfo. Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt wird - durch anschauliche Beispiele veranschaulicht - als gefährlicher Irrweg der Landwirtschaft dargestellt. Wer sich einmal klarmacht, in welchem Ausmaß allein unser Stoffwechsel von Mikroorganismen abhängig ist, kann sich vorstellen, was bei den unverantwortlichen Eingriffen in die Natur alles schieflaufen kann: Krankheitserreger, die gegen alle bekannten Antibiotika unempfindlich geworden sind, Insekten, die widerstandsfähig geworden sind gegen umweltfreundliche biologische Schädlingsbekämpfungsmittel - das fortwährende biologische Wettrüsten hat der Mensch noch lange nicht gewonnen. Das Herumbasteln im Genreservoir von Lebewesen kann bei dem derzeitigen, noch sehr unvollkommenen Kenntnisstand der Wissenschaft ungeahnte, lebensgefährliche Folgen haben. Sollte das der Preis dafür sein, daß einige wenige Großkonzerne mit neuen Produkten auftrumpfen können, die keines der vorhandenen - sozialen oder ökonomischen - Probleme auf dieser Erde lösen können? Daß "mehr haben" nicht automatisch auch "besser leben" heißen muß, das wußte schon der Fischer in dem bekannten Märchen vom Fischer und seiner Frau.

tog


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