Oldenburger STACHEL Ausgabe 3/98      Seite 7
 
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Antibiotika: Resistenz durch Fleisch?

Cloppenburg, Vechta und das Oldenburger Land sind Europas größte Zentren der "Fleischveredelung". "Und ewig stinken die Felder..." kommt einem Menschen leicht in den Sinn, der diese Landschaft durchfährt. Doch die Tiermastfabriken verseuchen mit ihren Unmengen an hochkonzentrierter Gülle nicht nur Boden, Grundwasser und Meere, produzieren minderwertiges Fleisch mit gesundheitsschädli chen Beigaben auf schrecklich tierquälerische Art und Weise; sie scheinen auch mit unheilvoller Wirkung daran mitzuarbeiten, daß sich in Europa immer mehr Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln. Breiten sich diese weiter aus, würde das bedeuten, daß den Menschen die einzigen Hilfsmittel gegen viele tödliche Krankheiten genommen werden.

Oldenburg ist DER Hafen, aus dem die Tiermastfabriken in der Nähe ihr billiges Futter aus aller Welt bekommen. Immer wieder pendeln die Laster zwischen dem Silo am Hafen und den Mastzentren. Spezielles Mastfutter ist eine wichtige Bedingung für eine schnelle profitable Mast. Damit die Tiere noch schneller schlachtreif werden, werden Antibiotika tonnenweise als "Leistungsfördere r" unter das Futter von Rindern, Schweinen und Geflügel gemischt. Sie entfalten in den Tieren eine ähnliche Wirkung wie die bekannten Anabolika in den Muskeln von Sportlern.

Tausende Tonnen Antibiotika im Futter

Allein dänische Tiermäster haben 1994 24.000 Kilogramm von dem Mittel Avoparcin in die Futtertröge geschüttet. Dieses Mittel ähnelt fatal dem in der Medizin eingesetzten Medikament Vancomycin. Davon haben die Ärzte in diesem Jahr aber nur 24 Kilogramm für die Behandlung ihrer Patienten verbraucht. Man beachte die Relationen in den Mengen! 1997 wurde Avoparcin von der Europäischen Union in Brüssel vorläufig verboten, weil die Ähnlichkeit zu dem Medikament zu groß ist und Resistenzen offenbar von den Ställen und Tieren zu den Menschen wandern.

Es ist bekannt, daß eine zu häufige Einnahme von Antibiotika dazu führt, daß Menschen dagegen resistent werden, die Dosen erhöht werden müssen und die Antibiotika schließlich ihre Wirkung ganz verlieren. Aber weil es gegen bestimmte Virusinfektionen kein wirksames Medikament gibt, greifen Ärzte oft lieber zu einem Antibiotikum, bevor sie ihre Patienten ohne Rezept nach Hause schicken. Es wird geschätzt, daß bis zu 70 Prozent der Hausärzte Antibiotika gegen akute Atemwegsinfektionen verschreiben. Auf diese Art und Weise entwickeln sich viele Resistenzen.

Resistente Keime auf Hähnchen

Doch wenn mensch die Menge der Antibiotika bedenkt, die in Mastställen verwandt werden, so läßt sich vorstellen, welche unheimliche Menge an resistenten Bakterien sich dort entwickelt hat. Sie müssen dann nur noch einen Weg zum Menschen finden...

Bei den "Enterokokken" ist dieser Weg nachgewiesen worden. Diese Bakterien sind einerseits gängige Bewohner von Tier und Mensch. 1995 tauchten "Enterokokken" einige Dutzend Male als Auslöser von Klinikinfektion en auf. Vier Prozent der in Kliniken isolierten Stämme trugen dieselbe Vancomycin- Resistenz, die durch den Einsatz von Avoparcin auch in Tiermastbetrieben weit verbreitet ist. In "Science", Band 279/1998, berichtet Wolfgang Witte von dem RKI in Wernigerode, wie er und seine Mitarbeiter vor dem Avoparcin-Verbot nachweisen konnten, daß resistente "Enterokokken" an jedem Hähnchen klebten, das sie im Handel kauften. Sie untersuchten zusätzlich gesunde Menschen nach Vancomycin- Resistenzen. Und siehe da: Von 100 zufällig Ausgewählten trug jeder Achte Vancomycin- resistente Keime im Darm. Als die Behörde die Untersuchung ein Jahr nach dem Verbot wiederholte, war nur noch jeder Dreißigste positiv.

Harnweginfektionen durch resistente Truthahnkeime

Auch in den Niederlanden wurden ähnliche Bebachtungen gemacht. Ellen Stobberingh von der Universität von Maastricht fand resistente Keime bei Anwohnern von Truthahnfarmen (New England Journal of Medicine, Bd. 337/1997). Die Wissenschaftleri n suchte in Stuhlproben nach Vancomycin- resistenten Stämmen von "Enterococcus faecium", einem Darmbakterium, das u.a. Harnweginfektionen und Entzündungen der Herzinnenwand verursacht. Sie fand solche Keime in vierzig Prozent der Stuhlproben von Bauern der Truthahnfarmen und in zwanzig Prozent bei Schlächtern. Bei Anwohnern der Farmen waren vierzehn Prozent der Proben positiv. In Schweden, wo Avoparcin nie eingesetzt wurde, finden sich dagegen keine solchen Resistenzen bei Darmbakterien. Vertreter der Welt-Gesundheitsorgani sation WHO plädieren dafür, alle "Leistungsförderer" in der Tiermast zu verbieten.

Infektion in der Klinik

Anlaß für die oben beschriebenen Untersuchungen war die zunehmende Anzahl von z.T. tödlich verlaufenden Infektionen in Kliniken. Hier in der Region ist zuletzt aus Delmenhorst von solch einer Klinikinfektion in der Presse berichtet worden. Im Bundesdurchschnit t zieht sich nach Schätzungen des Berliner Robert-Koch-Institutes etwa einer von 20 Klinik-Patienten eine Infektion zu, 500.000 bis 800.000 pro Jahr. Ursache ist oft mangelnde Hygenie. Doch in manchen Kliniken häufen sich Infektionen mit Keimen, denen die meisten Antibiotika nichts mehr anhaben können. Die Hauptsorge gilt weltweit dem Bakterium "Staphylococus aureus", das auch in Deutschland jährlich etwa 120.000 bis 150.000 Wundinfektionen verursacht. Bei acht Prozent der Patienten findet sich ein gefürchteter multiresistenter Bakterien-Stamm, gegen den von über hundert zugelassenen Antibiotika meist nur noch das Mittel Vancomycin hilft. Ist bei diesen Patienten durch Fleischkonsum oder andere Übertragungswege aufgrund der Einwirkung von Avoparcin auch eine Vancomycin-Resistenz entstanden, so gibt es kein Mittel mehr, das ihnen noch helfen könnte.

Verbot von Antibiotika im Futter!

Es mehren sich die Stimmen von Wissenschaftle rn, die ein sofortiges Verbot von "Leistungsförderern" im Mastfutter fordern. Es gibt inzwischen genügend Hinweise auf deren unheilvolle Wirkung. Doch die EU- Agrarkommission weigert sich, sofort zu handeln, sie will zuerst "prüfen lassen". Darüber wird dann die Zeit vergehen. Erst 1999 muß die Europäische Kommission endgültig entscheiden. Von den in wirtschaftlichen Zwängen steckenden Agrarindustriellen und Bauern wird mensch auch nicht erwarten können, daß sie in verantwortlicher uneigennütziger Weise auf die Beschleunigung der Mast verzichten. Gründe für die Zurückhaltung der Verantwortlichen lassen sich finden: Die Pharmalobby fürchtet um ein einträgliches Geschäft mit den als "Futterzusatzstoffe" getarnten Arzneien. Und Antibiotika wirken nicht nur als Wachstumsbeschleuniger, sie bewahren die anfälligen Masttiere auch vor Krankheiten, die ganze Populationen dahinraffen würden. Wer erinnert sich nicht daran, wie gebetsmühlenartig Bauernvertreter bereits fordern, ihre armen Schweine gegen die Schweinepest zu impfen! Zu hoffen bleibt, daß der Antibiotika-Skandal früher als der BSE- Skandal gestoppt wird...(Siehe auch SZ vom 27.11.97, 31.12.97, 12.3.98)

achim


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