Oldenburger STACHEL Ausgabe 6/99      Seite 14
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

"Man hatte mir gesagt, es wäre nötig"

So sind die Worte des katholischen Priesters Zabelka. Pater Zabelka segnete die Bombe auf Hiroshima. Heute wird uns täglich wieder eingeredet, es wäre nötig - nötig nämlich, Bomben zu werfen. Wer diese angebliche Zwangsläufigkeit militärischer Unlogik nicht einsehen will, wird geradezu automatisch der Zusammenarbeit mit dem Schurken bezichtigt. Von dem Schurken ist so viel berichtet worden, daß die Wiederholungen dessen an dieser Stelle erspart bleiben sollen. Nur soviel sei bemerkt: PazifistInnen zu unterstellen, ihnen seien die Opfer einer bewaffneten Auseinandersetzung gleichgültig, ist infam. Wem geht es nicht ans Herz beim Anblick der Bilder des Elends? Doch wieviel Leid der einen Opfer wurde gezeigt, und wieviel der anderen? Die Einseitigkeit der Kriegsberichterstattung wurde oft kritisiert. Warum war die offizielle Berichterstattung so einäugig? Auch ist die Wahrheit nicht das Opfer des Krieges, wie selbst im Oldenburger STACHEL zu lesen war. Wäre vor dem Krieg die Wahrheit das wesentliche Merkmal der Vorgänge gewesen, wäre es zu diesem Krieg nicht gekommen.

Es geht um Mord

Im Zweiten Weltkrieg wurde nur zurückgeschossen, so hieß es in der Propaganda. Heute wissen wir, daß der angebliche kriegsauslösende Überfall inszeniert und vorgetäuscht war. Über die Greueltaten der Serben wird viel berichtet, und vieles ist sicher wahr. Über den Kosovo wissen wir, daß es seit längerem Überfälle seitens der UCK gegeben hat. Diese sogenannte Befreiungsarmee wurde noch vor einiger Zeit von US-Vermittler Holbroke "Terror-Organisation" genannt. Zurecht verurteilte Massaker gehen zum Teil nachweisbar auf das Konto dieser UCK. Andere Massaker sind bis heute nicht aufgeklärt. Muß bei Mord nicht erst eindeutig ermittelt sein, bevor ein Urteil gesprochen wird? Geht die Ideologie der Todesstrafe heute so weit, daß ohne sichere Beweislage verurteilt wird?

Die Guten gegen den Bösen?

Wer die herrschende Politik kritisiert, läuft Gefahr, der Kollaboration bezichtigt zu werden. Das spürten die BesucherInnen einer Veranstaltung deutlich, auf der Anfang Juni ein Vertreter der jugoslawischen Friedensbewegung sprach. Sie hatten sich deutlichere Kritik an dem Regime in Belgrad erhofft. Doch zu groß ist die Angst um die sichere Rückkehr und um die Familienmitglieder. Das war vor dem Bombenkrieg anders. Diktatoren lassen sich üblicherweise einmal wählen. Milosevic wurde dreimal zum Präsidenten von Serbien bzw. Jugoslawien gewählt. Seine Partei ist im Parlament in der Minderheit. Während seiner Regierungszeit gab es Massendemonstrationen gegen ihn. Der Oppositionssender B92 konnte bis Mitte April frei senden. Das soll die Probleme nicht verschweigen. Doch sind dies keine typischen Merkmale für eine Diktatur. Weiterhin berichtete der Vertreter der Friedensbewegung davon, daß die Vertreibungen erst begonnen hätten, nachdem die OSZE-Beobachter aufgrund der bevorstehenden NATO-Angriffe das Land verlassen hätten. Dies deckt sich u.a. mit den Berichten der ARD vom 25.3.99, denen zu entnehmen war, daß die OSZE bis kurz zuvor ihre Wirkung gezeigt hätte, es nach dem Abzug den Menschen im Kosovo nun so schlecht wie nie zuvor gehe.

Wer kann wissen, wieviele Menschen vor den Truppen Milosevics geflüchtet sind und wieviele vor den Bomben der NATO? Bereits auf dem Ostermarsch in Oldenburg wurde aus einem Brief vorgelesen: "Jetzt haben wir auf der Erde die Truppen von Milosevic und aus der Luft die Bomben der NATO." Es mehren sich die Berichte, daß viele nicht mehr fliehen konnten, weil sie von den humanitären Bomben getroffen wurden.

Sollte die NATO tatsächlich nicht mehr bomben wollen, so liegt das vermutlich daran, daß die Superbomben ausgegangen sind. (Vgl. "Frontal", ZDF, 1.6.99) Muß nicht die Verteidigerin der Menschenrechte eben diese Menschenrechte selbst einhalten? Warum verwendet die NATO dann Streusplitterbomben? Und warum versuchte sie diesen Einsatz zu vertuschen, wie die Redaktion des ARD-Magazins "monitor" nachwies? ("Die NATO lügt") Das Vorbild des bombigen Kanzlers, der britische Premierminister Blair, sprach vom "Gerechten Krieg". Nun ist der Begriff des "Gerechten Krieges" vor vielen hundert Jahren genau definiert worden: Bei einem "Gerechten Krieg" dürfen keine Zivilisten in die Kampfhandlungen einbezogen werden und die verursachten Schäden dürfen den Nutzen nicht übersteigen. Was immer für wen auch immer der Nutzen dieses Bombenterrors sein mag: Kann es sich noch um einen gerechten Krieg handeln?

Eine Überlebende von Hiroshima berichtete davon, daß ihr verletztes Bein nicht behandelt werden konnte, weil es kein medizinisches Personal gab, und keine medizinischen Einrichtungen. Ihr langsam verfaulendes Bein wurde ihr ohne Betäubung mit einer einfachen Haushaltssäge abgesägt. An elektrischer Energie hängt heutzutage lebensnotwendige Medizintechnik. Warum nur erklärt die NATO Elektrizitätswerke zu militärischen Zielen? Ist es also militärisches Ziel, Brutkästen für Neugeborene stillzulegen?

Wie sind die verursachten Umweltschäden zu bewerten? "Der Krieg ist zweifelsohne die größte Naturbelastung, die wir uns vorstellen können", so Wolfgang Fremoth von der Stiftung Europäisches Naturerbe. Durch die Bombardierungen von Raffinerien und Kunststoffabriken sind die Dioxinwerte im weit entfernten Griechenland fünfzehn Mal so hoch wie erlaubt. (monitor 5/99) Wie sollen die KosovarInnen in Frieden und Sicherheit in ihre Heimat zurückkehren können? Wer kann heute sagen, welche Bereiche des Kosovo durch die von den USA verschossene uranhaltige Munition radioaktiv und unbewohnbar geworden sind? Oder wollen die für diese Vorgänge Verantwortlichen die Menschen bewußt Siechtum und frühzeitigem Tod aussetzen?

Die Folgen des unnötigen Krieges

Heutiger Stand der Kenntnis nach Angaben des Flüchtlingswerkes UNHCR ist, daß über 30.000 Menschen Opfer dieses Krieges sind. Damit sind die Toten gemeint. Wer spricht von den Verletzten? Von den durch die Explosionen Ertaubten zum Beispiel? In der BRD spricht man davon, daß durchschnittlich sieben Jahre zu spät Hörgeräte verschrieben werden - dadurch sind die Betroffenen nicht mehr in der Lage, mit Hilfe des Gerätes wieder richtig hören zu lernen. Wie wird das für die Kriegsopfer sein? Wieviele Menschen haben zudem Gliedmaßen verloren usw.? Vor allen Dingen: Wenn der Krieg wirklich zu Ende sein sollte, ist er noch lange nicht zuende. Die Streusplitterbomben beispielsweise bestehen aus 200 Minen, die selten alle zünden. Aus anderen Ländern gibt es die Erfahrung, daß diese oft von Kindern lange Zeit nach dem Krieg gefunden werden und entsetzliche Verletzungen verursachen. Einen Eindruck davon können uns vielleicht die Funde von Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg vermitteln. Letztlich ist in der Bundesrepublik der Krieg über fünfzig Jahre danach noch unmittelbar gegenwärtig.

Die Kosten des Krieges

sind teilweise bereits beschrieben worden. Leider hat sich in finanzieller Hinsicht die Deutsche Bank verrechnet, als sie die Kosten für den Wiederaufbau mit dreißig Milliarden DM angab. Dort bezog mensch sich auf Vergleiche zu den Schäden in Bosnien. Die Deutsche Bank zeigte erneut ihre Bereitschaft zur Spekulation. Woher will zum jetzigen Zeitpunkt jemand Daten für eine auch nur annähernd realistische Berechnung haben? Letztlich ist in unvergleichlicher Weise ein Land vernichtet worden, daß vermutlich auch die Schätzung von zweihundert Milliarden DM vor ca. vier Wochen zu niedrig liegen dürfte. Oder hat die Deutsche Bank die Vernichtung von Tabakfabriken, Autofabriken und Elektrizitätswerken nicht als Schaden, sondern als Investitionsmöglichkeiten berechnet?

Ist der Krieg zu Ende? - Oder: Wer regiert denn hier?

Niemand konnte erklären, warum die NATO nach der Unterzeichnung des Abkommens weiterbombt. Der NATO-Sprecher Shea, diese Person, die mit freundlich überzeugendem Grinsen die schlimmsten Botschaften überbringt, als ob sie gerade Sahne-Eis verkauft, erklärte am 4.6.99: "Wir tun das, weil wir das für nötig erachten...". Bislang grassierte auf dieser Welt die Vermutung, daß die gewählten ParlamentarierInnen sowie die Regierungen der Länder die Geschicke dieser Welt lenken. Derzeit jedoch scheinen die Entscheidungen des Krieges von nichtgewählten Militärs der NATO getroffen zu werden.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal an den Abwurf der Bombe auf Hiroshima hinweisen: Mit einer einzigen Bombe wurde eine Fläche von 10 qkm vernichtet, eine blühende Stadt ohne militärische Einrichtungen mit 340.000 EinwohnerInnen innerhalb von Sekunden ausgelöscht. Der damalige US-Präsident Harry S. Truman erklärte: "Wir haben die erste Atombombe auf Hiroshima abgeworfen. Wir haben so das Rennen gegen Deutschland gewonnen. Wir verkürzten so den Krieg und konnten das Leben hunderttausender junger Amerikaner retten." Die Atombombe wurde am 6.8.45 geworfen. Der Krieg mit Deutschland war seit dem 8.5.45 beendet. Japan lag seit langem am Boden. Es gab seit vielen Tagen Kapitulationsverhandlungen mit Japan. Der einzige noch strittige Punkt vor der endgültigen Kapitulation war die zukünftige Stellung des japanischen Kaisers, des Tenno.

Pater Zabelka segnete die Bombe auf Hiroshima. Er hat dies später zutiefst bereut. In einem ausführlichen Bericht beschreibt er, wie er dazu kam. Er berichtet von der Beichte eines jungen Piloten, der auf der Erde unter sich einen kleinen Jungen sah, der ungläubig in den Himmel zum ihm blickte. Es war dem Piloten klar, daß dies die letzten Sekunden des kleinen jungen sein würden, denn die Bomben waren bereits ausgeklinkt... Doch neben solchen menschlichen Momenten war die Insel Tinian derzeit der größte Militärflughafen der Welt mit stündlich hunderten Starts und Landungen. Man hatte Pater Zabelka erklärt, daß mit dieser Wunderwaffe der Krieg beendet werden würde, daß sie notwendig sei, daß es keinen anderen Weg gäbe. Drei Tage später begingen die USA das nächste entsetzliche Kriegsverbrechen mit dem Abwurf der Plutoniumbombe auf Nagasaki.

Die ARD kommentierte in ihrem Beitrag am 2.6.99: "Die Amerikaner wollten eine heile Stadt (bombardieren), um die Wirkung der Bombe wie in einem Labor studieren zu können." Ist es also Antiamerikanismus, wenn KritikerInnen die Vermutung äußern, daß gezielt auf diesen Krieg hingearbeitet worden sei, weil die Waffenindustrie ein neues Testgebiet unter realistischen Bedingungen benötigt?

Es geht immer gegen Rußland

Einer der Erfinder des Wettrüstens und zugleich einer Begründer der Pugwash-Bewegung und damit der Atomteststopp-Bewegung, Prof. Joseph Rotblat, konstruierte die Atombombe mit. Er berichtet eine Aussage des damaligen militärischen Leiters des "Manhattan-Projektes", General Leslie Groves, aus dem März 1945: "Es ist Ihnen natürlich klar, daß der Hauptzweck dieses Projektes ist, die Russen zu unterwerfen." Für Rotblat war völlig unverständlich, daß die Waffe gegen einen Verbündeten gegen die Deutschen gebaut wurde. Er verließ das Projekt.

"Krieg ist kein Mittel der Politik"

So steht es im Grundsatzprogramm der SPD von 1989. Mit dieser Aussage gewann die SPD die Bundestagswahl im Herbst 1998. Ein Oldenburger SPD-Mitarbeiter erklärte im Mai hierzu lapidar: "Da haben wir unsere Meinung geändert." Doch die letzte Änderung dieses Grundsatzprogrammes war Dezember 1998, noch immer steht im Programm der SPD zu lesen, daß Kriege zu führen für SozialdemokratInnen nicht gestattet ist. Für Bündnis 90 / Die Grünen gilt ähnliches. Der Himmelfahrtsbeschluß, durch den Kriegführung für grüne Regierungsmitglieder für zulässig erklärt wird, verstößt eindeutig gegen den grünen Grundkonsens sowie gegen das grüne Bundestagswahlprogramm. Selbst Gernot Koch, "grüner" Ratsherr in Oldenburg, äußerte hierzu auf einer Montagsrunde sinngemäß, daß >das Wahlprogramm jetzt unwichtig sei. Die Bedeutung der aktuellen Politik sei bereits im Stadtrat zu erleben. Für die Bundespolitik sei der Koalitionsvertrag entscheidend.< Doch eben diesen Koalitionsvertrag durchzieht ein durchaus friedlicher "roter Faden". Deshalb ist die Frage nach wie vor offen, warum nicht, wie in allen maßgeblichen Verlautbarungen festgeschrieben, zunächst alle nichtmilitärischen Mittel versucht wurden. Aufschlußreich zu den verpaßten Chancen ist z.B. die ARD-report-Sendung aus Baden-Baden im Mai (www.report.de). Wie ehrlich die Position der Oldenburger "Grünen" ist, mag vielleicht daran ermessen werden, daß hier öffentliche (Wahl-) Veranstaltungen mit Unterstützern der Fischer-Linie durchgeführt werden. Die Bundestagsfraktion verweigert mittlerweile sogar die Umsetzung des windelweichen "Kompromißbeschlusses" von Bielefeld.

Ist der Krieg am Ende oder am Anfang?

Soviel zur Glaubwürdigkeit der Beteiligten, die sich selbst immer als die Besten der Welt darstellen - dabei sind sie nur die Vertreter der Mächtigsten. Leider fehlt hier der Platz, um die kriegstreibende Rolle der BRD angemessen zu beleuchten. Zur Lektüre sei ein Aufsatz aus der "konkret" 5/99 von Jürgen Elsässer empfohlen.

Obgleich angeblich alle Beteiligten ein möglichst schnelles Ende des Krieges wünschen, wird weitergebombt. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen deuten Zeichen daraufhin, daß der Krieg weitergehen wird. Das Gesetz des Handelns wurde in die Hände der Militärs weggegeben, und wenn diese es erst einmal haben, geben sie es nicht gerne wieder her. Im Krieg gegen den Irak wurden die flüchtenden irakischen Soldaten von US-amerikanischen beschossen. Soldaten in Gräben wurden von darüber bewußt drehenden Panzern lebendig begraben. Ich meine, serbische Soldaten sind auch Menschen, haben ein Recht auf Leben und ungehinderten Rückzug. Deshalb muß das amerikanische Bombardieren sofort beendet werden. Soweit behauptet wird, das sei nötig, um Druck auszuüben, geben sich diejenigen in die Gefahr der Lächerlichkeit. Wenn das Bomben bis jetzt keinen Druck bewirkt hat, kann es sich wohl nur um weiteres "Kaputt-machen-wollen" handeln. Denn der Diktat-Vertrag von Rambouillet sah ein Gesamt-Jugoslawien als freies NATO-Manövergebiet vor. Das G8-Abkommen soll Schutz für Kosov@ bieten, für SerbInnen wie für KosovarInnen. Sollte dieses Abkommen tatsächlich zu dauerhafter Waffenruhe führen, hätte die NATO ihre Maximalforderung, aufgrund derer die Vertragsunterzeichnung von Ramboiullet gescheitert war, nicht erreicht. Deshalb wird vielleicht durch das Andauern der Bombardierung eine Möglichkeit zum Waffenstillstand vertan. In der Hoffnung, daß der Krieg bei der Lektüre dieser Zeilen bereits zu Ende ist:

Gerold Korbus

 

 
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