Oldenburger STACHEL Ausgabe 11/99      Seite 7
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Das ist ein Theater

"Sahnestückchen" von "total normal"

"total normal" ist die Theatergruppe des Landeskrankenhauses Wehnen (LKH). In einer Collage führte die Gruppe nun durch die "Sahnestückchen" der Produktionen der vergangenen Jahre. Gezeigt wurde im Wesentlichen Tanztheater und Pantomime. Die gutbesuchte Premiere im Festsaal des Landeskrankenhauses begeisterte das Publikum zu minutenlangen "standing ovations". Theaterpädagoge Sven Johnson gab den Dank zurück: "Ihr seid ein tolles Publikum". Sollte das Stück gefallen haben, bat er, die Freunde anzurufen und von der Begeisterung zu berichten. Falls nicht, wäre das nicht so schlimm, dann könne man seine Feinde über das Stück informieren. Diese Zeilen sind also für meine FreundInnen!

War das Publikum bei der abendlichen Premiere gemischt und zu einem guten Teil nicht direkt aus dem Krankenhaus, so wurde die Aufführung am Sonnabendnachmittag größtenteils von PatientInnen des LKH besucht. Obgleich die Vorstellung gegenüber dem Vortag noch deutliche Verbesserung erfahren hatte, ging das Publikum hier nicht so intensiv mit. Für mich ist das ein Hinweis darauf, daß die "Mittel", die viele PatientInnen bekommen, diese vom Leben fern halten.

Die folgende Aufführung in der Kulturetage führte zu ähnlicher Begeisterung beim Publikum wie bei der Premiere. Sicher war die Vorstellung nicht schlecht besucht, doch hatte ich persönlich noch mehr BesucherInnen erwartet. Woran mag es gelegen haben, daß nicht so viele kamen? Ein Punkt lag sicher in Mängeln der Öffentlichkeitsarbeit: Selbst im Blauschimmel-Atelier wußte niemand von der Aufführung. Wir liefen mehrmals durch die Hallen und Räume von Offenem Kanal und Kulturetage, bis wir "total normal" gefunden hatten. Im Programm der Kulturetage war der Auftrittsraum nicht ausgewiesen. Warum wurde der Auftritt nicht vom Offenen Kanal OK aufgezeichnet? Gibt es dort kein Interesse an solchen Produktionen? Ist der OK nicht in der Kunstszene der Stadt verankert? Wurde der OK nicht durch die Kulturetage Informiert?

Interniert

Bei der Aufführung fiel negativ auf, daß ein wunderbares Tanz-Solo mit Theateruntermalung, das bei beiden Auftritten im LKH gezeigt wurde, nicht im Programm war. Stattdessen war das Stück auf ein Schlagzeug-Solo mit einem anderen Schauspieler umgeschrieben worden. Auch das war toll! Doch diejenigen, welche die Original-Fassung kannten, spürten Enttäuschung. Im Nachherein möchte ich schreiben, wäre eine Collage mit beiden Elementen super gewesen.

Der Darsteller des Solo-Tanzes hatte von der Staatsanwaltschaft keine Erlaubnis zum Verlassen des LKH-Geländes bekommen. Wohlgemerkt: Es handelt sich nicht um einen Internierten, der möglicherweise die geschlossene Station nicht verlassen durfte. Ich habe ihn selbst kurze Zeit vor dem Auftritt sich frei bewegend auf dem LKH-Gelände angetroffen. Hätte er fliehen wollen, wäre ihm das in diesem Moment möglich gewesen. Doch in der Gruppe - also unter Kontrolle - für den wichtigen Auftritt das Gelände zu verlassen blieb ihm trotz Antrages an die Staatsanwaltschaft verwehrt.

Die Einen feiern ...

Während sich die Staatsanwaltschaft in dieser Art im Auslösen seelischer Krisen übte, bleibt zu konstatieren, daß solche Vorgehensweise im LKH geradezu an der Tagesordnung liegt. Bereits in der vorhergehenden Ausgabe des STACHELs wurde berichtet, daß die "unabhängige" Besuchskommission für den Maßregelvollzug Niedersachsens das LKH nach vorheriger Anmeldung aufsuchte. Das scheint regelmäßige Praxis zu sein. Ein Mitglied der Kommission äußerte dem Verfasser gegenüber, daß es eine gute Zusammenarbeit zwischen Kommission und Einrichtung gäbe...

Die Kommission kam am Tag des Sommerfestes des LKH. Für die Internierten, die keine Ausgangserlaubnis hatten, wurde ein Grillfest im Garten organisiert. So konnte die Station keinesfalls überbelegt wirken. Nun gibt es auf der Station ME IV auch Personen, die - gesetzeswidrig - überhaupt keinen Ausgang bekommen - also nicht einmal kontrollierten Gartenausgang. Mein "Bekannter" beispielsweise hat von dem schönen Sommer 1999 nur Eindrücke durch das - im Wesentlichen geschlossene - Fenster sammeln können.

Da die meisten Pfleger für das Grillfest abkommandiert waren, wurden die Menschen mit Ausgangssperre in den "Wachsaal" gepfercht. Vom Wachsaal gibt es guten Ausblick auf das festliche Geschehen bei den Sommerfesten. So konnten diese Menschen durch Beobachtung am Fest teilnehmen und sich daran freuen, daß die Anderen sich so schön freuen konnten.

Sicher fiel es ihnen dadurch auch leichter, daß sie nicht einmal an ihre persönliche Gegenstände auf ihrem Zimmer gelangen konnten, nicht ihre gewohnten Getränke zu sich nehmen und z.B. für Vegetarier kamen die fetten Würste sicher besonders gut. Nicht einmal die allererste Aufführung der "Sahnestückchen" war von diesen Fenstern aus einzusehen.

Beschwer' Dich doch...

Auf ein ausführliches Beschwerdeschreiben, welches der Kommission bei dem Besuch überreicht wurde, gab es bis jetzt (zweieinhalb Monate später) noch keine Reaktion. Bei einer persönlichen Nachfrage seitens des Verfassers bei einem Kommissionsmitglied wurde zum Thema Essensentzug die offizielle Version des LKH referiert. Allerdings wurde in Aussicht gestellt, daß seitens der Kommission ein "Papier" über die Aufgaben der Kommission erstellt werden solle, damit "nicht falsche Hoffnungen über deren Möglichkeiten geweckt werden". Im zuständigen Referat der Landesregierung ist das Beschwerdeschreiben eines Patienten bisher nicht angekommen. So "unabhängig" arbeitet also eine Kommission von Weißkitteln, mit der die Arbeit von anderen Weißkitteln kontrolliert werden soll.

Das ist ein Theater

Während ich die Überschrift hinsichtlich der Aufführung rundum positiv verstanden sehen möchte, werde ich verärgert bei den Beobachtungen im LKH. Dort gibt es Tätige, die zu vergessen scheinen, daß sie mit Menschen und nicht mit Fällen umgehen. Leider ist so tolle Theaterarbeit auch ein Element, das uns dies vergessen machen kann, nämlich, daß leider im LKH bei weitem nicht alles so toll und wünschenwert abläuft.

Gerold Korbus

 

 
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