Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/98      Seite 13
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Stolpern über Prüfsteine

Strahlende Frauen und Männer, die uns von kleinen, an Straßenlaternen aufgehängten Plakaten und großen Plakatwände mit ihrem Blick verfolgen, bürgerInnennahe PolitikerInnen in den Innenstädte und Briefwurfsendungen verkünden, daß es mal wieder soweit ist: ein Wahlttag rückt näher. Diesmal für den niedersächsischen Landtag.

Grund genug für den VEN, dem Dachverband der niedersächsischen entwicklungspolitischen Initiativen, Gruppen und Organisationen, sich einzumischen. Mit einer "Wahl-Charta `98". Einem Katalog mit zehn konkreten Forderungen für eine stärkere Berücksichtigung entwicklungspolitischer Aspekte in der Politik der zukünftigen Landesregierung. Zugleich eine praktische Anleitung für die kritischen WählerInnen, "ihre" Partei mal auf ihren entwicklungspolitischen Gehalt hin zu überprüfen. Wer weiß, welcher Prüfstein sich da zum Stolperstein wandelt?

Für den VEN ist Entwicklungspolitik nicht nur Sache der Bundesregierung oder der EU. Sie versteht sie auch als einen Teil der Landespolitik. Und um die steht es in Niedersachsen gar nicht gut: Hier wurdein den letzten Jahren im Vergleich zu anderen Bereichen überproportional viel gespart. Mehr oder wenig klammheimlich ist von der niedersächsischen SPD-Alleinregierung der Etat für die eigenständige Entwicklungspolitik von 9 Mio. DM 1993 auf 1,4 Mio. DM 1997 zusammengestrichen worden. Ein Grund dafür ist sicherlich die schwache Lobby, die Süd-Nord-Arbeit in der Gesellschaft immer noch "genießt".

"...mehr als nur eine Luxusaufgabe für gute Zeiten..."

Entwicklungspolitik, so der VEN in seiner "WAhl-Charta `98" darf aber nicht als Luxusaufgabe der Landespolitk für ruhige Zeiten angesehen werden. Vielmehr sei sie als "Überlebensfrage der Menschheit und wichtige Querschnittsaufgabe" der Regierungspolitik zu begreifen.

Um Entwicklungspolitik als wichtige Querschnittsaufgabe, d. h. alle Ressorts der Landesregierung einbeziehend, zu verankern, bedarf es, so eine zentrale Forderung des VENs, eines Süd-Nord-Beirates. Eines Beirates mit Vertreterinnen und Vertreten aus gesellschaftlichen Gruppen wie etwa den entwicklungspolitischen Initiativen, Gewerkschaften, Hochschulen und den Kirchen. Dieser Beirat soll dabei eine "kompetente Beratung der Landespolitik bei entwicklungspolitischen Fragestellung" gewährleisten, mit dem Ziel, die Politik in den Ländern des Nordens "umzustrukturieren" und "entwicklungsverträglich zu gestalten".

Von "Umweltengeln" und anderen guten Geistern

Gefordert wird eine Landespolitik, die die eigenständige Entwicklung der Länder des Südens nicht behindert, sondern sie im Gegenteil fördert. Sie also "entwicklungsverträglich" sein muß. Langfristig soll eine EVP, eine Entwicklungsverträglichkeitsprüfung, entwickelt werden. Ein Verfahren, das aus dem Umweltbereich mit der dort mittlerweile gängigen UVP, der Umweltverträglichkeitsprüfung, hinlänglich bekannt ist. Für Niedersachsen bedeute dies konkret, daß Vorhaben im Bereich der Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Umwelt-, Verkehrs- und Technologiepolitk auf ihre wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen überprüft werden müssen. Gleiches gelte selbstredend auch für alle Körperschaften des Öffentlichen Rechts und privatwirtschaflichen unternehmen. Etwa für den Autokonzern VW oder die Norddeutsche Landesbank.

Der Johannes aus dem rot-grünen Westen weist den Weg...

Nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens soll auch in Niedersachsen vom Land pro Einwohnerin/Einwohner und Jahr DM 0,50 zweckgebunden für kommunale Süd-Nord-Arbeit überwiesen werden. Mittel- bis langfristig soll die Landesregierung 0,05 % der Ausgaben des Landeshaushaltes für die Süd-Nord-Arbeit zur verfügung stellen. Zur Zeit wären das immerhin rund 20 Mio. DM. Insbsondere der Ausbau und die stärkere Unterstützung von entwicklungspolitischen Initiativen auf Landes- und Kommunalebene sollen damit finanziert.

Der VEN bezieht sich dabei auch auf die Vorgaben der "Agenda 21", dem sozialen und ökologischen Handlungsprogramm für das nächste Jahrtausend, das 1992 über 170 Regierungen unterzeichnet haben. U.a. wird in diesem Dokument den Kommunen und den NGOs, den Nichtregierungsorganisationen, eine große Bedeutung bei der Gestaltung des Agenda-Prozesses beigemessen. Gerade letztgenannte sind häufig InitiatorIn von lokalen Agenda - Prozessen. Damit die NGOs ihren wichtigen Beitrag bei der Strukturveränderung auf kommunaler, regionaler oder landesweiter Ebene leisten können, fordert die "Agenda 21" deren institutionelle Förderung.

Darüber hinaus regt der VEN an, daß, unterstützt von der Landesregierung Städte und Kommunen "Kommunale entwicklungspolitische Beauftragte" benennen sollen, dem "Klimabündnis europäischer Städte mit den Völkern der Regenwälder" beitreten sollen und verstärkt Städtepartnerschaften als Form des "aktiven Austausch" mit den Ländern des Süden eingehen sollen.

Entwicklungspolitik macht Schule

Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationsarbeit sind ein "unverzichtbarer Baustein" einer "glaubwürdigen Politik zur Überwindung ungerechter Strukturen". Die Verantwortung der nördlichen Länder an ungerechten Weltwirtschaftsstrukturen und deren nachhaltigen Folgen zu benennen und Handlungskompetenz zu erzeugen, ist nach Meinung des VENs Aufgabe einer solchen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. In der Schule und außerhalb. Entwicklungspolitische Themen sollen nach Vorstellung des VENs als "interdisziplinäres Lernfeld" in die Lehrpläne der allgemeinbildenden Schulen, der Berufsfach- und der Hochschulen aufgenommen werden. Auch in die außerschulische Jugend- und Erwachsenenbildung sollten Aspekte der "Einen Welt" verstärkt gefördert werden. Verstärkte Unterstützung erwartet der VEN dabei vor allem für die zahlreichen entwicklungspolitischen Initiativen. Und bringt die Idee von "Zentren für Entwicklungszusammenarbeit" ins Spiel. Zentren, die analog zu den bestehenden "Regionalen Umweltzentren", regionale und lokale Initiativen als Träger haben und "Zentren der interkulturellen Begnung" sowie der entwicklungspolitischen Bildungs- und Informationsarbeit sein sollen.

Finger weg von Projekten im Süden!

Der VEN fordert von der zukünftigen Landesregierung, auf die Durchführung eigenen Projekte im Süden zu verzichten und stattdessen solche zu fördern, die von hiesigen NGO initiiert worden sind. Als Begründung führt der Dachverband an, daß es "weithin bekannt sei", daß NGOs am besten und effektivsten zur Durchführung von Basisprojekten im sozialen, Ökologie- und Frauenbereich in der Lage seien.

Die Landesregierung soll fair anschaffen

Die neue Landesregierung soll in Zukunft bei der Beschaffung generell neben den umweltpolitischen auch entwicklungspolitische Kriterien zugrunde legen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten verstärkt auf fair gehandelte Produkte, die bundesweit von mehreren partnerschaftlich-solidarisch arbeitenden Importorganisationen vertrieben und lokal von über 1.500 Weltläden und Aktionsgruppen verkauft werden, setzen.

Über die Landesgrenze hinaus denken...

Landespolitik macht nicht an den Landesgrenzen halt. Über den Bundesrat haben die Landesregieurngen bekanntlich auch Einfluß auch auf die Bundes- und EU-Politk. Entsprechend soll die Landesregierung die Möglichkeit nutzen, auf diesen Ebenen durch Bundesratsinitiativen dazu beitragen, "Entwicklungshemmnisse" aus dem Weg zu räumen. Möglichkeiten sieht der VEN etwa bei Initiativen zur Schuldenstreichung, dem Verzicht auf Rüstungsproduktion und -export, der Einführung von Umwelt- und Sozialstandards im Welthandel oder bei der Umsetzung der Agenda 21 auf Bundesebene.

Nicht zuletzt fordert der VEN, im Einklang mit der "Agenda 21", seine eigene strukturelle Förderung. Denn, so der Dachverband, die entwicklungspolitische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit kann weder kurzfristig wirken noch darf sie parteipolitisch vereinnahmt werden. Und vor allem müsse sie unabhängig von den jeweiligen Regierungsparteien durchgeführt werden können. Eine Politik, die bei Umweltverbänden längst Praxis ist...

Marco Klemmt

Die "Wahl -Charta `98" kann bezogen werden über: "welthaus oldenburg e.V.", Donnerschweer Str. 12, OL, Tel.: 0441 / 984 96 05 oder direkt beim VEN, Bahnhofstr.16, 49406 Barnstorf, Tel.: 05442 / 99 10 28


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